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Trägertiere. Wissenschaftler glauben, dass Dromedare, wie hier auf einem Markt bei Kairo, das tödliche Mersvirus auf Menschen übertragen.
© Holly Pickett/Redux/Redux/laif

Gefährliche Krankheit: Keime und Kamele

Im Nahen Osten breitet sich ein tödliches Virus aus, das vermutlich von Dromedaren stammt. Ein Bonner Forscher versucht herauszufinden, ob der Erreger eine weltweite Seuche auslösen könnte.

Es beginnt mit einem Husten. Das ist im März 2012. Ein paar Tage später fühlt sich der 25-jährige Student in Jordanien schlapp. Er ist kurzatmig, hat Fieber, der Beginn einer Lungenentzündung. Er geht ins Krankenhaus. Sein Zustand verschlechtert sich, er kommt auf die Intensivstation, wird künstlich beatmet. Als er am 25. April stirbt, haben mehrere Ärzte und Pfleger ähnliche Symptome entwickelt. Eine Krankenschwester stirbt. Dann verschwindet die mysteriöse Krankheit wieder.

Zwei Jahre später ist klar: Der junge Mann ist an einem Virus gestorben, das der Menschheit vorher nicht bekannt war. Heute hat es einen Namen: Middle East Respiratory Syndrome Virus, Mers. Es handelt sich um ein Coronavirus, so wie Sars, das Ende 2002 in China auftauchte und sich in den folgenden Monaten in zahlreichen Ländern verbreitete. Fast 800 Menschen starben damals, ehe der Erreger eingedämmt wurde. Entsprechend besorgt beobachten Mediziner auf der ganzen Welt seither das Virus.

Mers verhält sich anders als Sars. Das Virus führt zwar zu kleineren Ausbrüchen, aber der Erreger kann sich unter Menschen offenbar nur schwer ausbreiten. Forscher vermuten, dass er immer wieder von Tieren auf den Menschen springt, möglicherweise von Kamelen.

Doch seit Ende März scheint sich das neue Virus plötzlich rasant auszubreiten. 217 Infektionen, darunter 38 Todesfälle hat die europäische Seuchenschutzbehörde ECDC im April gezählt, mehr als in den zwei Jahren zuvor zusammengenommen. Die meisten Menschen stecken sich in Saudi-Arabien an. Jeden Tag meldet das Land neue Fälle. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat am Montag ein Notfallteam nach Dschiddah im Westen des Landes geschickt, wo ein großer Krankenhausausbruch tobt. Der rasante Anstieg der Fallzahlen nährt die Angst, das Virus könnte sich verändert haben und nun leichter von einem Menschen zum nächsten springen. Wenige Monate bevor Millionen Pilger kommen, um die Heiligtümer in Mekka, Medina und Dschiddah zu besichtigen, wäre das ein Albtraum.

Gestern Morgen ist der Forscher Christian Drosten aus Saudi-Arabien zurückgekommen. „Einige Menschen laufen da jetzt mit Atemmasken herum“, sagt er. Drosten kennt sich bestens aus mit Coronaviren. Im März 2003 präsentierte er als Erster einen diagnostischen Test für das Sars-Virus. Der junge Wissenschaftler kam damit riesigen Forschungseinrichtungen wie der US-Seuchenschutzbehörde zuvor und machte sich weltweit einen Namen.

Inzwischen ist Drosten Professor für Virologie an der Universität Bonn. Nun versucht er herauszufinden, was für die plötzliche Explosion von Mers-Fällen verantwortlich ist. Könnte eine Verunreinigung im saudischen Labor zu falschen Testergebnissen führen? Lassen sich einfach mehr Menschen testen, so dass mehr Fälle bekannt werden? Oder passt sich das Virus tatsächlich an den Menschen an und wächst zu einer globalen Bedrohung heran?

Drosten sucht unter anderem im Erbgut des Erregers nach Antworten. Am Karfreitag kommt in seinem Labor in Bonn ein Paket mit 31 Patientenproben aus Dschiddah an. 29 der Proben enthalten laut dem saudischen Labor das Mers-Virus. Tatsächlich kann Drosten das Virus in 28 der 29 Proben nachweisen. Das Labor hat offenbar sauber gearbeitet. Drosten beginnt sofort damit, das Erbgut der Viren zu entziffern.

Das Mersvirus trägt auf seiner Oberfläche ein Eiweiß namens spike, Stachel. Damit dockt es an ein Eiweiß auf menschlichen Lungenzellen an, das DPP4 heißt. Wie fest das Virus an diesen Rezeptor bindet, entscheidet, ob es dem Virus gelingt, eine Zelle zu infizieren. Sollte sich der Merserreger wirklich verändert haben, dann wäre das Spike-Eiweiß der naheliegende Kandidat.

