Die meisten sind noch nicht geimpft: Noch eine Durchhalteparole
Vor ein paar Wochen noch Horrorszenarien, jetzt Hoffnungs- und Öffnungsarien. Die Wahrheit aber liegt wie so oft in der ungeliebten Mitte. Ein Kommentar.
Viel ist in der Pandemie diskutiert, lamentiert, appelliert worden zu einem Thema: Eigenverantwortung, vorsichtigem, umsichtigem, vorausdenkendem Handeln auch jenseits von Maßnahmen und Vorgaben.
Viel spricht dafür, dass dies akkumulierte, freiwillige, einsichtige, vorsichtige Handeln - und Meiden - in Zeiten, als sich die Zahlen bedrohlich entwickelten, Warnungen laut waren, massiven Einfluss auf die Entwicklung hatte.
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Gleiches gilt, in die andere Richtung, für die akkumulierten privaten Lockerungen, als das Schlimmste schon überstanden schien. Der auf ihrem Weg durch die Institutionen gebremsten Bundesnotbremse etwa ging offensichtlich eine Notbremse der kollektiven Vorsicht und Selbstbeherrschung voraus.
Zwar gab es weitere Einflussfaktoren, aber anders ist der relativ früh sichtbar gewordene Bremseffekt kaum zu erklären. Anders herum ist aber auch sicher, dass die niedrigen Zahlen und die Lockerheit des vergangenen Sommers dazu beigetragen haben, dass die zweite Welle früh und hoch kam.
Es gibt derzeit eine Menge Gründe, optimistisch zu sein. Allein, dass es Sommer wird, ist einer davon. Dass es immer mehr Geimpfte gibt, ist ein anderer. Doch nach wie vor ist ein Großteil der Menschen in Deutschland weder per Spritze noch nach durchgemachter Infektion ausreichend geschützt.
Viele sind skeptisch den Impfstoffen gegenüber, und die sinkenden Zahlen tragen bei jenen Zögernden nicht dazu bei, sich für die Spritzen zu entscheiden. Und die Jüngsten können bislang gar nicht geimpft werden.
Aber wenn Christian Drosten Recht hat – und das hatte er recht oft – werden sich fast alle, die sich nicht impfen lassen, infizieren. Zwar wird zurecht auf die logischerweise fehlenden Langzeit-Daten zu möglichen Neben- oder Folgewirkungen der Impfungen hingewiesen. Und in Einzelfällen gibt es schwere Impfschäden. Doch das gilt für fast alle Impfungen. Und nur durch die täglich Millionen erreichende Impfkampagne und die intensivste Überwachung und Meldung von Nebenwirkungen, die es je gegeben hat, fallen sie überhaupt so deutlich auf.
Die Risiken des Impfens und des Nichtgeimpftseins
Wenn die Infektionswahrscheinlichkeit bei praktisch 100 Prozent liegt, dann sprechen die verfügbaren Daten eine deutliche Sprache: Schwere Folgen bis hin zum Tode sind in allen bisher untersuchten Altersgruppen nach einer Infektion um ein Vielfaches wahrscheinlicher als nach einer Impfung. Bei denen, die noch nicht geimpft werden können, sollte dann aber auch nach wie vor das zumutbar Mögliche versucht werden, Infektionen zu verhindern.
Jede so gewonnene Woche erhöht die Chance auf möglichst sichere Impfstoffe für alle und auf bessere Behandlungsmöglichkeiten für die, die erkranken. Und jede verhinderte Infektion macht es auch den bekannten und noch dräuenden Varianten schwerer. Fenster auf, Luftfilter, Testen, Masken, Abstand sind Einflussmöglichkeiten, die es hier gibt und bei denen man nicht lockern und auch nicht lockerlassen sollte.
Die Pandemie ist nicht vorbei. Bei uns nicht, weltweit ohnehin nicht. Sie war bei uns bislang auch nicht so folgenreich wie sie hätte sein können. Wir hätten es aber auch noch viel besser machen, viel mehr Leben retten, Leiden verhindern können. Wie sehr wir selbst offenbar in der Lage waren, den Ausschlag des Pandemiependels zu beeinflussen, sollte uns helfen, mit positivem Ausblick – aber auch mit den Einsichten dieser anderthalb Jahre – die hoffentlich finale Phase zu meistern.
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