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Überzogene Erwartungen. Nach Hunderten von Studien weltweit wurde bisher kein einziges Mittel gefunden, das spezifisch gegen Covid-19 hilft. Das betreffe auch den Arzneistoff Remdesivir, wie Infektiologe Peter Kremsner betont.
© Zsolt Czegledi/dpa

Medikamente gegen Covid-19: „Wir haben kein einziges Mittel, das hilft“

Erste Impfstoffe gibt es jetzt. Doch trotz vieler Studien fehlt noch immer eine wirksame Therapie gegen Covid-19, sagt Tübingens Infektiologe Peter Kremsner.

Der Infektiologe und Tropenmediziner Peter Kremsner, 1961 in Wien geboren, habilitierte sich 1992 an der Humboldt-Uni Berlin. Seit 2008 ist er Leiter der Tropenmedizin der Uniklinik Tübingen.

Professor Kremsner, zwei RNA-Impfstoffe gegen Covid-19 haben bereits Wirksamkeit gezeigt, Sie leiten die Zulassungsstudie des dritten, entwickelt von der Tübinger Firma Curevac. Warum haben Sie sich für diesen entschieden?
Wir haben viele Angebote bekommen, darunter sehr interessante Impfstoff-Ansätze, haben uns dann aber für einige wenige und zuerst für den Curevac-Ansatz entschieden. Zum einen, weil wir ihn als sehr erfolgversprechend ansehen. Zum anderen: Ich bin seit 25 Jahren hier in Tübingen, habe die Gründung von Curevac mitverfolgt und in den vergangenen Jahren auch bereits erste Tests ihrer RNA-Impfstoffe gegen Malaria oder auch Lassafieber mitgestaltet.

Curevacs Zulassungsstudie soll in den nächsten Tagen starten. Warum hat es länger als bei anderen gedauert?
Man kann das auch anders sehen: Ein paar sind schneller, aber fast dreihundert sind langsamer. Entscheidend ist ja am Ende die Verträglichkeit der Impfstoffe, ihre Wirksamkeit und auch die mögliche Liefermenge. Wir werden auf jeden Fall mehrere Impfstoffe brauchen, um die Pandemie schnell zu beenden.

Welche Covid-19-Impfstoffe testen Sie noch?
Zum Beispiel den Impfstoff der Firma IDT Biologika, der vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung entwickelt wurde. Das ist ein umfunktioniertes Pockenvirus, dem ein Gen aus dem Sars-CoV-2-Virus eingesetzt wurde, das S-Gen. Es enthält den Bauplan für die „Stachel“-Proteine in der Hülle des Virus, mit denen die Viren in die menschlichen Zellen gelangen.

Anfang nächsten Jahres werden wir auch die ersten klinischen Tests eines Impfstoffs auf Basis des Schafbockvirus starten, dem neben diesem S-Gen ein zweites Gen aus dem Coronavirus eingebaut wird, ein „nukleocapsid“-Gen, das für ein weiteres Protein der Virushülle codiert.

Und im Mai wollen wir eine Impfstoff-Idee testen, die den Typhus-Impfstoff Ty21a verwendet. Der wird seit 40 Jahren erfolgreich als Schluckimpfung eingesetzt und wird jetzt zusätzlich mit Sars-CoV-2-Genen ausgestattet. Dann hätte man einen Impfstoff, der gleichzeitig gegen Typhus- und Sars-CoV-2 schützt, der aber oral einnehmbar wäre.

Die Hoffnung ist, dass dieser Impfstoff Infektionen schon in der Nasen- und Rachenschleimhaut verhindern könnte, was bei den anderen Impfstoffen nicht so sicher ist. Das könnte eine echte Verbesserung bringen.

Sie denken, dass die ersten Impfstoffe nur Covid-19-Erkrankungen, nicht aber die anfängliche Infektion mit den Viren verhindern?
Ich hoffe, dass sie es können, aber es muss nicht so sein. Krankheitsverhinderung ist offenbar möglich. Aber ob die Vakzine die Infektion per se schon verhindern, das wissen wir erst, wenn wir alle Informationen aus den Studien haben.

In der Curevac-Studie testen wir auch den Infektionsstatus der geimpften und nichtgeimpften Teilnehmer sowohl aktiv durch regelmäßige Tests als auch passiv – das heißt, die Teilnehmer melden sich, wenn sie Symptome haben, und werden dann getestet.

