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Ein Junge schaut Youtube-Filme auf einem Tablet-Computer.
© Tobias Hase/dpa

Start des Deutschen Internet-Instituts: "Youtube-Videos selber machen, nicht nur gucken"

Am Donnerstag eröffnet das Deutsche Internet-Institut in Berlin. Wie digitale Bildung für Kinder gelingt, erklärt Design-Professorin Gesche Joost.

Frau Joost, Sie haben öfters kritisiert, dass Deutschland die Vision einer digitalen Gesellschaft fehlt. Was machen wir beim digitalen Wandel falsch?

Wir waren relativ spät dran, die Tragweite zu erkennen. Das zeigt sich auch daran, dass das Deutsche Internet-Institut erst jetzt eingerichtet wird. Das hätte man schon vor zehn Jahren starten können. Inzwischen wird die Digitalisierung gleichzeitig überschätzt und unterschätzt. Überschätzt wird manchmal, was technologisch möglich ist, vor allem im Bereich künstliche Intelligenz. Da werden Horrorszenarien entwickelt, dass die Roboter die Macht übernehmen. Das ist teilweise hysterisch. Ich bezweifele, dass man menschliche und künstliche Intelligenz überhaupt vergleichen kann.

Was wird unterschätzt?

Unterschätzt wird die disruptive Kraft, die zum Beispiel herkömmliche Geschäftsmodelle infrage stellt und gleichzeitig von allen digitale Grundkenntnisse verlangt. In der ablaufenden Legislaturperiode hat sich die Bundesregierung immerhin eine digitale Agenda auf die Fahnen geschrieben. Aber der große Wurf war es nicht, und es geht so langsam.

Gesche Joost, UdK-Professorin.
Gesche Joost (42) ist Professorin für Design an der Universität der Künste Berlin und Mitglied des Leitungsteams des neuen Deutschen Internet-Instituts.
© Mike Wolff

Digitalisierung wird hierzulande tatsächlich oft unter dem Vorzeichen der Angst diskutiert: Angst davor, dass Kinder zu sehr vor mobilen Endgeräten hängen, oder Angst vor Datenmissbrauch. Werden das Themen des Internet-Instituts sein?

Unbedingt. In Deutschland und international ist viel im Bereich Technologieentwicklung passiert. Aber genau solche Fragen, was gesellschaftspolitische oder psychosoziale Folgen sind, werden zu wenig erforscht. Das sind Fragen, die sich Eltern ganz praktisch stellen: Muss ich die Digitalzeit meiner Kinder regeln, oder wie können wir digitale Bildung – auch das ist eines unserer Themen – klug gestalten?

Was würden Sie Eltern raten?

Es geht nicht darum, die Digitalzeit starr zu regeln und zu sagen: Du darfst das nur zwei Stunden machen. Vielmehr sollten Eltern Kinder ermutigen, dass sie gestalterisch und kreativ mit digitalen Medien umgehen. Also: nicht Youtube-Videos gucken, sondern selber ein Video schneiden und veröffentlichen. Aber wir werden uns natürlich auch um andere, globalpolitische Themen kümmern. Stichwort Datenbesitz: Gehören mir noch meine Daten, wenn sie auf einem internationalen Server liegen? Oder haben wir eh verloren, weil alle Daten in der Hand von großen Konzernen sind? Es ist höchste Zeit, das systematisch zu begleiten.

Eine Forschungsfrage des Internet-Instituts soll sein, wie sich durch die Digitalisierung die Rolle von Bürgerinnen und Bürgern im demokratischen Gemeinwesen verändert. Was ist damit gemeint?

Nehmen wir ein Beispiel aus Dänemark, wo ich gerade im Urlaub war. Da gibt es am einsamsten Strand eine Fischbude, bei der man übers Handy bezahlen kann. Die nutzen Bargeld kaum mehr. Man kann dort online wählen, man braucht eine E-Mail-Adresse, um überhaupt mit dem Bürgeramt kommunizieren zu können. E-Government kann uns vieles erleichtern, aber auch vieles abverlangen. Im Moment fühlen sich viele abgehängt, die digitale Spaltung wächst. Das hängt vom sozialen Hintergrund und vom Bildungsstand ab. Das können wir uns nicht leisten. Es schürt Unzufriedenheit und soziale Ungleichheit.

Nun hat man in Berlin das Gefühl, dass die Digitalisierung auf den Ämtern gerade erst angekommen ist. Haben Sie eine Erklärung, warum die Stadt sich damit so schwertut, obwohl man in der IT-Forschung ganz vorne sein will?

Diese Diskrepanz zwischen Forschung und Alltag fällt mir jeden Tag auf. Ich erlebe das in der Uni ja auch. Das ist wie eine Zeitreise, wenn man jeden Reiseantrag auf Papier und mit achtfachem Durchschlag mit der Hauspost in die Verwaltung schickt. Die Schwierigkeit ist, dass man lange Zeit kaum etwas gemacht hat und jetzt ein Riesensprung nötig ist. Das Personal in den Amtsstuben ist aber nicht geschult, die Rechnersysteme sind nicht auf dem neuesten Stand. Da ist auch die Föderalismusfrage virulent: Man bräuchte ein einheitliches Bundessystem, das einmal eingeführt wird und dann gut funktioniert. Jedes Land bastelt sich stattdessen seine eigene Infrastruktur zurecht, und die sind dann nicht kompatibel.

