Das Coronavirus und die Älteren: Würdet ihr uns sterben lassen?
Unsere Kolumnistin ist Jahrgang 1938. Sie schreibt darüber, wie es sich in Zeiten von Corona anfühlt, zu den Älteren zu gehören.
Barbara John ist Kolumnistin des Tagesspiegel. Sie war unter anderem Ausländerbeauftragte des Berliner Senats und ist Vorstandsvorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin.
Keine Gruppe scheint bisher so gefährdet, am Coronavirus schwer, gar tödlich zu erkranken wie die Alterskohorte 65+. Als Jahrgang 1938 gehöre ich schon seit Langem dazu. Die Kanzlerin selbst erwähnte die Alten am Mittwoch in ihrer Fernsehansprache. Sie riet, "am besten kaum noch Kontakte zu den ganz Alten" zu haben, "weil sie eben besonders gefährdet sind“.
In "funk", einem Jugendangebot von ARD und ZDF, schlägt diese Fürsorglichkeit in Bösartigkeit um. Der Satiriker Schlecky Silberstein hat ein Youtube-Video veröffentlicht mit dem Titel "Corona rettet die Welt". Darin heißt es, das Virus sei fair „Es rafft die Alten dahin, aber die Jungen überstehen diese Infektion mühelos. Das ist nur gerecht, immerhin hat die Generation 65 plus diesen Planeten in den vergangenen 50 Jahren voll an die Wand gefahren.“
Entscheidet mein Alter, ob ich leben darf oder nicht?
Die besondere Bedürftigkeit der Alten ist eine Belastung für meine Altersgruppe, in mehrfacher Hinsicht. Zum einen fragen sich Ältere, wie es ihnen ergehen würde, wenn sie tatsächlich erkranken. Entscheidet dann bei uns das Alter, ob ich weiterleben darf oder nicht?
Schließlich werden Personal und Behandlungsplätze nicht für alle reichen, schon gar nicht für die komorbiden alten Lungenkranken, die in Italien mit seiner vernachlässigten medizinischen Infrastruktur derzeit bei der "Triage" regelrecht aussortiert werden. Uns schiebt man außerdem unterschwellig die Schwarze-Peter-Karte zu. Wären wir nicht im Spiel, gäbe es nicht die drastischen Einschränkungen, wird suggeriert.
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Die meisten Alten- und Pflegeheime sind nun für Angehörige geschlossen - in guter Absicht. Die Seniorenministerin Franziska Giffey lobte das Verbot, denn nur so könnten die Pflegebedürftigen geschützt werden.
Doch in Telefongesprächen klagen Menschen in Pflegeheimen über das Verbot. So fürsorglich das Kontaktverbot gemeint sein mag, es trifft Menschen, die stärker als alle anderen Altersgruppen um ihre Endlichkeit wissen und gleichzeitig die plötzliche amtlich verfügte Verlassenheit in voller Härte zu spüren bekommen. Soll das wirklich ausnahmslos so weitergehen?
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Was die Unsicherheit beseitigen und Vertrauen schaffen könnte bei der Generation 65+ wäre ein öffentliches Signal der Kanzlerin: Ich versichere, dass alle am Virus Erkrankten ausnahmslos die notwendige medizinische Behandlung bekommen. Dafür steht die Bundesregierung.