Neues Hochsicherheitslabor in Berlin: Wo Forscher künftig die schlimmsten Seuchen der Welt untersuchen
Ebola, Lassa, Krim-Kongo-Fieber: Am Robert-Koch-Institut in Berlin werden künftig die gefährlichsten Erreger erforscht, die die Menschen kennen. Nach der Einweihung beginnt nun der Testbetrieb.
Plötzlich wird es still unter der Haube. Der leuchtend blaue Schlauch, der spiralförmig von der Decke hängt und der die Virologin kurz zuvor mit einem halben Kubikmeter Atemluft pro Minute versorgte, pumpt keinen Sauerstoff mehr in ihren weißen Vollschutzanzug. Das stete Rauschen bleibt aus. Sie blickt ihren Chef an, schüttelt mit dem Kopf. Konzentriert schließt sie ihren Anzug an den nächsten Schlauch an und öffnet das Ventil. Wieder nichts. Nach drei Minuten muss sie den Reißverschluss des zehn Kilo schweren, maßgeschneiderten Ungetüms öffnen. Der Anzug, den normalerweise Überdruck aufbläht, fällt in sich zusammen. „Ohne Frischluft wird es da drin schnell warm“, sagt die Forscherin.
Ein Techniker hatte die Luftversorgung abgestellt, schließlich hat der Testbetrieb für das neue Hochsicherheitslabor des Robert-Koch-Instituts in Berlin (RKI) noch gar nicht begonnen. Andreas Kurth lacht. „Vorführeffekt“, sagt er. Die Panne bringt ihn nicht aus der Ruhe. Er ist stolz, eines der modernsten S4-Labore zu leiten. Es wurde am Mittwoch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und RKI-Präsident Reinhard Burger feierlich eröffnet.
S4 steht für die höchste Sicherheitsstufe. Sie ist den gefährlichsten Erregern der Welt vorbehalten: Viren wie Ebola, Lassa, Krim-Kongo, Hendra, Nipah oder Marburg. Gegen sie gibt es weder ein Medikament noch einen Impfstoff. Umso aufwändiger werden Wissenschaftler und Umwelt vor ihnen geschützt. Der Kubus im Herzen des neuen fußballfeldgroßen Labor- und Bürogebäudes in der Seestraße ist hermetisch abgeriegelt. Der Beton lässt keine Schüsse durch. Der innere Edelstahlkorpus ist gasdicht. „Ein bisschen wie eine Raumstation oder ein U-Boot“, sagt Kurth. „Dort darf nichts rein, hier darf nichts raus.“ Unterdruck im Labor sorgt zusätzlich dafür, dass kein Viruspartikel entweichen kann.
Ein Hochsicherheitslabor ist kein Luxus
Das Haus im Haus ist unabhängig von der Außenwelt. Sollte die Stromversorgung ausfallen, springt das eigene Blockheizkraftwerk ein. Versagt auch das, kommt der Strom so lange aus Batterien, bis die Generatoren laufen. Die Anlagen, die die Luft von draußen reinigen, entölen und anwärmen, gibt es doppelt. Sollten beide nicht funktionieren, bleibt den Forschern immer noch gepresste Atemluft in Flaschen – sie reicht, damit zehn Mitarbeiter im Notfall nach und nach das Labor verlassen können. Pro Stunde werden künftig aus dem Hochsicherheitsbereich 20 000 Kubikmeter Luft abgesaugt. Eine Etage höher wird sie mehrfach gefiltert. Die Technik mit Kühlsystemen, Abwasserreinigung und Sterilisatoren nimmt drei Stockwerke ein. Dazwischen ein Stockwerk mit 330 Quadratmetern Labor. Der Bau begann 2010, das gesamte Gebäude mit einem S4-, zwei S3- und vielen weiteren Laboren und Büros, kostete 170 Millionen Euro aus Bundesmitteln.