Das Institut soll auch Politikberatung machen. Bei welchen Themen gibt es Ihrer Meinung nach den größten Bedarf?

Ein großes Thema ist in der Tat, wem Daten in einer vernetzten Welt gehören. Das kann man etwa am selbstfahrenden Auto durchdeklinieren: Wer haftet wofür? Wem gehören meine Mobilitätsdaten? Werden sie zum Gemeingut und alle können darauf als Open Data zugreifen? Das zweite große Thema wird digitale Bildung sein. Hier brauchen wir einen massiven Schub – digitale Kenntnisse ab der Grundschule zu vermitteln und Kinder in der digitalen Welt konstruktiv und reflektiert zu begleiten. Ich finde zudem wirtschaftspolitische Fragen interessant: Was bedeuten Geschäftsmodelle der Plattformen wie die von Facebook und Google für die Gesellschaft?

Sie waren selbst einst im Kompetenzteam von Peer Steinbrück, sind Internetbotschafterin für Deutschland und beraten die Bundesregierung beim Verbraucherschutz. Wie stark können Wissenschaftler Ihrer Erfahrung nach Politik beeinflussen?

Ich finde es sehr wichtig, sich einzubringen und vermisse es, dass das nicht mehr Menschen machen – auch aus der Wirtschaft und aus der Zivilgesellschaft. Berufspolitiker brauchen Expertise, die sie von außen einholen.

Das beantwortet aber noch nicht die Frage, ob man auch gehört wird, wenn man sich einbringen will.

Man muss die richtigen Formate finden. Schreibt man einen offenen Brief, läuft das medial vielleicht ganz gut – in die politischen Prozesse wird das aber kaum einfließen. Aber ein Gremium wie der Sachverständigenrat im Verbraucherministerium ist ein Format, in dem man sich intensiv mit den politischen Möglichkeiten und der Gesetzgebung auseinandersetzt und auf dieser Grundlage Handlungsempfehlungen schreibt. Diesen Schritt muss man auf die Politik zugehen.

Der digitale Wandel vollzieht sich wahnsinnig schnell. Wie kann man vermeiden, dass wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Forschung zum Internet nicht bereits veraltet sind, wenn sie publiziert werden?

Eine große Problematik. Will man sich für ein Projekt vom Forschungsministerium bewerben, sind schon anderthalb Jahre rum, bis die über eine Förderung entscheiden. Dann kann man anfangen, und dann dauert die Forschungszeit drei weitere Jahre. Das sind Zyklen von fast fünf Jahren. In diesem Zeitraum entstehen Konzerne und sind schon wieder untergegangen. Wir brauchen flexiblere Instrumentarien, die eine schnellere Drehzahl erlauben. Die Förderpolitik muss hier flexibler und schneller werden.

In Berlin wird es künftig des Einstein-Centrum, das von Google finanzierte Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft und das Deutsche Internet-Institut geben. Wie kommt man aneinander vorbei?

Wir haben das so konzipiert, dass sich die Institute ergänzen. Das Einstein-Centrum hat viele Unternehmenskontakte, es ist mehr technologisch ausgerichtet. Das Internet-Institut ist sozialwissenschaftlich fokussiert und wenig technologiebetrieben. Das Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft hat eine tolle Vorarbeit geleistet. Das ergibt ein großartiges Cluster für Berlin.

Digitalisierung betrifft auch die Lehre. Wo stehen da die Berliner Hochschulen Ihrer Wahrnehmung nach?

Es könnte besser sein. Es hängt zu sehr an den Professorinnen und Professoren, dass sie sich darum allein kümmern. Ich habe kaum wahrgenommen, dass sich die Unis zusammentun und gemeinsam etwas aufbauen wollen. Wir haben uns beim Internet-Institut vorgenommen, Vermittlungsstrategien in der digitalen Lehre zu erörtern, wie man die sinnvoll einsetzen kann – und das auch selber zu erproben.

Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Wie werden Hochschulen in zwanzig, dreißig Jahren aussehen?

Meine Rolle als Professorin hat sich schon jetzt massiv verändert, und zwar zum Positiven. Ich bin nicht mehr die Professorin, die vorne steht und Vorlesungen hält. Wir sind eine Lerngemeinschaft, ich begleite meine Studierenden und Doktoranden. Den Wissenstransfer erarbeiten wir uns gemeinsam, die hier vorhandenen Technologien stehen allen offen. Die Community, der wir etwas beibringen und von der wir lernen, ist weltweit verteilt. Die Universität als Lebens- und Lernort wird aber immer wichtig bleiben. Dahin werden alle immer zurückkehren, um sich auszutauschen.

Die Fragen stellte Tilmann Warnecke.

Wie das Deutsche Internet-Institut organisiert wird, lesen Sie hier.

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