zum Hauptinhalt
„Rohe Bürgerlichkeit“. Die Propaganda der Rechtspopulisten (hier eine Demonstration im Jahr 2009 gegen den Bau einer Moschee in Köln) stößt im gutsituierten Mittelstand durchaus auf Gehör, sagt Andreas Zick. Foto: dpa
© picture-alliance/ dpa

Konfliktforscher Andreas Zick zu Rechtspopulismus: „Wir dürfen unsere Toleranz nicht überschätzen“

Das Milieu der Rechtspopulisten: Der Konfliktforscher Andreas Zick warnt vor Selbstgefälligkeit. Er sieht ein klares rechtspopulistisches Potenzial bei etwa 15 Prozent.

Herr Zick, ist für Sie der Ausruf „Das wird man ja noch mal sagen dürfen!“ ein Warnzeichen für Rechtspopulismus?

Es ist zumindest ein gängiges Argument, das wir seit ehedem im Rechtspopulismus finden. Schon in der Studie „Agitation und Ohnmacht“ von Leo Löwenthal und Norbert Guterman, die in den 30er Jahren Propaganda in den USA erforscht haben, heißt es: Der Ausruf zeigt uns, dass hier jemand ein Tabu brechen will. Dahinter stehen oft Vorurteile, Rassismus und Menschenfeindlichkeit. Weil aber das Argument, man werde doch eine schlichte Wahrheit noch aussprechen dürfen, scheinbar frei von jedem Extremismus ist, kann man damit Menschen fangen. Und man kann damit Bücher verkaufen, wie Thilo Sarrazins jüngstes Werk „Über die Grenzen der Meinungsfreiheit“ zeigt.

Der Drang, gegen vorgebliche Tabus, Sprechverbote und die Political Correctness zu verstoßen, erfasst lange nicht nur den bierseligen Stammtisch oder die Neonazi-Szene. Was wissen Sie über die Milieus, die für rechtspopulistische Thesen anfällig sind?

Aus Meinungsumfragen und Analysen von Reden, Flyern und Plakaten rechtspopulistischer Parteien ist klar herauszulesen: Das Potenzial liegt in den bürgerlichen, gut situierten Mittelschichten. Hier erreicht die Propaganda viele Bürger in ihren Vorurteilen gegen die Einwanderung, in ihren vermeintlichen Vorrechten als Einheimische, aber auch in autoritären Sicherheitsvorstellungen, was Strafen bei Normverstößen betrifft. So kam die CSU-Kampagne „Wer betrügt, fliegt“ gegen Arbeitsmigranten in bürgerlichen Schichten gut an. Gradmesser sind auch Blogs im Internet, wütende Kommentare unter Zeitungsmeldungen oder einschlägige Websites, die oft auf ausländischen Servern betrieben werden.

Ist das wirklich ein klassisches bürgerliches Milieu?

Mein Kollege Wilhelm Heitmeyer hat von „roher Bürgerlichkeit“ gesprochen. Ich meine, dass es um eine bürgerliche Stimmungsmixtur aus Wut, Zorn und Neid geht. Eine Stimmung gegen scheinbar faule Kompromisse, zu der angeblich die Demokratie führt. Sie ist immer auch durchsetzt von Menschenfeindlichkeit, was zum Beispiel an Kampagnen gegen den vermeintlich hedonistischen Lebensstil von Homosexuellen, die nun auch noch Kinder adoptieren dürfen, abzulesen ist. Diese rohe Bürgerlichkeit ist bestimmt von einer fast schon kalkulierten Abwehr von bestimmten Gruppen.

Wodurch ist dieses Milieu noch gekennzeichnet?

Gut 30 Prozent der Deutschen, die wir befragt haben, zeigen eine sogenannte ökonomistische Orientierung. Sie berechnen Gruppen nach ihren vermeintlichen Kosten und Nutzen, meinen zum Beispiel, wir können uns heute keine Verlierer mehr leisten. Ein klassisches bürgerliches Demokratieverständnis aber orientiert sich am Gemeinwohl und den Bedürfnissen von Menschen und nicht allein an ihrem Nutzen. Gesellschaftlich und politisch hat sich aber die Leistungsgerechtigkeit gegenüber der Bedürfnisgerechtigkeit durchgesetzt.

Heißt das auch, dass rechtspopulistische Einstellungen in Europa heute weit verbreitet sind?

Ein klares rechtspopulistisches Potenzial sehe ich bei etwa 15 Prozent. Dazu gehören auch Menschen, die nicht unbedingt rechtspopulistische Parteien wählen. Einig ist man sich in feindseligen Meinungen über Einwanderer und der Schelte gegen Brüssel. In Frankreich droht der Front National stärkste Partei bei der Europawahl zu werden, und in Ungarn ist der Rechtspopulismus ebenfalls mehrheitsfähig. Insgesamt ist das keine geschlossene Bewegung, aber gemeinsam ist vielen auch ein punitiver Autoritarismus: 45 bis 50 Prozent wünschen sich mehr Härte gegen alles, was kriminell oder sexuell abweichend ist. Und fast 50 Prozent schreiben dem Islam zu, dass er sich verbreiten will und eine Terrorneigung hat.

Wo sehen Sie die AfD?

