Xenotransplantation: 62 Virengene aus dem Erbgut von Schweinen getilgt
Umfangreiche Genomveränderungen sollen Schweineorgane verträglicher für den Menschen machen.
Mit dem Wort „Durchbruch“ geht Joachim Denner vom Robert-Koch-Institut in Berlin sehr sparsam um. Der Kunstgriff der Kollegen der Harvard-Universität, die 62 Virusgene aus dem Schweinegenom geschnitten haben, sei jedoch ein „wahrer Durchbruch“. Denn damit werden Xenotransplantation, das Verpflanzen eines Schweineorgans in einen Patienten, ein gutes Stück sicherer.
Viren aus dem Erbgut putzen
Patienten mit Organversagen tierisches Gewebe einzusetzen, ist aufgrund bestimmter Viren bisher nicht praktikabel. Denn auch wenn Medikamente die Abstoßung des artfremden Organs unterdrücken könnten, hätte ein Überspringen von tierischen Viren auf den Menschen unabsehbare Folgen. Zwar kann man Schweine steril aufziehen und so züchten, dass sie frei von Virus- und Bakterieninfektionen sind. Doch Porcine Endogene Retro-Viren (PERV) verstecken sich im Schweineerbgut. „PERV sind das größte mikrobiologische Risiko für die Xenotransplantation“, sagt Denner.
Die Arbeitsgruppe von George Church hat jetzt an 62 Stellen PERV-Gene aus dem Erbgut von Schweinenierenzellen herausgeschnitten. Damit zerstörten sie die Geninformation zur Produktion eines wichtigen Virusproteins, der Reversen Transkriptase. Die Retro-Viren konnten sich nicht mehr vermehren und könnten sich bei einer Xenotransplantation nicht mehr in menschliches Erbgut einbauen.
Jede einzelne Genveränderung verstehen
Das gleiche Experiment hat Joachim Denner schon im Frühjahr dieses Jahres durchgeführt, wenn auch mit einer anderen, älteren Genschere als die Amerikaner. „Wir haben sogenannte Zinkfinger-Genscheren verwendet“, sagt der Virologe. „Aber die Zellen starben danach ab.“ Die Reparaturmechanismen der Zellen waren wohl mit den vielen Schnitten der „Zinkfinger“ im Erbgut überfordert. Churchs Arbeitsgruppe verwendete hingegen eine andere Genschere, genannt Crispr/Cas9. Und diese Prozedur überlebten die Zellen nicht nur. Eine Überprüfung des veränderten Erbguts ergab „keine erkennbaren Genomrearrangements“, schreiben die Forscher im Fachblatt „Science“. Außerdem war die Fähigkeit der Schweinezellen, menschliche Zellen in einer Zellkultur mit PERViren anzustecken, mindestens tausendfach reduziert.
In Deutschland züchtet Eckhard Wolf von der Ludwig-Maximilians Universität in München Schweine für die Xenotransplantation. Auch er nutzt inzwischen die Crispr-Genschere. "Die ersten drei mit Crispr veränderten Schweine haben wir bereits." Zwar hält er es für beachtlich, dass Church so viele Gene mit der Methode verändern konnte. Doch an einem Wettkampf um die meisten Genveränderungen mag er sich nicht beteiligen. "Uns ist wichtig zu verstehen, was jede einzelne Genveränderung bewirkt", sagt Wolf. Dazu müsse man sich jede einzelne genau ansehen können. Schon bei zwei Genveränderungen sei schwer nachzuvollziehen, auf welche ein bestimmter Effekt zurückzuführen ist. "Außerdem zeigt die Erfahrung, dass die Zulassungsbehörden umso aufgeschlossener sind, je weniger Veränderungen bei einer neuen medizinischen Methode zu berücksichtigen sind."
Xenotransplantation auf einem guten Weg
„Seit Jahrzehnten schon will ich dieses Experiment machen“, sagte Church dem Fachblatt „Nature“. Jetzt sei es endlich gelungen. In einer anderen, noch unveröffentlichten Versuchsreihe hat Church, dessen Firma eGenesis sich auf die Produktion gentechnisch veränderter Schweine für die Organtransplantation spezialisiert hat, sogar weitere 20 Schweinegene so verändert, dass die Schweinezellen vom menschlichen Immunsystem nicht mehr als fremd erkannt werden.
Ob sich die Experimente so wiederholen lassen, dass daraus lebende, PERV-freie Schweine entstehen, sei zwar noch offen, sagt Denner. Aber die Xenotransplantationsforschung sei jetzt auf einem „guten Weg.“ Gegenüber "Nature" lässt Church verlauten, dass er bereits Schweineembryonen geschaffen hat, deren Erbgut entweder PERV-frei ist oder 20 andere Genveränderungen enthält und die kurz davor sind, in die Gebärmutter einer Sau eingepflanzt zu werden. Auf dem Geländer der Harvard Medical School seien bereits Räumlichkeiten geschaffen worden, um die Schweine unter möglichst sterilen Bedingungen aufziehen zu können.