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Aufgeheiztes Klima. Hochschulministerin Frédérique Vidal rief dazu auf „Gewalttätigkeit zu vermeiden“. Überall in Frankreich gingen Studierende auf die Straße, nachdem es an der Jurafakultät in Montpellier zu einem Zwischenfall gekommen war. Das Foto zeigt Demonstranten am vergangenen Freitag in Montpellier.
© Adrien Vautier/imago/Le Pictorium

Studierendenproteste: Wut über selektive Unis

In Frankreich wehren sich Studierende gegen neue Hürden beim Zugang zu den Hochschulen. Das Klima ist aufgeheizt

Blockierte Hörsäle, Barrikaden und besetzte Universitäten. Von Toulouse über Montpellier bis zu Bordeaux und Lille ähneln sich die Bilder. In Frankreich wird mal wieder demonstriert. Diesmal geht es um die Hochschulreform von Präsident Emmanuel Macron, die im Februar verabschiedet wurde. Auch in Paris sind die Proteste in der Universität Sorbonne angekommen. Dort wurde mit Plakaten mit der Ausschrift: „Gerechtigkeit in der Jura-Fakultät“ demonstriert.

Die Protestbewegung hat sich vor kurzem mit einem Zwischenfall im südfranzösischen Montpellier verstärkt. Dort wurden in der Jurafakultät protestierende Studenten aus einem Hörsaal von maskierten Männern entfernt. Die Ermittlungen laufen, um die Identitäten festzustellen. Zeugen wollen Juraprofessoren unter ihnen gesehen haben. Der Dekan der rechtswissenschaftlichen Fakultät musste gehen, gegen ihn läuft ein Ermittlungsverfahren wegen „Komplizenschaft“. Daraufhin kam es zu zahlreichen Demonstrationen in ganz Frankreich.

Nicht nur die Studenten sind in Frankreich wieder in Aufruhr, auch die Eisenbahner streiken. Bei ihnen geht es um die Reform des staatlichen Bahnbetreibers SNCF, die Macron durchführen will. Diese Streikwelle könnte Wochen oder sogar Monate dauern. Eisenbahner, die neu eingestellt werden, sollen weniger Vorteile haben. Und das Unternehmen soll Kosten sparen, um im europäischen Wettbewerb konkurrenzfähig zu sein. In Frankreich heißt es schon, dass die Studenten sich mit den Eisenbahnern vereinen könnten.

Bildungsministerin Vidal ruft zur Friedfertigkeit auf

Die Studenten protestieren gegen die neu eingeführte „Auswahl“ an Universitäten. Der Präsident der Sorbonne, Georges Haddad, befürchtet schon, dass die Situation „eskaliert“. Er schloss nicht aus, die Polizei zur Hilfe zu rufen. Das Klima ist aufgeheizt, Hochschulministerin Frédérique Vidal rief dazu auf „Gewalttätigkeit zu vermeiden“ und verkündete, es sollen 22 000 zusätzliche Plätze in überbelegten Studiengängen geschaffen werden.

Nach ihr heißt die Reform Vidal. Der Zugang zu den Universitäten wird zum ersten Mal mit einem selektiven Verfahren beschränkt. Einen Numerus Clausus wie in Deutschland kannte man in Frankreich bisher nicht. Das Internet-Zugangssystem nennt sich seit diesem Jahr Parcoursup und verteilt die Studenten auf die Universitäten. Es hat das vorherige System APB ersetzt, bei dem es im vergangenen Jahr zu Protesten kam. Der Grund: Die geburtenstarken Jahrgänge stürmen die Universitäten, und es gibt Engpässe, besonders in begehrten Studiengängen wie Jura, Psychologie und Sport und an Universitäten wie Sorbonne und Assas in Paris. Im vergangenen Jahr wurde in vielen Fällen mit Losverfahren entschieden, wer den begehrten Platz bekommt. Die restlichen Studenten wurden auf andere Universitäten aufgeteilt. Es hagelte heftige Proteste von guten Schülern, die sich plötzlich an unbeliebten Universitäten wiederfanden oder zu Studienbeginn noch gar keinen Platz hatten.