[Mehr zum Thema: Niemand glaubte an seine Idee - dieser Mann hat den Corona-Impfstoff erst möglich gemacht (T+)]

Wenn man genug reine Infektionen ohne Erkrankungen feststellt, dann kann man auch über die Schutzwirkung des Impfstoffs vor Infektionen eine Aussage machen. Etwa wenn sehr viel mehr Corona-Infektionen in der Gruppe der Nichtgeimpften auftauchen als in der Gruppe der Geimpften.
All diese Impfstoffstudien sind in großer Eile durchgeführt worden – wie hat das Ihren Alltag verändert?
Ich habe immer schon viel zu tun gehabt, aber jetzt hat das Arbeitspensum Ausmaße angenommen, wie ich es nur aus der Frühphase meiner Laufbahn kenne. Abends bis Mitternacht, morgens um 7 Uhr geht es weiter. Ich bin eigentlich ständig müde, wenigstens morgens – gewissermaßen Covid-19-Symptome, aber durchgehend seit März. (lacht)

Was ist das für Arbeit, wenn Sie nicht gerade mit Journalisten reden?
Auch das nimmt inzwischen ein bis zwei Stunden pro Tag ein. Aber eigentlich machen wir klinische Studien, hier am Institut und in unseren Partnereinrichtungen in den Tropen in Gabun, Kongo und Vietnam. Jetzt, mit all den Covid-19-Studien sowohl an Impfstoffen als auch Therapien, gibt es viel Druck aus der Öffentlichkeit, von Politikern, von der Klinikleitung, von der Pressestelle, der Presse selbst …

Wie äußert sich der Druck aus der Politik?
Druck ist vielleicht nicht das richtige Wort. Wir arbeiten eng mit höchsten Stellen zusammen, sodass Forschungsförderung in ordentlicher Höhe in kurzer Zeit möglich wird, was dann aber auch mit großen Erwartungen verbunden ist.

Mit überzogenen Erwartungen?
Mitunter schon. Zum Beispiel sind unsere Covid-19-Therapie-Studien im Sommer alle versandet, weil es keine Fälle mehr gab. Das konnte ich nicht ändern und mit den Forschungsgeldern konnte man auch nicht einfach in andere Länder gehen und die Studien dort weiterführen, wo es noch genug Covid-19-Patienten auf den Stationen gab.

Was für Therapiestudien sind das?
Wir haben das Malaria-Medikament Hydroxychloroquin getestet auf seine Wirkung bei Covid-19-Patienten. Die Studie läuft noch.

Die große „Recovery“-Studie ist abgeschlossen: Das Mittel hat nicht geholfen, eher geschadet.
Die Kollegen in Großbritannien haben die Patienten für diese Studie etwa 100 Mal so schnell rekrutiert wie wir. Und das lag nicht nur daran, dass es hier weniger Patienten gab, sondern auch daran, dass wir nur solche Patienten in die Studie eingeschlossen haben, für die Hydroxychloroquin gut verträglich ist.

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Für Patienten aber, die schon andere Medikamente nehmen, bestimmte Auffälligkeiten im EKG zeigen oder Nierenversagen oder Ähnliches haben, schadet das Medikament mehr, als es hilft. In die Recovery-Studie wurden dennoch 70 Prozent aller Covid-19-Patienten aufgenommen, bei uns waren es nur fünf Prozent.

Außerdem bekamen die Recovery-Patienten das Drei- bis Fünffache der Dosis, die wir verabreicht haben: 2,5 Gramm innerhalb von 24 Stunden, nur wenig mehr kann tödlich sein. Das würde ich nie machen. Man kann das heroisch oder pragmatisch nennen oder aber unethisch.

Denken Sie denn, dass Hydroxychloroquin eine Wirkung zeigen würde in besseren Studien?
Ich bin beteiligt an einer Metaanalyse, die alle Placebo-kontrollierten, randomisierten, sehr sorgfältig durchgeführten Hydroxychloroquin-Studien sichtet. Da sieht man eine Tendenz, dass es wirken könnte, wenn auch nur marginal.

Aber insgesamt muss man sagen, dass man nach Hunderten von Studien weltweit bisher kein einziges Mittel gefunden hat, das spezifisch gegen Covid-19 hilft. Und da schließe ich Remdesivir ausdrücklich mit ein.

Aber Remdesivir wurde von den US-amerikanischen und europäischen Behörden zugelassen für die Behandlung von frühen Covid-19-Fällen.

