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Nach Berechnungen des Portals „Strom-Report“ stehen in Deutschland rund 45 Prozent der in Europa installierten Windkraftanlagen. Gegner von Windkraft argumentieren unter anderem mit der Beeinträchtigung des Landschaftsbildes und Auswirkungen auf Menschen und die Tierwelt.
© picture alliance/Blickwinkel/McPhoto

30 Jahre Forschungszentrum für Umweltpolitik (FFU): „Wir benötigen eine CO2-Steuer“

Professorin Miranda Schreurs über die Energiewende, neue Umweltrisiken und den Forschungsbedarf der Zukunft.

Das Forschungszentrum für Umweltpolitik (FFU) ist nicht nur eine international viel beachtete Einrichtung in der vergleichenden Umweltpolitikforschung. In den 30 Jahren seit seiner Gründung hat es sich auch in der Politikberatung einen Namen gemacht. Und der Bedarf an wissenschaftlicher Expertise wächst. Ein Gespräch mit der Leiterin des Zentrums, Professorin Miranda Schreurs, über Altlasten der Kernkraft, das Prinzip Hoffnung im Kampf gegen die Erderwärmung und noch ungeahnte Umweltrisiken.

Frau Professorin Schreurs, das Jubiläum des FFU fällt zusammen mit den Gedenktagen für die Atomkatastrophen in Tschernobyl und Fukushima. Trotzdem werden weiter weltweit Atomkraftwerke gebaut. Hat die Politik nichts dazugelernt?
Andere Länder werden nicht so schnell aus der Kernenergie aussteigen wie Deutschland, aber insgesamt hat diese Energieform wenig Zukunft. Wir beobachten bei der Kernenergie weltweit eher die Tendenz zum Rückbau. Ausnahmen finden sich nur in Asien und im Nahen Osten; selbst in China hat man das Ausbautempo gebremst. Und Japan hat von seinen 54 Reaktoren schon elf stillgelegt; nur zwei sind wieder am Netz. Nun wird darüber diskutiert, wie viele noch in Betrieb genommen werden sollen, aber der Widerstand der Bürger ist enorm.

Und was ist mit den Schwellenländern?
In vielen Schwellenländern wie etwa Vietnam oder Bangladesch wird der Einstieg in die Kernenergie diskutiert. Aber das bedeutet noch nicht, dass dort tatsächlich Atomkraftwerke gebaut werden. Denn zurzeit sind Kohle und Öl sehr billig, und die erneuerbaren Energien werden preiswerter. Die Frage ist, ob eine Bank den Ländern unter diesen Umständen Geld gibt, um ein Atomkraftwerk zu bauen. Denn man braucht mindestens zehn Jahre und viel Geld dafür. Auch die Folgekosten für die Endlagerung sind immens. Wir begreifen erst langsam, wie teuer das tatsächlich werden wird.

Miranda Schreurs ist Professorin für Vergleichende Politikwissenschaft und Leiterin des Forschungszentrums für Umweltpolitik der Freien Universität Berlin.
Miranda Schreurs ist Professorin für Vergleichende Politikwissenschaft und Leiterin des Forschungszentrums für Umweltpolitik der Freien Universität Berlin.
© Bernd Wannenmacher

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat nach Fukushima die Energiewende vollzogen. Kritiker sagen, die Wende sei gescheitert. Deutschland produziere mehr klimaschädliches Kohlendioxid, die Strompreise stiegen an, der Ausbau der Transportnetze stocke. Teilen Sie den Pessimismus?
Nein. In den ersten zwei, drei Jahren, nach der Stilllegung von acht Kernkraftwerken stiegen die Kohlendioxid-Emissionen etwas an, weil mehr Braunkohle genutzt wurde. Aber seit 2014 gehen die CO2-Emissionen leicht zurück. Ein Grund dafür ist der erfolgreiche Ausbau von Solar- und vor allem Windkraftanlagen. Mittlerweile werden 30 Prozent des deutschen Strombedarfs aus erneuerbaren Energien gedeckt. Das hat kein anderes großes Industrieland ohne bedeutende Wasserkraftressourcen erreicht. Es ist aber wahr, dass in anderen Bereichen wie etwa im Transportsektor noch nicht so viel erreicht wurde. Nach dem Ausstieg aus der Kernenergie muss sich Deutschland jetzt für den Ausstieg aus der Kohle und aus dem Öl entscheiden. Auch bei der Energie-Effizienz könnten wir besser sein. Ich würde sagen: Die Energiewende kommt voran, aber es gibt noch viel zu tun.