Drosten sequenziert den entsprechenden Genabschnitt der Viren aus Dschiddah. Sie sehen normal aus. Darum beginnt er das gesamte Erbgut einiger Erreger zu entziffern. Am Abend des 26. April schickt Drosten, der inzwischen in Saudi-Arabien eingetroffen ist, eine E-Mail an mehrere Forscher und zwei Journalisten: Er habe nun das vollständige Erbgut von drei der Virusproben vorliegen. Sie sähen völlig normal aus. Auch das Erbgut von vier weiteren Viren, die er später entziffert, ist unauffällig.

Viele Forscher sind erleichtert. Aber Bart Haagmans, ein Virologe aus dem Labor in Rotterdam, wo das Mersvirus entdeckt wurde, ist noch vorsichtig. Es sei zu früh, um Veränderungen des Virus auszuschließen, sagt er. Selbst im Erbgut von Grippeviren, das extrem gut erforscht ist, wüssten Wissenschaftler kaum, wonach sie Ausschau halten müssten, sagt er. „Über Coronaviren wissen wir viel weniger.“ Natürlich sei schwer auszuschließen, dass irgendeine winzige Veränderung, das Virus doch gefährlicher gemacht habe, sagt Drosten. „Aber mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ist so eine Veränderung nicht der Grund für den Anstieg der Fallzahlen.“

Aber was dann? Ziad Memish hat eine einfache Erklärung. Der stellvertretende Gesundheitsminister Saudi-Arabiens, mit dem Drosten zusammenarbeitet, sagt, bis vor kurzem seien nur Patienten mit einer schweren Lungenentzündung auf Mers untersucht worden. „Aber wegen des Medienhypes kamen immer mehr Menschen, die unter leichtem Fieber oder Husten litten, in Krankenhäuser und Notaufnahmen und wollten getestet werden.“ Mehr als 5000 Patienten seien in den letzten Wochen getestet worden, sagt Memish. Darum seien mehr Fälle, vor allem auch weniger schwerwiegende, entdeckt worden.

Denis Coulombier, einem Forscher am ECDC in Stockholm, reicht das als Erklärung nicht. Das Verhältnis von symptomatischen zu asymptomatischen Fällen habe sich kaum verändert, sagt er. Wäre Memischs Erklärung zutreffend, sollte der Anteil von Patienten, die keine Symptome zeigen, aber gestiegen sein. „Änderungen beim Testen allein erklären den Anstieg im April also nicht“, sagt Coulombier.

Drosten glaubt, dass auch ein Mangel an Krankenhaushygiene zu dem Anstieg beiträgt. Er hat das am schwersten betroffene Krankenhaus in Dschiddah nicht besuchen können, doch es soll dort wüst zugehen. Ärzte berichten, es sei völlig überfüllt, Patienten lägen tagelang in der Notaufnahme, teilweise auf dem Boden. „In so einer Situation erbricht sich jemand und dann stapfen da erst mal drei Kinder durch“, sagt Drosten. „Natürlich verbreiten sich so Keime.“ Ein Notfallteam von Ärzten und Hygieneexperten der WHO ist seit Montag vor Ort. Die Mediziner wollen sich aber erst nach ihrer Rückkehr nächste Woche äußern.

Und dann sind da noch die Kamele.

Ein Team um die niederländische Virologin Marion Koopmans vom Erasmus Medical Center in Rotterdam machte bereits im August 2013 eine wichtige Entdeckung: Die Forscher wiesen im Oman in 50 Dromedaren (so heißen die einhöckrigen Kamele, die in Afrika und dem arabischen Raum verbreitet sind) Antikörper gegen das Mersvirus nach. Das deutete darauf hin, dass die Tiere in der Vergangenheit mit dem Erreger infiziert waren. Kühe, Ziegen und Schafe, die ebenfalls getestet wurden, hatten dagegen keine solchen Antikörper. Übertrugen vielleicht Kamele das Virus?

Am Anfang waren viele Forscher skeptisch. „Das schien einfach so seltsam“, sagt Peter Daszak, der bei der Ecohealth Alliance in New York Tierseuchen erforscht. Genetisch habe das Virus nach einem Fledermausvirus ausgesehen. „Wir glauben nicht, dass Kamele irgendetwas damit zu tun haben“, sagte Memish damals.

