IQB-Ländervergleich: Wo liegen die Probleme der deutschen Schulen?
Bayern, Schleswig-Holstein, Sachsen top, Bremen und Berlin liegen hinten - und auch Baden-Württemberg schwächelt. Wie sind die Ergebnisse des neuen großen Schulvergleichs zu erklären?
Es ist einer der größten Schultests in Deutschland – und er förderte bei der Vorstellung am Freitag in Berlin Überraschendes zutage. Mehr als 37 000 Neuntklässler aus 1700 Schulen hat das Berliner Institut zur Qualitätsentwicklung (IQB) im Bildungswesen geprüft, inwieweit sie schon die Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss erreichen – und zwar in den Fächern Deutsch und Englisch, jeweils in Bereichen wie Lesen, Hörverständnis und Orthografie.
Wie sind die Ergebnisse bundesweit?
Durchgehend Spitze ist Bayern, überdurchschnittlich gut schneiden in fast allen Bereichen auch Sachsen und Schleswig-Holstein ab, das sich von allen Bundesländern am meisten verbessert hat. Berlin und Bremen liegen dagegen bei den meisten der überprüften Kompetenzen hinten.
Die Leistungsunterschiede zwischen den Ländern sind enorm: Beim Lesen im Fach Deutsch entspricht der Abstand zwischen Spitzenreiter Sachsen und Schlusslicht Bremen mehreren Schuljahren, Schleswig-Holstein hat auf Berlin einen Lernvorsprung von bis zu zwei Schuljahren. In Bremen und Berlin erreicht rund ein Drittel in Deutsch nicht einmal die Mindeststandards. Sie dürften Schwierigkeiten haben, ihren Abschluss zu schaffen und vor allem einen Ausbildungsplatz zu finden. In Sachsen liegt der Anteil dieser Schüler nur bei 14 Prozent.
Abgestiegen ist Baden-Württemberg, dessen Punktwerte deutlich zurückgegangen sind. Beim Zuhören in Deutsch sind die Schüler im Südwesten kaum besser als die Berliner. Insgesamt blieben die Leistungen bundesweit in Deutsch aber „stabil“, heißt es in der Studie – in Englisch gebe es sogar „enorme Fortschritte“. Das gilt vor allem für Ostdeutschland. Auffällig ist, dass die Schüler im Osten vor allem beim Lesen englische Texte deutlich besser erfassen als im Jahr 2008/9, als das IQB dieselben Fächer ein erstes Mal überprüfte. Beim Hörverstehen der Fremdsprache hapert es dagegen im Osten oft noch.
Wo stehen Berlin und Brandenburg?
Berlin – das schon 2008/9 vor allem in Deutsch hinten lag – hat sich kaum verbessert, sondern ist teils weiter zurückgefallen. So ist Berlin neben Bremen das einzige Land, dessen Schüler in Deutsch in allen getesteten Bereichen deutlich seltener die Regelstandards erzielen als im Bundesschnitt.
In Englisch sieht die Situation auf den ersten Blick etwas besser aus: Hier schaffen mehr Schüler die Regelstandards als früher. Dennoch bleibt die Risikogruppe der Leistungsschwachen zu groß. Beim Leseverstehen erreicht ein Drittel nicht die Mindestanforderung, dieser Anteil konnte – wie sonst fast überall – nicht reduziert werden. Umgekehrt ist die Gruppe der Spitzenlerner kleiner. Seinen 10. Rang vom vorigen Test kann Berlin nicht halten, sondern rutscht auch hier in die Schlussgruppe ab. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) hatte schon am Donnerstag an die Lehrer appelliert, mehr Konsequenzen für die gezielte Förderung von Schülern zu ziehen.
Viel besser steht Brandenburg da: Die Kompetenzwerte haben sich in Deutsch und Englisch sehr gesteigert, in Deutsch liegt man jetzt teilweise über dem Bundesschnitt. Auffällig ist, dass Brandenburg es gut geschafft hat, die Risikogruppe der schwachen Schüler zu verringern.
Wie erklären sich die Auf- und Abstiege im Südwesten und im Norden?
Gute Testergebnisse haben viel mit „Systemstabilität“ zu tun: Darin waren sich die Bildungsexperten einig. Wo das Schulsystem ständig umgebaut wird – etwa von G9 auf G8 und wieder zurück –, leide die Konzentration auf den Unterricht, sagte Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD). Demnach ist in Schleswig-Holstein, das seit 2006 das dreigliedrige System abgeschafft und Gemeinschafts- sowie Regionalschulen aufgebaut hat, die nötige Ruhe eingekehrt. Studienleiterin Petra Stanat hob hervor, dass dort die Bildungsstandards besonders ernst genommen werden. Das Land habe dazu eigene Fachanforderungen formuliert, die auch tatsächlich im Unterricht ankommen, weil sie etwa mit Trainings zur kollegialen Beratung und zur Unterrichtsentwicklung begleitet werden.
