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Lemberg/Lwów, am 1. August 1941. Der Bürgermeister von Lemberg Jurij Poljanskyj (Mitte) begrüßt Hans Frank, den Generalgouverneur für die besetzten polnischen Gebiete (links).
© Otto Rosner/Narodowe Archiwum Cyfrowe (NAC)/Creative Commons

Forschung zu Kollaborateuren: Willfährige Beamte und Mörderbanden

Das deutsche Besatzungsregime im Zweiten Weltkrieg führte zu radikalen Formen der Kollaboration – insbesondere im Holocaust. Gastbeitrag zum Forschungsstand.

Adam Ciepliński arbeitete als Wachtmeister bei der Stadtverwaltung von Pilzno. Im August 1943 nahm er zusammen mit zwei anderen Personen einen jüdischen Mann namens Kupfeld fest. Ciepliński führte ihn zum Magistrat, wo ihn der Bürgermeister der Stadt Jan Kramarczyk übernahm, in den Gemeindearrest einsperrte und die polnische Polizei benachrichtigte. Diese brachte ihn nach Dębica, wo ihn die deutsche Polizei erschoss. Oftmals erschoss die polnische Polizei die festgenommenen Juden gleich selbst, um sich die Benachrichtigung der Deutschen zu sparen.

Allen Beteiligten, die Jüdinnen und Juden festnahmen, zum Arrest führten, sie einsperrten und der deutschen Polizei übergaben, war klar, was mit den Juden geschehen würde, selbst wenn sie aus unterschiedlichen Gründen mit den deutschen Okkupanten kollaborierten. Antisemitismus gehörte ebenso dazu wie eine spezifische lokale Gruppendynamik, Angst, die Veränderung der Moral während der Besatzungszeit und vieles mehr.

Asymmetrisches Verhältnis zwischen ungleichen Akteuren

Kollaboration wurde lange als ein normativer Begriff verstanden, der zur Erforschung bestimmter Verhaltensformen im Zweiten Weltkrieg und Holocaust nur bedingt angewendet werden konnte. Historiker vermieden ihn oder ersetzten ihn mit Begriffen wie „Kooperation“. Im Gegensatz zu „Kooperation“, das eine Zusammenarbeit zwischen gleichberechtigten Partnern suggeriert, drückt die „Kollaboration“ allerdings ein unter spezifischen Besatzungsverhältnissen zustande gekommenes asymmetrisches Verhältnis zwischen ungleichen Akteuren aus. Das analytische Konzept der Kollaboration ist daher unabdingbar, um die Geschichte des Holocaust und des Zweiten Weltkriegs komplex und differenziert zu erforschen.

Das Wort „Kollaboration“ wurde erstmals in einem spezifischen politischen Kontext während des Zweiten Weltkriegs bei dem Treffen zwischen Philippe Pétain und Adolf Hitler am 24. Oktober 1940 in Montoire gebraucht. In Reden und Schriften, die diesem Treffen folgten, stellte Pétain die Kollaboration als ein durchaus positives Programm seiner Regierung dar, das Frankreich aus dem „débâcle“ gerettet habe und den Franzosen ein freies Leben im unbesetzten Teil des Landes ermöglichen werde.

Das Phänomen der „collaboration“ war im besetzten Europa allgemein bekannt, wurde aber sehr unterschiedlich wahrgenommen und bewertet. Was in Paris bei vielen als normaler Umgang mit den Besatzern galt, wurde in Warschau durch den polnischen Untergrund als „Verrat“ angeprangert. Obwohl nach dem Einmarsch der deutschen Armee sowohl Pariser als auch Warschauer die Besatzer in gleicher Weise als Feinde und Aggressoren verstanden, brachte der härtere Terror in Osteuropa doch eine andere Art der Kollaboration und einen anderen Umgang mit den Besatzern hervor.

Besetzte Völker waren sowohl Opfer als auch Täter

Die weitere Politisierung des Begriffs, die besonders intensiv in der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten verlief, erfolgte erst nach dem Krieg. Der Begriff wurde insbesondere in den Ländern stark emotional gebraucht, in denen die deutschen Besatzer die Bevölkerung rassistisch als „minderwertig“ eingestuft und viele Verbrechen an ihr begangen hatten. In allen Ländern, die durch das NS-Regime besetzt worden waren oder kollaboriert hatten, wurden nach dem Krieg „Kollaborateure“ vielfach gesellschaftlich angeprangert und vor Gericht gestellt. Demütigungen und Misshandlungen richteten sich oft gegen Frauen, die eine intime Beziehung mit deutschen Soldaten eingegangen waren. Beim „carnaval moche“ wurden Frauen in Frankreich die Köpfe geschoren und sie wurden vom Mob durch die Straßen getrieben.

Besetzte Völker waren sowohl Opfer als auch Täter. Sie nur zu Opfern des Nationalsozialismus zu stilisieren, greift zu kurz und ignoriert die Komplexität des Holocaust. Der Holocausthistoriker Saul Friedländer deutete die Notwendigkeit der Erforschung der Kollaboration an, indem er ihr Ausmaß und ihre Bedeutung für den Verlauf des Zweiten Weltkriegs sowie die Politik der deutschen Besatzer betonte.

Auf dem gesamten Kontinent, so Friedländer, habe sich die deutsche Herrschaft auf eine Kollaboration verlassen können, die zum Teil von „rationalen“ Erwägungen bestimmt gewesen sei, häufig aber auf bereitwilliger oder sogar begeisterter Anerkennung der Vorherrschaft Deutschlands. An einer derartigen Kollaboration beteiligt gewesen seien nationale und regionale Behörden und Institutionen, Hilfstruppen aller Schattierungen, Politiker wie Verwaltungsangestellte, Intellektuelle und Polizisten, Eisenbahnverwaltungen, Journalisten und Industrielle, Jugendorganisationen, Bauernverbände, Geistliche und Universitätsangestellte sowie organisierte oder sich spontan bildende Mörderbanden.