In Saudi-Arabien sind Kamele ein zentraler Bestandteil der Beduinenkultur und ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Die Tiere liefern Fleisch und Leder. Kamelmilch ist ein beliebtes Getränk, Kamelurin soll gegen zahlreiche Krankheiten helfen. Es gibt Kamelrennen und Schönheitsparaden. In Saudi-Arabien habe das Kamel einen ungeheuer hohen Stellenwert, sagt Pamela Burger, eine Tierärztin an der Universität Wien, die die Domestizierung der Tiere erforscht. Manche Zuchthengste seien dort 25 Millionen Dollar wert. Viele Menschen wollen deshalb nicht glauben, dass Dromedare eine tödliche Krankheit verbreiten könnten. Ein Forscher, der nicht genannt werden will, drückt es drastischer aus: Im Nahen Osten sei das ungefähr so, als würde man jemandem sagen, seine Mutter sei eine Hure. „Das ist ein Tabu.“

Inzwischen haben Forscher aber nicht nur bei zahlreichen Kamelen in vielen Ländern Antikörper nachgewiesen. Sie haben auch Mersviren aus der Nase von Kamelen isoliert und ihre Gensequenz entschlüsselt. Sie entspricht fast Buchstabe für Buchstabe, dem Erbgut der Viren, die in Patienten gefunden wurden. In einer weiteren Studie, die demnächst im Fachblatt „Emerging Infectious Diseases“ erscheinen soll, hat Haagmans ein Virus aus einem Kamel in Qatar isoliert und damit im Labor menschliche Zellen infiziert. Die meisten Forscher sind sich deshalb einig, dass Kamele bei der Verbreitung von Mers eine entscheidende Rolle spielen.

In den vergangenen Monaten haben die Kamele im Nahen Osten ihre Jungen zu Welt gebracht. Der Nachwuchs könnte von den Eltern schnell mit dem Mersvirus infiziert werden und die Erreger dann in hohen Zahlen ausbrüten, glaubt Drosten. Das könnte das Risiko erhöhen, dass sich Menschen anstecken, und erklären, warum Ärzte im Frühjahr einen Anstieg der Infektionen feststellen.

Wie genau das Virus den Sprung vom Kamel zum Menschen schafft, ist weiterhin unklar. Rohe Kamelmilch ist eine Möglichkeit. Amerikanische Forscher haben gezeigt, dass das Mersvirus in gekühlter Milch mindestens 72 Stunden stabil ist. Möglich ist auch, dass das Virus durch das Fleisch der Tiere übertragen wird. Oder dass sich Menschen anstecken, wenn sie winzige Staubpartikel einatmen, an denen die Erreger kleben, nachdem sie von Kamelen ausgeschieden wurden.

Marion Koopmans und Forscher in Qatar wollen nun bei Kamelen und Menschen auf 500 Farmen nach Antikörpern im Blut und Viruserbgut in Rachen und Nase suchen. Zugleich werden sie die Menschen nach ihren Gewohnheiten und ihrer Ernährung befragen, um so herauszufinden, durch welches Verhalten sich Menschen anstecken. Die Studie ist ein Kraftakt, sagt Koopmans. So seien alleine 80 Menschen ausgebildet worden, um die Teilnehmer zu befragen.

Solche Studien seien dringend nötig, sagt Mike Osterholm, ein Experte für Infektionskrankheiten an der Universität von Minnesota. Die Krankenhausausbrüche unter Kontrolle zu kriegen, sei wichtig. Aber das sei, als würde man bei einem Wasserschaden zu Hause die Überschwemmung aufmoppen, den Wasserhahn aber nicht zudrehen, sagt Osterholm. „Solange Kamele das Virus auf Menschen übertragen, geht das weiter.“

Eine Möglichkeit wäre es, einen Impfstoff für Kamele zu entwickeln. „Das ist das Beste, was wir tun können“, sagt Drosten. Tatsächlich haben zahlreiche Forscher bereits Kandidaten dafür. Doch sie stecken in der Klemme, denn es gibt kein Tier, an dem sie die Impfstoffe testen können. Frettchen, Affen, Hasen, Mäuse: Kaum ein Labortier scheint einen Atemwegsinfekt zu entwickeln, wie Menschen. Und Labore, in denen mit einem tödlichen Virus an Kamelen geforscht werden kann, gibt es kaum. Bisher war man in der westlichen Welt vor allem an Rindern, Pferden und Schafen interessiert.

Eine Lösung für das Dromedardilemma ist also erst einmal nicht in Sicht. Und jeder Mensch, den das Virus infiziert, ist eine weitere Chance für den Erreger, sich doch noch anzupassen, warnt Osterholm. Man könne zwar hoffen, dass das nie passiere, sagt er. „Aber wenn das doch geschieht, dann werden wir uns alle anschauen und fragen: ,Warum haben wir nicht mehr gemacht?‘“

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