Hitze-Phänomen in 40 Jahren verdoppelt: Wo die Klimaerwärmung lebensgefährlich wird
Die globale Erwärmung zieht in einigen Regionen extreme Temperaturen nach sich. Wie groß ist die Gefahr? Und wie kann man sich schützen?
Die Erderwärmung verändert die Lebensräume. Tiere- und Pflanzen „wandern“ – wenn sie können – polwärts oder bergan, um in ihrem Komfortbereich zu bleiben. In Teilen ihrer angestammten Lebensräume wird es schlicht zu heiß.
Das gleiche Schicksal droht auch den Menschen. Manche Regionen werden bald kaum mehr bewohnbar sein, warnen Wissenschaftler. Schon heute gibt es bewohnte Orte, die zeitweise lebensfeindlich sind. Die ideale Umgebungstemperatur für den menschlichen Körper beträgt mit Kleidung 21, nackt 28 Grad Celsius. Dann muss er am wenigsten Energie investieren, um seinen Wärmehaushalt zu regulieren.
11 bis 15 Grad Celsius im Jahresmittel empfindet der Mensch als ideal
Die Temperatur ist aber nicht allein entscheidend. Tatsächlich siedelt er bevorzugt in etwas kühleren Gegenden. Zwischen 11 und 15 Grad im Jahresdurchschnitt sind demnach ideal, haben Forscher um Marten Scheffer von der Universität Wageningen herausgefunden. Sie berufen sich auf Daten zu Klima, Besiedlung und Landnutzung aus den vergangenen 6000 Jahren.
Landwirtschaftliche Erträge sowie die generelle Wirtschaftsleistung wären in diesem Klimafenster am besten, berichten sie im Fachjournal „PNAS“ und warnen: Diese Nischen könnten sich in den kommenden fünf Jahrzehnten stärker verschieben als in den vergangenen sechs Jahrtausenden. „Ohne Migration könnte 2070 ein Drittel der Weltbevölkerung von einer Jahresdurchschnittstemperatur von mehr als 29 Grad betroffen sein.“
Heute seien diese Bedingungen auf gerade 0,8 Prozent der Landoberfläche zu finden, vor allem in der Sahara. Künftig seien auch Teile von Südamerika, Afrika und Südostasien bedroht. Bis zu drei Milliarden Menschen wären mit einem Klima konfrontiert, das zu warm für ein gedeihliches Leben wäre.
Scheffer und seine Kollegen haben allerdings sowohl beim Treibhausgasausstoß als auch bei der sozioökonomischen Entwicklung eher pessimistische Szenarien ausgewählt. Unstrittig ist aber, dass die steigenden Temperaturen ein Problem sind. Schon heute.
Das zeigt etwa eine neue Studie von Colin Raymond von der Columbia University und seinen Kollegen, die jetzt in „Science Advances“ erscheint. Sie haben die sogenannte Feuchtkugeltemperatur analysiert, im Englischen mit TW abgekürzt ( von „wet-bulb temperature“).
Man darf sie nicht mit dem auf einem Thermometer angezeigten Wert verwechseln, auch wenn die Einheit ebenfalls Grad Celsius ist. TW kombiniert Lufttemperatur und -feuchtigkeit und basiert auf dem Effekt, dass die Verdunstung abnimmt, je feuchter die Luft ist.
Irgendwann funktioniert auch Schwitzen nicht mehr, um kühl zu bleiben
Verdunstung aber ist entscheidend, um den Körper vor Überhitzung zu bewahren: Indem Schweiß verdunstet, wird die Haut gekühlt, sogar dann noch, wenn die Umgebungstemperatur über der des Körpers liegt. Bei sehr feuchter Luft funktioniert das nicht mehr. Übersteigt die TW 35 Grad Celsius, dann versagt die Wärmeregulation.
Selbst Gesunde, die sich im Schatten befinden und sich nicht bewegen müssen, droht binnen Stunden der Tod. Aktivitäten sind bereits ab TW 32 Grad kaum möglich, Risikogruppen wie Alte und Kleinkinder gelten schon ab niedrigeren TW-Werten als gefährdet.