In Baden-Württemberg ist die Lage unter anderem durch die erst seit 2012/13 eingeführten Gemeinschaftsschulen unruhiger, wenngleich deren Schüler 2015 noch nicht in der 9. Klasse angekommen waren und nicht am Test teilgenommen haben. Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) sagte, nach dem „eruptionsartigen“ Abstieg ihres Landes solle es vorerst keine Strukturreformen geben, an der neuen Schulart werde man aber festhalten. „Wir haben ein Qualitätsproblem in unseren Schulen“, gab Eisenmann zu. Künftig werde es darum gehen, wie die „Fachlichkeit“ der Lehrkräfte verbessert werden kann, also ihre Ausbildung in den Fachwissenschaften und der Fachdidaktik.
Gelingt es besser, soziale Benachteiligung auszugleichen?
Eine der großen Schwächen der deutschen Schule ist, dass der Lernerfolg stark an die soziale Herkunft gekoppelt ist. Das bestätigt sich: Der Rückstand der Kinder aus ärmeren Familien ist in Deutsch kaum geschrumpft.
Hamburgs Schulsenator Ties Rabe betonte den großen Einfluss der „Schülerzusammensetzung“: Die Frage, inwieweit Standards erreicht werden, hängt davon ab, wie hoch der Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund ist. Für die Stadtstaaten dürften Anteile von 42 bis 48 Prozent aber „keine Ausrede“ sein. Auch Özcan Mutlu, bildungspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, sagte, es könne „in der Einwanderungsgesellschaft Deutschland nicht weiter akzeptiert werden“, dass Länder mit vielen Kindern mit Migrationshintergrund auf den hinteren Rängen lägen.
Tatsächlich aber zeigt sich in Englisch, dass ein Zuwanderungshintergrund nicht automatisch mit schwächeren Schulleistungen einhergeht. Schüler, die zu Hause „manchmal Deutsch“ sprechen, hinken im Englischen anders als im Deutschen nicht signifikant hinterher, die Englisch- Leistungen der Schüler mit und ohne Zuwanderungshintergrund nähern sich weiter an. Die Bildungsforscher fordern daher, das im Englischen erkennbare Potenzial von Schülern aus Migrantenfamilien auch in Deutsch besser auszuschöpfen. Dort haben vor allem Jugendliche mit türkischstämmigen Eltern einen großen Rückstand (bis zu 90 Punkte).
Warum sind die Englisch-Ergebnisse besser geworden, die in Deutsch nicht?
Vor allem die ostdeutschen Länder, die sich in Englisch stark verbessert haben, haben sich entschieden auf den Weg gemacht, lobte Petra Stanat. Sie bilden Tandems von deutschen Lehrkräften mit Englisch-muttersprachlichen, veranstalten Sommerakademien für Englisch-Lehrer, forcieren Sprachreisen.
Dass die Verbesserungen im Englischen größer sind als im Deutschen, führt Stanat auch auf die Motivation der Schüler zurück. Durch den Medienkonsum sei Englisch für sie zur Lingua franca geworden, so würden immer mehr Jugendliche TV-Serien auf Englisch ansehen. Zum anderen sei der Englisch-Unterricht in den vergangenen Jahren stärker modernisiert worden als der Deutsch-Unterricht – etwa mit mehr Gewicht auf der Sprachpraxis.
Wie sind die Rechtschreibkenntnisse?
Über die vermeintlich dramatisch sinkenden Rechtschreibkenntnisse von Jugendlichen sind oft Klagen zu hören. Bisher gab es aber kaum eine Studie, die das statistisch unterfütterte. Diese Lücke schließt das IQB jetzt – und es stellt sich heraus, dass die Klagen übertrieben sind. Denn in fast allen Ländern liegt das Niveau der Schüler über dem aus dem Jahr 2008/9. Tatsächlich ist die Rechtschreibung sogar der Bereich, wo die Schülerinnen und Schüler am besten abschneiden: 66 Prozent erreichen die Regelstandards. Das ist der höchste Wert der getesteten Kompetenzen.
Lesen Sie hier ein Interview mit einer Fachdidaktikerin, wie guter Englisch-Unterricht gelingt. Beispielaufgaben aus dem Test finden Sie auf der Homepage des IQB.
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