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Anregender Start ins neue Jahr. Die Besucher diskutierten mit vielen prominenten Gästen.
© Judith Affolter

Debatten mit viel Prominenz: Wut, Mut, Blut

Der diesjährige Salon Sophie Charlotte der Berlin-Brandenburgischen Akademie widmete sich der Frage nach Rebellionen, Revolutionen und Reformen.

Viel Volk: Auch beim zwölften Mal quoll der Salon Sophie Charlotte der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) am Samstagabend aus allen Nähten. Es hat sich längst herumgesprochen, dass dieses Event kein traditioneller Neujahrsempfang ist. „Wir beginnen das Jahr mit Volldampf“, hatte Akademiepräsident Martin Grötschel zur Begrüßung versprochen.

Die über 100 Mitwirkenden, die auf den verschiedenen Podien zu Beginn des Reformationsjahrs über das Thema „Rebellionen, Revolutionen oder Reformen“ diskutierten und reflektierten, könnte man im Kontrast zum Titel des Abends als „Aristokratie des Geistes“ bezeichnen. So diskutierten in einer der Runden Marianne Birthler und die Akademiemitglieder Jürgen Kocka (Geschichte), Richard Schröder (Theologie), Dagmar Schipanski (Physik) und Joachim Sauer (Chemie) über die Frage, ob es sich beim Umsturz von 1989/90 eigentlich um eine Revolution gehandelt habe. Eine Bewegung von unten, der Umbruch eines ganzen Systems, dies alles zusammengedrängt in kurzer Zeit: Das spreche für die Anwendung des Begriffs, gestand Jürgen Kocka zu. Als Historiker mahnte er aber dazu, durch Vergleiche die besonderen Eigenheiten von gesellschaftlichen Umbrüchen herauszuarbeiten. Und dieser Umbruch sei relativ gewaltlos vonstatten gegangen.

Ohne Musik kommt keine Revolution aus, sagt Nike Wagner

Muss bei Revolutionen unbedingt Blut fließen? Und ist nicht, im Fall des Untergangs der DDR, das Blut schon zuvor geflossen? Das gaben sowohl Dagmar Schipanski als auch Joachim Sauer zu bedenken. Es war eine Revolution, so befanden beide. Der Versuch von Chemieprofessor Sauer, das Wissen aus ungeliebten Marxismus-Leninismus-Seminaren zur Analyse der damaligen Situation zu nutzen, erheiterte dabei besonders eine Dame, die sich unauffällig unter die Hörer in der ersten Reihe gemischt hatte.

Zusammen mit ihrem Mann hatte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel zuvor schon Nike Wagners kluge Ausführungen über Revolution und Musik angehört. Musik sei ein biegsames Phänomen, sie sei zwar nicht von Haus aus politisch, könne aber in sich immer revolutionär sein – und ohne Musik komme keine Revolution aus. Die unvermeidliche Frage nach ihrem Urgroßvater Richard Wagner fand eine ebenso klare wie persönliche Antwort: „Irgendwann entscheidet man sich für den Wagner, den man mag. Ich habe mich für den Revolutionär entschieden.“

Welchen Beitrag hat eigentlich die Wissenschaft daran, wenn Weltbilder ins Wanken geraten? Und wie muss ein Wissenschaftssystem aussehen, damit dort revolutionäre Entdeckungen gelingen? Der Chemiker Helmut Schwarz von der TU Berlin, der auch Präsident der Alexander-von-Humboldt-Stiftung ist, plädierte dafür, junge Forscher auch einmal ohne Vorgaben und Projektbindung arbeiten zu lassen. „Die größten Dinge entstehen aus dem scheinbar Nutzlosen.“

Studierende stürmten den Saal - um Andrej Holm zu unterstützen

Der Schein trog auch, als zu Beginn des Salons angehende Sozialwissenschaftler der HU den Saal stürmten: Was zunächst Teil der Inszenierung dieses lebendigen Abends zu sein schien, war eine echte Solidaritätskundgebung für Andrej Holm. HU-Präsidentin Sabine Kunst, die im Leibniz-Saal der Akademie als Gastgeberin fungierte, nahm es, ebenso wie die Organisatoren von der BBAW, gelassen: „Die Angelegenheiten dieser Revolution werden wir in den nächsten Wochen in unserem Hause weiter besprechen.“

Im Salon kam das Gespräch darüber schneller in Gang. „Ich halte die Stasi nicht für eine revolutionäre Organisation“, so das ernste Wort von Ex-Außenminister Joschka Fischer. Ob Europa inzwischen zu alt sei für Revolutionen, so lautete die Themenfrage der Runde, an der neben Fischer und der Attac-Aktivistin Jutta Sundermann auch der Politiktheoretiker Herfried Münkler von der HU teilnahm. Während Sundermann vehement forderte: „Wir müssen uns unsere Wut erhalten“, stellte Münkler nüchtern fest: „Partizipation ist heute möglich. Wir Europäer sind aber fast überfordert damit, die Errungenschaften der Revolutionen auszufüllen.“ Fischer erinnerte schließlich daran, dass auch der Erfolg von Donald Trump Ausdruck von Wut sei. Er plädierte für den Parlamentarismus, für den Rechtsstaat und für Reformen. „Ich glaube nicht mehr, dass man Geschichte machen kann. Wenn man Glück hat, kann man sie beeinflussen.“

Ein Abend voller Aha-Erlebnisse, bei dem nicht nur Hanna Schygulla durch „Lieder der Hoffnung und des Widerstands“ bei den Älteren für nostalgische Gefühle sorgte. Ihn erinnere die Protestaktion der Holm-Unterstützer an die 68er, so der Historiker Etienne François. Sie seien allerdings „viel besser erzogen“.

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