Die gefährlichen TW-Werte von 35 Grad galten bisher als Extremfälle, die erst in der Mitte des Jahrhunderts erreicht werden, schreibt das Team um Raymond. Tatsächlich seien sie bereits mehrfach in subtropischen Küstenregionen aufgetreten, wenn auch nur vorübergehend für wenige Stunden.
Die Forscher berufen sich auf archivierte Wetterdaten, die erneut analysiert wurden. Da die Kombination aus großer Hitze und Feuchtigkeit sowohl örtlich als auch zeitlich eng begrenzt ist und es nicht überall Wetterstationen gibt, seien diese hohen TW-Werte bislang von den Modellen „übersehen“ worden.
Extreme Bedingungen heute doppelt so häufig wie noch vor 40 Jahren
Gemäß der Studie treten so extreme Bedingungen schwüler Hitze heute mehr als doppelt so häufig auf wie vor 40 Jahren. Besonders gefährdet sind abgegrenzte Meeresküstengebiete in den Subtropen mit flachem Wasser, das sich stark aufheizt und die Luftfeuchtigkeit erhöht.
Dazu gehören Landstriche am Golf von Kalifornien und dem Persischen Golf; weiterhin Teile Südostasiens, wo der Monsun eine Rolle spielt. Besonders in den letztgenannten Gegenden leben Millionen von Menschen, die extremer Feuchte und Hitze ausgesetzt werden, lautet das Fazit der Autoren.
Für Europa erscheinen schwül-heiße Extremlagen, wie sie etwa aus Indien bekannt sind, eher unwahrscheinlich, insbesondere für Deutschland. Trotzdem muss man auch hier mit gefährlicher Hitze rechnen.
Was dabei mit dem Körper passiert, erforscht Hanns-Christian Gunga, Professor für Physiologie in Extremen Umwelten an der Charité Berlin. „Hitze wirkt vielfältig auf den Körper“, erklärt er. „Das Herz-Kreislauf-System und der Flüssigkeitshaushalt werden belastet, die Folgen sind Hitzekollaps, Hitzschlag, bis hin zum Tod.“ Wobei letzterer selten eindeutig einer Hitzewelle zugeordnet werden kann, sondern erst später durch eine „Übersterblichkeit“ während der Hitzezeit in der Bevölkerung erkennbar wird. „Gerade längere Hitzephasen belasten den Körper, weil er auch nachts mit dem Wärmemanagement voll zu tun hat und nicht zur Ruhe kommt.“ Ein Beispiel hierfür ist der Sommer 2003, mit schätzungsweise 70 000 Hitzetoten in Europa.
Für jenen Sommer wird ein volkswirtschaftlicher Schaden von rund zehn Milliarden Euro angenommen, etwa für Waldbrände, zusätzliche Gesundheits-, Energie- und Versicherungskosten. Noch nicht einberechnet ist die verminderte Leistungsfähigkeit der Menschen. „Bei starker feuchter Hitze bedeutet eine Erwärmung um zwei Grad, dass die Produktivität etwa um die Hälfte abnimmt“, sagt Gunga.
Mehr Hitze bedeutet weniger Ernte und mehr Hunger
Durch körperliche Arbeit entsteht noch mehr Wärme, die abtransportiert werden muss. Instinktiv bewegt man sich langsamer und schafft weniger. Dies kann gravierende Folgen haben, insbesondere in Gegenden mit Subsistenzwirtschaft, die naturgemäß draußen stattfindet, wie südlich der Sahara: mehr Hitze bedeutet weniger Ernte und mehr Hunger.
Wie die Klimaänderungen in dieser ohnehin heißen Region wirken, erforscht aktuell ein DFG-Projekt in Nouna (Burkina Faso) und Kisumu (Kenia). „Wir möchten herausfinden, zu welchen Zeiten der Hitzestress am größten ist.“, sagt Gunga, „und ob Frauen anders darauf reagieren als Männer, denn dazu gibt es bislang kaum Daten.“
Je 30 Paare erhalten dazu zwei Jahre lang einen Sensor am Handgelenk, der die körperlichen Aktivitäten erfasst. Einmal im Monat tragen die Probanden zusätzlich einen Sensor am Kopf, der die Körperkerntemperatur misst sowie ein kleines EKG-Gerät.