Im Dezember 2015 haben sich die Staats- und Regierungschefs in Paris geeinigt, die Erderwärmung auf 1,5 bis zwei Grad zu beschränken. Kann das gelingen?
Wir können es schaffen, wenn wir es wollen. Dass das 1,5-Grad-Ziel erreicht wird, halte ich aber für eher unwahrscheinlich. Die Emissionsvorgaben, die in Paris vereinbart wurden, sind dafür nicht ambitioniert genug. Aber das bedeutet nicht, dass wir gar keinen Einfluss hätten. Die USA und China haben sich beispielsweise darauf geeinigt, die Emissionen aus ihren Kohlekraftwerken zu verringern. Wenn das in der nahen Zukunft gelänge, dann könnte man die Erderwärmung ein bisschen verlangsamen. Wir müssen darauf hoffen, dass die Länder ihre Klimapläne ernst nehmen, umsetzen und in den kommenden Jahren verstärken. Auch das Zwei-Grad-Ziel ist nicht leicht zu erreichen. Wir haben ungefähr 35 Jahre Zeit, um die weltweiten Emissionen von Treibhausgasen zu halbieren. Das ist nicht viel, wenn man bedenkt, dass Kohlekraftwerke, die heute neu gebaut werden, für einen Betrieb von etwa 40 bis 50 Jahren ausgelegt sind. Da in Entwicklungsländern die Energienachfrage noch steigen wird, dürften wir in den OECD-Ländern in 35 Jahren so gut wie keine fossilen Brennstoffe mehr nutzen, wenn wir das Zwei-Grad-Ziel erreichen wollten.

Erdöl ist derzeit so preiswert wie lange nicht mehr. Gewinnen die fossilen Brennstoffe sogar noch an Bedeutung?
Öl wird in den kommenden Jahren jedenfalls nicht knapp werden. Durch Fracking lassen sich weitere Vorkommen erschließen. Es bedarf also einer politischen Entscheidung gegen die Nutzung fossiler Energien wie Kohle und Öl. Das ist der Schlüssel zum Erreichen der Klimaziele. Zurzeit versucht man, den Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid mit einem System des Emissionshandels zu begrenzen. Aber das System erlaubt viele Ausnahmen, wodurch der CO2-Preis sehr niedrig bleibt und der Emissionshandel wenig Anreizwirkung entfaltet. Wir brauchen eine weltweite Steuer auf Kohlendioxid-Emissionen – 30, 50 oder 100 Euro pro Tonne CO2. Positiv ist, dass sich die Umwelttechnologien unglaublich schnell entwickeln, etwa auf dem Gebiet von Batterien, die erneuerbare Energien speichern können.

Fördert die Politik die Elektromobilität zu wenig?
Bis jetzt ja. Norwegen gewährt Kraftfahrern, die ein Elektroauto kaufen, schon seit Jahren einen Steuernachlass. Inzwischen sind nahezu 20 Prozent aller Neuwagen in Norwegen Elektroautos. Sie dürfen auch auf den Busspuren fahren, sodass man damit schneller zur Arbeit kommt. In Deutschland hat man das weniger intensiv vorangetrieben. Eigentlich sollten auf Deutschlands Straßen bis 2020 eine Million Elektroautos fahren, aber zurzeit sind es gerade mal 25.000. Es besteht die Gefahr, dass die deutsche Autoindustrie eine sehr wichtige Entwicklung verschläft.

Was sind die größten Erfolge des FFU?
Ich glaube, dass das FFU innerhalb Deutschlands einer der wichtigsten Orte für die akademische Ausbildung in der Umwelt- und Klimapolitik ist. Das Zentrum ist einer der größten Impulsgeber für die Entwicklung des Bewusstseins, wie wichtig eine in die Zukunft gerichtete Umweltpolitik national und international ist. Viele unserer Doktorandinnen und Doktoranden haben heute Professuren an Universitäten weltweit, etliche Absolventen sind aktiv in der Politik tätig oder arbeiten für Think Tanks, in der EU, in internationalen Organisationen und bei Regierungen.

Wie beurteilen Sie die Bedeutung des Zentrums in der Zukunft?
Auf die Welt kommen riesige Umweltprobleme zu. Ich nenne da nur ein paar Beispiele wie das Artensterben, die Versauerung der Ozeane oder die Wasserknappheit. Auch die Klimaproblematik ist mit der Konferenz von Paris nicht gelöst. Der Klimawandel und seine Folgen wie die Ausbreitung der Wüsten oder der Anstieg des Meeresspiegels könnten dazu führen, dass noch mehr Migranten nach Europa kommen. Uns ist heute zum Teil gar nicht bewusst, welche Probleme noch auf uns zukommen werden. Welche Auswirkungen hat beispielsweise der zunehmende Einsatz von Nano-Materialien auf die Umwelt und auf unsere Gesundheit? Welche neuen Umweltprobleme erwachsen aus dem zunehmenden Einsatz von Batteriespeichern? Und welche Konsequenzen hat die wachsende Zahl von Menschen auf der Erde? Innerhalb der nächsten 30 Jahre wird die Erdbevölkerung von sieben auf neun Milliarden anwachsen. Sie sehen: Es gibt noch viel Forschungsarbeit für das FFU!

KONFERENZ MIT UMWELTMINISTERIN HENDRICKS

Zum 30. Geburtstag des Forschungszentrums für Umweltpolitik findet am 26. April 2016 von 9.30 Uhr an im Seminarzentrum der Freien Universität Berlin (Otto-von-Simson-Straße 26, 14195 Berlin) eine Tagung zum Thema „Die Zukunft der Umweltpolitik – Umweltpolitik der Zukunft“ statt. Erwartet wird auch Bundesumweltministerin Barbara Hendricks. Sie hält um 13 Uhr einen Vortrag zum Thema „Umweltpolitik 2020“. Anmeldungen für die Veranstaltung sind bis zum 18. April per Mail möglich: petra.wersig@fu-berlin.de

Christa Beckmann, Carsten Wette

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