Ich würde sie nicht unter Generalverdacht stellen. Aber sie macht eine kalte Migrationspolitik und punktet bei der Europapolitik mit scheinbar rein ökonomischen Argumenten, mit Konzentration auf den Nationalstaat. Und unter den Mitgliedern gibt es ein Potenzial an Rassismus. Da sollte man als Parteispitze nicht behaupten, der Vorwurf des Rechtspopulismus gehöre zu einer Medienkampagne, sondern überlegen, ob die eigene Sozialpolitik mit der guten demokratischen Grundnorm der Gleichwertigkeit vereinbar ist.

Warum wollen viele Menschen nicht zugestehen, dass auch der Islam zu Deutschland oder zu Europa gehört oder dass Regenbogenfamilien ebenso normal sind wie Vater-Mutter-Kind-Konstellationen?

Da hängt uns die Idee einer nationalen homogenen Leitkultur nach, wie sie in den 90er Jahren stark diskutiert wurde. Sie ist bis heute attraktiv, man kann aus ihr viel Identität und Selbstwertgefühl gewinnen. Heterogene Diversität als Alternative ist komplizierter. Doch es gibt auch eine Hoffnung, die Entwicklungen in Teilen Europas und auch der USA und Kanadas nähren: Wenn Gesellschaften in viele unterschiedliche Gruppen zerfallen und die Grenzen offener werden, ändert sich das Spiegelbild für jeden Einzelnen. Wir haben zum Beispiel heute mehrheitlich nicht mehr die bürgerliche deutsche Kleinfamilie als absolute Norm. Das erkennt selbst der Konservatismus an, er ist moderner geworden. Der Rechtspopulismus und vor allem der Rechtsextremismus sind auch ein Reflex darauf. Es geht ihnen um die Erhaltung des Status quo und Besitzstandswahrung einer dominanten Mehrheitsgruppe.

Andreas Zick (52) leitet das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Uni Bielefeld. Er ist Ko-Autor der Studie über „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“.
Andreas Zick (52) leitet das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Uni Bielefeld. Er ist Ko-Autor der Studie über „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“.
© Universität Bielefeld

Wo verläuft die Grenze zwischen zugespitzter Zustandsbeschreibung und Tabubruch? Nehmen wir die gängige These, dass Familien zugewanderter Muslime häufig bildungsfern sind und zum schlechten Abschneiden etwa der Berliner Schulen bei Schulleistungsvergleichen beitragen.

Schon in dieser vorgeblich harmlosen Annahme erscheint der Zuwanderungshintergrund als stabiles Merkmal, das man nicht mehr loswerden kann. Das ist eine unzulässige Generalisierung, die dem Gleichwertigkeitsgebot widerspricht. Denn alle Studien bis hin zu Pisa haben doch gezeigt: Nicht der Ausländeranteil ist das Problem, sondern soziale Ungleichheit. So zu tun, als ob ein soziales Problem etwas mit Ethnizität zu tun hätte, ist extrem gefährlich. Der Tabubruch wird komplett, wenn eine rassistische Zuschreibung hinzukommt, Leistungsunterschiede lägen an niedrigeren Intelligenzquotienten oder fehlender Leistungsbereitschaft.

Wie kann das Bielefelder Konzept der „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ zur Erklärung des Rechtspopulismus beitragen?

Wir sind der Meinung, dass Rechtsextremismus oder -populismus sich nicht allein auf bestimmte politische Parteien oder Gruppen und deren Ideologien konzentriert. Vielmehr ist die Abwertung von Gruppen und die Zuschreibung ihrer Ungleichwertigkeit in der Gesellschaft weit verbreitet. Die Feindseligkeiten sind in ein Netzwerk eingebunden: Der Antisemitismus der Menschenfeinde ist verbunden mit der Islamfeindlichkeit, die Abwehr von Migranten ist verbunden mit Hass auf Homosexuelle.

Wie wird da argumentiert?

Menschenfeindliche Meinungen werden als verallgemeinernde Argumente und Rechtfertigungen verwendet. ‚Die’ Muslime sind nicht gleichwertig, weil sie Frauen unterdrücken, ,die’ Arbeitslosen sind weniger wert, weil sie faul sind, ,die’ Einwanderer sind nicht gleichwertig, weil sie Sozialleistungen beanspruchen. Wir können noch so oft nachweisen, dass unsere Gesellschaft enorme Vorteile durch Migration hat, aber das hebelt leider kein einziges Vorurteil gegen Migranten aus.

Wie stark ist die Gegenströmung der Aufgeklärten, die entspannt mit sexueller Vielfalt umgehen und verstanden haben, dass es für Musliminnen viele gute Gründe geben kann, ein Kopftuch zu tragen?

Dass die Menschen in vielen Teilen Europas offener werden, zeigt die Begeisterung für Conchita Wurst, der Siegerin des Eurovision Song Contest. Unsere Umfragen zeigen auch, dass die Feindseligkeit gegenüber Homosexuellen deutlich rückläufig ist. Aber wir dürfen unsere Toleranz nicht überschätzen. Noch immer lehnt ein Drittel der Menschen in Deutschland jede Form solcher vielfältigen Lebensorientierungen ab und die Gewalt gegen Homosexuelle ist viel zu weit verbreitet. Gleichzeitig verschärft sich Aggression gegenüber Wohnungslosen und wir tun uns sehr schwer mit der Aufnahme von Flüchtlingen. Hinzu kommt, dass die Fremdenfeindlichkeit nach ökonomischen Krisen deutlich steigt. Weil es dann wieder etwas zu verteilen gibt.

- Das Gespräch führte Amory Burchard.

Zur Startseite