Energiegewinnung: Zehn Sekunden Kernfusion
Der Wendelstein-Reaktor bei Greifswald geht in die entscheidende Phase. Anfang September soll das erste, fusionsrelevante Plasma gezündet werden.
Anfang September soll in der Kernfusionsanlage „Wendelstein 7-X“ zum ersten Mal ein fusionsrelevantes Plasma erzeugt werden. Damit beginnt nach 15-monatigem Umbau des Reaktors am Greifswalder Max-Planck-Institut für Plasmaphysik die zweite, entscheidende Experimentierphase, die bis Dezember andauern soll, sagte Thomas Klinger, Direktor des Instituts, das die Fusion als eine neue Primärenergiequelle erforscht.
Energie wie von der Sonne
Vorbild ist die Sonne. Dort fusionieren Wasserstoffkerne zu Helium unter hohem Druck und hohen Temperaturen, wobei gigantische Mengen Energie freigesetzt werden. Die Kernfusionsforscher untersuchen, inwieweit diese physikalischen Vorgänge auf der Erde in Kraftwerken für die Energiegewinnung genutzt werden können. Sollte dies gelingen, so Klinger, könnte die Fusion eine Ergänzung zu den erneuerbaren Energien werden.
Ende 2015 hatte das Institut mit der Kernfusionsanlage das erste Plasma erzeugt. Seitdem konnten bei rund 1000 verschiedenen Experimenten in dem durch einen Magnetring gehaltenen Plasma Elektronen-Temperaturen von bis zu 100 Millionen Grad und Ionen-Temperaturen von bis zu 20 Millionen Grad erzeugt werden. Nun sei die Maschine in ihrer Leistungsfähigkeit so aufgerüstet worden, dass fusionsrelevante Bedingungen entstehen. Unter diesen Bedingungen könnten bereits Atomkerne effizient fusionieren, sagte Klinger. Die Elektronen- und Ionen-Temperaturen lägen dann bei jeweils etwa 70 Millionen Grad. „Jetzt fahren wir Vollgas.“
Vor der Sonnen-artigen Hitze kommt die Kälte
Experimente mit Fusionsbrennstoff sind jedoch im von EU, Bund und Land geförderten Kernfusionsexperiment „Wendelstein 7-X“ weder jetzt noch künftig geplant. Vielmehr wollen die Forscher Aussagen zur Kraftwerkstauglichkeit der Anlagen vom Typ „Stellarator“ treffen. „Wendelstein 7-X“ gilt als weltweit modernste Forschungsanlage dieses Fusionstyps. Die Greifswalder Forscher hoffen, dass er dem pulsbetriebenen Fusionstyp „Tokamak“ überlegen ist, weil er im Dauerbetrieb gefahren werden könnte. In der nun beginnenden zweiten Experimentierphase wollen die Forscher Plasmen bei voller Heizleistung für bis zu zehn Sekunden erzeugen. Ziel nach weiteren Umbauten sei es dann, Plasmen für eine Dauer von einer halben Stunde aufzubauen.
Techniker hatten in den vergangenen Monaten aus etwa 8500 Kohlenstoff-Kacheln ein auf Mikrometer genau platziertes Hitzeschild im Plasmagefäß der Anlage montiert und Divertoren installiert – spezielle Prallplatten aus Grafit. Damit seien die Voraussetzungen geschaffen worden, die Leistung der Mikrowellenheizung auf 8,5 Megawatt verdoppeln und in der Folge höhere Plasmadichten und -temperaturen erzeugen zu können, sagte Klinger. Zudem seien die zentralen Sicherheitssteuerungen den höheren Experimentieranforderungen angepasst und die Magnetfelder für den optimalen Einschluss der Plasmen konfiguriert worden, sagte der Technische Leiter Dirk Naujoks. Um Anfang September das erste Fusionsplasma zu zünden, muss die Anlage auf minus 270 Grad (nahe dem absoluten Nullpunkt) heruntergekühlt werden. (dpa)