Ohne die Mitarbeit der einheimischen Polizei und ebenso der Verwaltung wären die Besatzer nicht in der Lage gewesen, den Holocaust so umfassend sowohl in Ost- als auch Westeuropa durchzuführen. Darüber hinaus kollaborierten Beamte und Banken in den besetzten Ländern beim Raub des jüdischen Eigentums. In all diesen Bereichen wirkten konkrete Akteure, die aus verschiedenen Motiven handelten und deren Beweggründe für die Erforschung der Kollaboration von zentraler Bedeutung sind.

Versteckte Kollaboration in der Ukraine

Ein Beispiel dafür ist die versteckte Kollaboration zwischen der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) und den deutschen Besatzern im Holocaust. Frühere Arbeiten über den Judenmord während der deutschen Besatzung Ostgaliziens konnten diese Art der Kollaboration nicht erforschen, weil sie sich stark auf die Politik der Besatzer konzentrierten und das Handeln der OUN nicht im Detail studierten. Sie nahmen an, dass die OUN eine Widerstandsbewegung war und ihre Beteiligung am Holocaust durch den politischen Streit mit Hitler im Sommer 1941 unterbunden worden sei.

Neuere Forschungsarbeiten, in denen gezielt die Komplexität der Interaktionen zwischen der OUN und der Besatzungsmacht untersucht wurde, haben jedoch gezeigt, dass selbst nach dem politischen Streit und der Verhaftung der Führung der OUN ihre Mitglieder weiter mit den deutschen Besatzern vor allem bei der Umsetzung des Holocaust kollaborierten. Denn die Ermordung der Juden war ein Aspekt ihres politischen Programms und sie verstanden ihn als einen sozialen „Gewinn“ und eine politische Notwendigkeit. Demzufolge beteiligten sie sich am Judenmord als Polizisten oder spürten auch eigenständig Ghettoflüchtlinge auf und ermordeten sie.

Für Polen zeigten Barbara Engelking und Jan Grabowski in ihren Forschungen zur letzten Phase des Judenmords, dass eine spezifische Dynamik zwischen den Besatzern und Besetzten zu „Judenjagden“ und anderen Formen der Verfolgung durch Dorfschulzen, polnische Polizisten, Feuerwehrmänner und „gewöhnliche Polen“ führte. Zuvor hatte Jan Tomasz Gross mit seinen Untersuchungen über den Pogrom in Jedwabne aufgedeckt, dass nicht Deutsche, sondern Polen unter spezifischen, durch die Besatzer geschaffenen Umständen ihre jüdischen Nachbarn selbst ermordeten. Gross’ Buch „Nachbarn“ führte in Polen zu einer heftigen Debatte über Kollaboration und wirkte sich auf die Erforschung des Holocaust auch in anderen Ländern aus.

Schwierigkeiten bei einer eindeutigen Definition von Kollaboration entstehen immer dann, wenn entschieden werden soll, was als Kollaboration gilt und was als eine „notwendige“ Zusammenarbeit oder ein „gewöhnliches“ Zusammenleben mit den Besatzern betrachtet werden könnte. In den Besatzungsgesellschaften ging das Leben weiter. Dazu gehörten alle Tätigkeiten, die notwendig waren, um das tägliche Leben zu erhalten. Bäcker mussten Brot backen, Ärzte Patienten versorgen, Arbeiter zur Fabrik gehen, Polizisten auf Straßen patrouillieren und Bürgermeister Entscheidungen treffen, damit die kommunalen Verwaltungen nicht kollabierten.

Die Existenz von Grauzonen akzeptieren

Die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg war beispiellos, weil bei allen früheren und späteren Okkupationen keine transnationalen Genozide wie die Schoah begangen worden waren. Deshalb ist es sinnvoller, keine eindeutige Linie zu bestimmen, die eine legitime Zusammenarbeit von einer illegitimen Kollaboration scharf trennt, sondern die Existenz von Grauzonen zu akzeptieren.

Kollaboration gehört zur Geschichte der deutschen Besatzung und bedarf einer besonderen Beachtung bei der Aufarbeitung der Geschichte des Holocaust. Vernachlässigt wurde sie in osteuropäischen Staaten, weil sie nicht zum Kanon der heroischen oder nationalen Themen gehörte. In Deutschland wurde sie bislang nicht zu einem wichtigen Forschungsfeld, weil sie die deutsche Schuld am Holocaust angeblich hinterfragte.

Vor wenigen Jahren, bei der Debatte um den ZDF-Mehrteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ im Jahr 2013, brachte der deutsch-polnische Schriftsteller und Journalist Adam Soboczynski das Unbehagen mit dem Thema der Kollaboration und der transnationalen Täterschaft auf den Punkt: „Kein Verbrechen der Deutschen im Dritten Reich kann dadurch relativiert werden, dass es Kollaborateure in anderen Ländern gab. Umgekehrt kann sich kein Volk seiner Verantwortung für die eigenen Verbrechen entledigen, nur weil ein anderes weitaus größeres Unheil angerichtet hat.“

Grzegorz Rossoliński-Liebe ist promovierter Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin. Sein Artikel beruht auf seinem aktuellen Beitrag für die Internetenzyklopädie „Docupedia Zeitgeschichte“ (docupedia.de) über „Kollaboration im Zweiten Weltkrieg und im Holocaust – Ein analytisches Konzept“.

Grzegorz Rossolinski-Liebe

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