„Das ist kein Luxus“, sagt Norbert Suttorp, der Direktor der Klinik für Infektiologie und Pneumologie der Charité. Er ist für die größte Sonderisolierstation Deutschlands verantwortlich. „Wir müssen uns solche Hochsicherheitslabore leisten. Sonst stehen wir irgendwann einem unbekannten Erreger hilflos gegenüber.“ Suttorp erinnert an Sars. Der Lungenkeim war vom Tier auf den Menschen übergesprungen und vereinigte zwei besorgniserregende Eigenschaften: Er war leicht über die Luft übertragbar und er tötete viele Infizierte. Innerhalb weniger Wochen war er von Asien aus in Toronto und Frankfurt angekommen. „Toronto, eine westliche Großstadt, hatte wirklich zu kämpfen, bis Sars eingedämmt war“, sagt Suttorp. „So etwas kann jederzeit wieder passieren.“
Wenn auf die Isolierstation ein Mensch mit verdächtigen Symptomen eingeliefert wird, kommt es für ihn und alle Kontaktpersonen auf eine schnelle Diagnose an. Da hilft es, wenn eine Probe im nur 100 Meter entfernten S4-Labor analysiert wird. Außerdem ergeben sich eine Fülle wissenschaftlicher Fragestellungen, die die Nachbarn RKI und Charité gemeinsam bearbeiten können, sagt Suttorp. Sobald das Hochsicherheitslabor in Betrieb geht, können die Forscher auch das Blut von bestätigten Ebola-Fällen untersuchen. Bei Verdachtsfällen darf das RKI schon heute die Ausschlussdiagnostik in einem Labor der Sicherheitsstufe drei machen. So wie am Montag, als auf der Isolierstation ein fiebriger Rückkehrer aus Guinea lag. Er leidet an Malaria.
Wie lange überlebt ein Virus auf welcher Oberfläche?
Neben der Diagnostik, die das Labor unter anderem für den Fall eines bioterroristischen Anschlages übernehmen wird, soll die Widerstandsfähigkeit von Erregern untersucht werden: Wie lange kann ein bestimmtes Virus unter welchen Umständen überleben? „Dazu gibt es wenig Daten“, sagt Reinhard Burger. „Die Ebola-Epidemie hat gezeigt, wie dringend man diese Informationen für viele praktische Entscheidungen braucht.“
Bis die Forschung beginnen kann, werden etliche Monate – vielleicht Jahre – vergehen. Zunächst spielen die ersten zehn Mitarbeiter Notfälle wie zum Beispiel einen Stromausfall, Nadelstich, die Bergung eines Bewusstlosen oder Feueralarm durch. Wenn es ernst wird, darf die komplexe Technik an keiner Stelle haken. Auf die Trockenübungen folgt Teil zwei des Testbetriebs, die Arbeit mit weniger gefährlichen Erregern wie Kuhpocken. Erst wenn alle Abläufe eingespielt sind – etwa im Umgang mit den Nagetieren, die in dem Labor gehalten werden – geht es los. Für kritische Arbeitsschritte gilt das Vier-Augen-Prinzip.
„Jeder Mitarbeiter hat in bereits existierenden Hochsicherheitslaboren trainiert“, sagt Kurth. Alle wurden vom Amtsarzt untersucht und sicherheitsüberprüft. Er erinnert sich an den Tag, als er 2011 zum ersten Mal einen Kollegen ins Labor des Bernhard-Nocht-Instituts in Hamburg begleiten konnte. Der Weg nach draußen kam ihm damals sehr lang vor. Heute sind die vier Schleusen für ihn Alltag. Vier Minuten Chemikaliendusche, um den Anzug zu dekontaminieren; zwei Minuten Wasser zum Abspülen. Erst dann öffnet sich die nächste Tür. Er zieht die erste von drei Lagen Handschuhen aus, pellt sich aus dem Ungetüm, hängt es zum Trocknen auf. Nun kann er das Headset ablegen, das ihm drinnen die Kommunikation mit Kollegen und dem Kontrollraum ermöglicht. In OP-Kleidung geht er in den Hygienebereich, zum Duschen. In der letzten Schleuse wartet seine Alltagskleidung in einem Spind. Länger als vier Stunden am Stück darf niemand im Labor bleiben, sagt er. „Dann muss man etwas trinken oder auf die Toilette gehen.“ Irgendwann lasse die Konzentration nach.
Auf Außenstehende mag sein Arbeitsplatz wirken, als sei er einem Science fiction entsprungen. Andreas Kurth sieht es anders: „Von den Sicherheitsvorkehrungen abgesehen ist es ein Labor wie jedes andere.“