Ja, von der FDA ist man inzwischen ja vieles gewöhnt, aber leider hat es auch die EMA zugelassen – voreilig aus meiner Sicht. Denn es gibt nur eine einzige Studie, mit rund tausend Patienten, die einen deutlichen Unterschied in der Krankheitsdauer, nicht aber in der Sterberate und anderen, wichtigeren Parametern zeigt.

In anderen Placebo-kontrollierten Studien, und darunter auch die größte, die „Solidarity“-Studie der WHO, ist gar kein Vorteil von Remdesivir festzustellen. Ich selbst würde es nicht nehmen oder meinem Vater oder sonst wem verschreiben. Es ist nur teuer und sonst nichts.

Was ist mit Dexamethason, das soll bei schwerem Verlauf helfen?
Das wurde bejubelt, aber das ist nichts Neues, nichts Spezifisches gegen Covid-19. Wir verwenden seit Jahr und Tag solche Corticoide gegen akutes Lungenversagen. Seit März hat sich in unseren beschränkten Möglichkeiten, schwere Covid-19-Fälle behandeln zu können, praktisch nichts geändert. Das heißt, die Todesrate wird sich auch nicht nennenswert ändern.

Was ist in Entwicklung, was doch noch gegen Covid-19 helfen könnte?
Monoklonale Antikörper, die das Virus abfangen. Aber bisher gibt es noch keine ausreichend guten klinischen Studien, die das belegen würden.
Gilt das auch für den Antikörper-Cocktail der Firma Regeneron, der dem US-Präsidenten Donald Trump verabreicht wurde?
Ja, die Studien sind noch zu klein, aber ich bin optimistisch, dass das klappen könnte.

Tests und Studien, die sonst Jahre und Jahrzehnte dauern, sind jetzt in wenigen Monaten durchgeführt worden. Was war und ist der Hauptgrund für diese Beschleunigung?
Geld. Es gab für Forschung und Entwicklung von Impfstoffen und Therapien noch nie so viel in so kurzer Zeit so unbürokratisch wie jetzt, ob vom Staat, von Stiftungen oder anderen Institutionen. Und zweitens: Alle arbeiten Hand in Hand und mit absoluter Priorität, um Covid-19-Studien zu beschleunigen: die Zulassungsbehörden, die Regierungen, die Ethikkommissionen... Was sonst bis zu zwölf Monate dauert, die Prüfung und Zulassung einer klinischen Studie, ist jetzt in drei bis vier Tagen möglich.

Und zwar ohne Abstriche in der Qualität. Und anders als sonst kann man bestimmte Unterlagen, etwa Kleinigkeiten wie den Lebenslauf des Studienleiters oder den Beleg über die EKG-Ausstattung der beteiligten Klinik, später nachreichen, ohne dass die Studie verzögert wird.

Ärgert es Sie, dass es diese Priorisierung für Krankheiten wie Malaria oder Tuberkulose nie gegeben hat, obwohl seit Jahrzehnten Millionen Menschen daran sterben und zu retten wären?
Das ist traurig. Diese Krankheiten haben hierzulande keine Priorität und es gibt nur wenig Fördermittel. Hätten wir nur einen ganz geringen Teil von dem, was jetzt in Covid-19-Forschung fließt, hätten wir schon eine Malaria-Impfung. Da bin ich mir sicher. Das ist nicht zu ändern. Wer Geld hat, hat die Macht.

Für Covid-19 sind nun wirksame Impfstoffe in Aussicht, medizinisches Personal soll zuerst geimpft werden – aber was dann? Was ist die beste Strategie?
Am einfachsten wäre es, alle über 65 Jahren zu impfen. Wenn man sich die Erkrankungs- und Sterberate von Corona-Infizierten anschaut, dann sieht man, dass etwa 95 Prozent aller, die an Covid-19 sterben, über 65 Jahre alt sind, wenn man es auf die Population bezieht sogar 98 Prozent.

Natürlich ist es schlecht wenn man zuckerkrank ist oder zu hohen Blutdruck hat, da kann man auch als 40-Jähriger sterben, aber die Wahrscheinlichkeit ist viel geringer. Das Alter als Auswahlkriterium würde völlig ausreichen, alles andere ist kompliziert und kurz danach können ja dann alle Impfwilligen auch geimpft werden – hoffentlich überall auf der Welt und nicht nur wir Reiche.

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