Studie soll klären, wie sich der Mensch auf Extremtemperaturen reagieren
Kombiniert wird all das mit lokalen Wetterdaten. Resultat sollen umfassende Informationen sein, wie Menschen im Alltag auf Extreme reagieren und wie rasch sie sich erholen. Als Entschädigung für die Mitarbeit erhalten die Familien eine Versicherung und medizinische Betreuung.
„Eine gewisse Anpassung kann der Körper leisten, aber nicht über die physiologische Grenze hinaus“, sagt Gunga. Es sei wie sieben Minuten ohne Sauerstoff: „Das ist auch nicht verhandelbar.“
Was die Physiologie nicht schafft, muss bei steigenden Temperaturen die Technologie leisten. Am bekanntesten: Klimaanlagen. Doch diese verbrauchen laut Internationaler Energieagentur (IEA) schon heute rund ein Zehntel des weltweit erzeugten Stroms und tragen so zum weiteren Kohlendioxid-Ausstoß bei.
Und sie sind ungleich verteilt. Haushalte in den USA und Japan sind zu 90 Prozent damit den ausgestattet; von den knapp drei Milliarden Menschen in den heißen Regionen haben im Schnitt nur acht Prozent ein solches Gerät. Mit steigendem Wohlstand wird nachgerüstet, der Stromverbrauch für die Klimaanlagen könnte sich gegenüber heute verdreifachen, schätzt die Agentur.
Ein guter Anteil ließe sich durch erneuerbare Energien, vor allem Solarstrom, decken. Denn die Anlagen werden am stärksten genutzt, wenn die Sonne scheint. Eine einfache Möglichkeit, Ressourcen zu schonen und Emissionen zu reduzieren, bestünde laut IEA-Chef Fatih Birol darin, schon jetzt hohe Effizienzstandards festzulegen.
Eine weitere Option, den Energieverbrauch von Klimaanlagen zu reduzieren sind „cool roofs“ – Dächer, die Sonnenstrahlung weitgehend reflektieren beziehungsweise Wärme gut abstrahlen, wodurch es im Gebäude länger kühl bleibt. Als besonders wirksam gelten Folien aus Thermoplast (PVC) sowie Beschichtungen.
Hitze macht aggressiver
Allerdings gelten Kunststoffe bei Dachkonstruktionen als maßgebliche Quelle für Mikroplastik in der Umwelt. Die Materialien altern im Lauf der Zeit, Fragmente werden fortgeweht oder mit dem Regenwasser weggespült. Je nach Verarbeitungsqualität könnten auch cool roofs zum Problem werden.
Fraglich ist zudem, ob die Technologie für Millionen von Häusern weltweit geeignet ist – oder ob es umweltfreundlichere Alternativen gibt. Hierzu könnten etwa Gründächer zählen, zumindest dort, wo es in Hitzemonaten nicht an Wasser fehlt. Zwar reflektieren diese weniger Sonnenstrahlung, doch Verdunstung sorgt ebenfalls für ein kühleres Mikroklima. Biomasse und Substrat wirken außerdem als Isolierung.
Jedes Grad, das Menschen erspart wird, verbessert ihre Lage. Denn nicht nur der Körper leidet darunter. „Bei hohen Temperaturen nimmt die Häufigkeit von Depressionen zu, ebenso die Aggressivität“, sagt Gunga. Das hänge mit dem Hormon Vasopressin zusammen, das dann vermehrt ausgeschüttet wird. Es sorgt dafür, dass Flüssigkeit im Körper gehalten wird, mache aber aggressiv. „Die erhöhte Gereiztheit während einer Hitzewelle bringt zusätzlichen Stress für die Gesellschaft“, sagt der Mediziner und rät: Viel trinken und für Abkühlung sorgen.