Die Regierung versprach eine "Revolution"

Das sollte sich im Geburtenjahrgang 2000 ändern, der dieses Jahr in einer noch größeren Zahl an die Unis strömt. Die Regierung versprach eine „Revolution“. Das neue Gesetz orientiert sich zum Teil an dem Zulassungssystem für Hochschulen UCAS in Großbritannien. Zehn Wünsche dürfen in Frankreich geäußert werden. Für jeden der Wünsche muss ein Motivationsschreiben verfasst werden, außerdem ein Lebenslauf, was auch die Eltern schreiben könnten und somit Schüler aus sozial schwachem Umfeld benachteiligt. Die Gymnasien müssen für den Schüler auf seiner Zulassungsseite die Noten der letzten zwei Jahre eintragen, da das Zeugnis für das französische Abitur Baccalauréat noch nicht vorliegt. Außerdem geben die Lehrer Empfehlungen für die Wünsche ihrer Schüler ab. Die Universitäten wählen dann aus. Priorität haben die Studenten in den Hochschulen ihrer Schulakademie, die Pariser in Paris, die Vorstädter in der Banlieue.

Zahlreiche Lehrer, Professoren und Studenten kritisieren diesen neuen Zugang. Die Gewerkschaft der Hochschullehrer Snesup-FSU sprach von „einer generellen Auswahl in allen Studiengängen“. Damit wird das französische Elitesystem nun auch auf die Universitäten ausgeweitet – so die Kritik – in der Hoffnung, dass deren Image dadurch besser wird. Die Studentengewerkschaft Unef warnt: „Einige Universitäten versuchen schon, ihre Zulassungskriterien zu verschärfen, um noch selektiver zu werden.“

Schon im Wahlkampf hatte Macron das Ziel verkündet, das französische Universitätssystem zu reformieren. Gleichzeitig wurde das Budget für die höhere Bildung im Jahr 2018 im Vergleich zum Vorjahr um 700 Millionen Euro erhöht, zusätzlich wurden 200 Millionen Euro bereitgestellt, um neue Plätze zu schaffen. Die Gewerkschaft Snesup-FSU macht allerdings geltend, dass für den derzeitigen Studentenandrang zwei Milliarden Euro pro Jahr notwendig wären – und das zehn Jahre lang.

Macron hofft den Ruf der Universitäten in Frankreich zu verbessern. In ihnen werden die Massen ausgebildet, die danach häufig nur schwer einen Job finden. In Frankreichs Elitehochschulen dagegen, HEC (École des hautes études commerciales) für Wirtschaft, École polytechnique für Ingenieure oder ENA (École nationale d’administration) für Staatsbeamte wird die Elite gedrillt.

Die Karriere entscheidet sich schon früh

Schon ganz früh wird in Frankreich ausgesiebt. Die Grundschule und das Collège, die Gesamtschule bis zur 9. Klasse, entscheiden über den späteren Lebenslauf. Auf die Lycées, die dreijährigen Gymnasien, die der Oberstufe entsprechen, werden die Schüler nach ihren Noten im Collège verteilt. Es gibt damit gute und schlechte Lycées. Danach folgen zweijährige Vorbereitungskurse für die Grandes Écoles, die Elitehochschulen. Bei jedem Schritt kommen nur die Besten weiter. Die Elite, die in Politik und Wirtschaft nach wie vor das Sagen hat, kann sich ihre Jobs aussuchen und ist bestens vernetzt.

So besuchten sowohl Macron als auch sein Vorgänger François Hollande die ENA. Auf den Lebensläufen von Frankreichs Wirtschaftsbossen tauchen die drei wichtigsten Eliteschulen des Landes auf. Diese können in internationalen Rankings wie „Times Higher Education“ über die Ausbildung von internationalen Wirtschaftsbossen mit amerikanischen Universitäten wie Harvard mithalten, noch weit vor Oxford, während deutsche Hochschulen dabei meist weit hinten liegen. Frankreich schneidet bei internationalen Rankings in Europa regelmäßig am besten ab – allerdings nur mit seinen Grandes Écoles, nie mit den Universitäten.

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