Corona-Modellierer zu Delta und einer 4. Welle: Wir wissen, was wir letzten Sommer – nicht genügend – getan haben
Kai Nagel, Corona-Modellierer von der TU Berlin, zieht die Lehren aus dem Jahr 2020. Er prognostiziert: „Jetzt gut vorbereiten, schnell handeln.“
Kai Nagel ist eigentlich an der TU Berlin Professor für die Planung von Verkehrssystemen. Seine Pandemie-Prognosen machten ihn aber auch zu einem der meistzitierten Corona-Experten. Wir haben ihn gefragt, was die Modellrechnungen seines Teams zur Wahrscheinlichkeit einer unter anderem durch die Delta-Variante ausgelösten vierten Welle sagen - und was zur Frage, wie man ihr begegnen sollte.
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Herr Nagel, derzeit sinken die Inzidenzen. Doch der Anteil der Delta-Variante nimmt zu. Wird sie auch bei uns eine vierte Welle auslösen?
Das kommt darauf an, wie wir reagieren.
Was sagen Ihre Modelle dazu unter Einbeziehung dessen, was man über die „indische“ Variante „Delta“ weiß, aus?
Wenn wir das Wissen über die Delta-Mutante und den über die Zeit nachlassenden Impfschutz zusammennehmen, ergibt sich in unserem Modell bei ausbleibenden Gegenmaßnahmen eine vierte Welle in den Übertragungen. Bei Geimpften und Genesenen, Kindern und Jugendlichen erzeugt dies voraussichtlich meist keine schweren Verläufe. Allerdings werden nahezu alle Nicht-Immunisierten durch die Welle ungefähr gleichzeitig infiziert. Im Modell führt das immer noch zu einer erheblichen Belastung der Kliniken. Es ist plausibel, dass diese Welle zum Ende der warmen Jahreszeit kommt. Sie kann aber auch früher einsetzen.
Welches wären jetzt die wichtigsten vertretbaren und praktikablen Werkzeuge, einer solchen vierten Welle vorzubeugen?
Möglichst viele Personen müssten so schnell wie möglich geimpft sein. Die Daten zu Delta zeigen, dass die Zweitimpfung eine entscheidende Rolle spielen könnte. Alle brauchen also die zweite Dosis. Dazu müsste eine genaue Überwachung und eventuell Ausweitung der Sequenzierungen kommen.
Nur so wird es möglich sein, rechtzeitig eine exponentielle Ausbreitung von Delta oder anderer problematischer Varianten zu erkennen. Wir müssten uns vorbereiten, die Testpflicht in den Schulen auch nach den Sommerferien aufrechtzuerhalten. Das ist nicht nur sinnvoll, um vor Ort jeweils Infektionen zu minimieren, sondern auch, um eine Übersicht über betroffene Bevölkerungsgruppen zu bekommen.
Als eine Ursache der Probleme im vergangenen Herbst und Winter wurde angeführt, man habe im Sommer 2020 zu sehr die Zügel schleifen lassen...
Die Konsequenz muss sein, dass wirklich schon jetzt umfassend eine gute Vorbereitung auf eventuell notwendige Maßnahmen im Herbst beginnt.
[Mehr zum Thema: Im Glas oder besser aus der Flasche? Wie Keime mit Getränken übertragen werden können (T+)]
Was sagen Ihre Daten, welches in einer frühen Phase, da sich die vierte Welle abzeichnet, die effektivsten Maßnahmen wären?
Das sind Dinge, die wir kennen, die erprobt sind, aber auch optimierbar: Eine Teststrategie vor Restaurantbesuchen, eine Maskenpflicht im Öffentlichen Personennahverkehr und ein Mix aus beidem beim Einkaufen, in Mehrpersonenbüros, in Bildungseinrichtungen und dergleichen sollten dann schnell und bevor die Zahlen uns dann ohnehin zu Restriktionen zwingen, hochgefahren werden.
Was heißt schnell?
Wenn exponentielles Wachstum einsetzt. Reicht dies nicht aus, muss das Aktivitätsniveau wieder reduziert werden, vor allem in problematischen Kontexten.
Welche sind das?
Innengastronomie, Kneipen, Bars, Discos etwa. Private Feiern in Innenräumen haben nach unseren Daten auch eine wichtige Rolle gespielt und es müsste hier dann auch wieder Einschränkungen geben – und Einsicht. Und Schulen müssten zurück in den Wechselunterricht.
Das würde massiv auf Widerstand stoßen.
Ja, aber dies wäre einer der effektivsten Hebel, insbesondere, weil an den Schulen der Anteil der Ungeimpften voraussichtlich nach wie vor sehr hoch sein wird. Hoffen wir, dass es nicht so schlimm kommt …
Der Anteil der Delta-Variante nimmt stark zu. Sieht man für sie bereits exponentielles Wachstum? Müsste es dann Ihrer Meinung nach auch jetzt schon statt Lockerungen eher in die andere Richtung gehen?
Die neuesten Auswertungen des RKI zeigen, dass Delta einen immer größeren Anteil der Infektionen ausmacht. Jedoch ist in den letzten beiden Wochen auch bei Delta die absolute Zahl rückläufig, so dass aktuell nicht von exponentiellem Wachstum auszugehen ist. Da es bisher nur wenige Delta-Fälle gibt, können die Daten jedoch schwanken. Die Situation muss genau beobachtet werden, um bei steigenden Zahlen zügig zu reagieren.
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