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Auch wenn es mit Schmerz und Überwindung verbunden ist, Bewegung hält die Gelenke und Knochen fit und wirkt der Arthrose entgegen – ob nun Hanteltraining, Fußballspielen oder Joggen.
© picture alliance / dpa

Sport hilft gegen Arthrose: Wieder gelenkig werden

Wenn die Knochen schmerzen, wird jeder Schritt zur Qual. Dennoch ist Bewegung das beste Heilmittel.

Sich von der Couch erheben, gehen, laufen, tanzen, schwimmen, sich aufs Rad schwingen, im Verein oder im Fitnessstudio Sport treiben: Es ist fast zur Binsenwahrheit geworden, dass Bewegung die halbe Miete ist, wenn man möglichst lange gesund bleiben will. Sie schützt vor Herz-Kreislauf-Krankheiten, vor Übergewicht und Diabetes, kann das Risiko von Brustkrebs und eventuell sogar das für Gedächtnisverlust im Alter senken. Doch das ist leichter gesagt als getan, wenn die Knochen und Gelenke nicht mitspielen. Wenn man zwar noch fit ist, aber beim Tennisspielen, beim Fußballtraining oder beim Joggen immer mehr mit Schmerz zu kämpfen hat. „Mit zunehmendem Alter limitiert oft der Bewegungsapparat die Leistung“,sagt Klaus Bös, langjähriger Leiter des Instituts für Sportwissenschaften am Karlsruher Institut für Technologie. Aus Angst, sich in dieser Situation noch mehr zu schaden, belasteten sich Menschen bei Schmerzen in den Gelenken heute jedoch eher zu wenig als zu viel, sagte der Sportwissenschaftler jetzt auf dem Deutschen Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie.

Die Arthrose war eines der Hauptthemen bei dem Treffen der Fachleute, das von Dienstag bis Freitag in Berlin stattfand. Zwar hat die Krankheit oft unterschiedliche Ursachen, führt jedoch zu sehr ähnlichen Schmerzen, Bewegungseinschränkungen und Blockaden. Solche Beschwerden an Knie, Hüften oder Schultern bilden heute den wichtigsten Grund dafür, dass Menschen in die Praxis eines Orthopäden kommen.

Gelenke müssen benutzt werden, um nicht zu verschleißen

Johannes Flechtenmacher, einer der Kongresspräsidenten, arbeitet in einer solchen orthopädischen Gemeinschaftspraxis in Karlsruhe. Er kämpft gegen die falsche Vorstellung, dass eine Arthrose Ergebnis von reinem Verschleiß ist. „Man darf sich das nicht wie beim Autoreifen vorstellen“, sagte er beim Kongress. Im Gegenteil, Gelenke müssten benutzt werden, um nicht abzubauen, bekräftigte Bös. Denn der Gelenkknorpel hat keine Blutgefäße, seine Zellen sind also zur Versorgung darauf angewiesen, dass sich Gelenkflüssigkeit bildet. Bewegung bringt deren Produktion in Schwung. Sich zu schonen, kann umgekehrt dazu beitragen, dass die Knorpel rau und spröde werden und dass das Gelenk schmerzt. „Es gibt ganze Kataloge von angeblich ‚falschen‘ Bewegungen. Das Falscheste ist jedoch, sich überhaupt nicht zu bewegen.“

Die Beratung darüber, wie das im Alltag trotz Schmerzen umzusetzen ist, ist ein elementarer Bestandteil der Behandlung beim Orthopäden, wie Flechtenmacher hervorhob. Auch gezielte Physiotherapie gehört dazu, erst unter Anleitung geübt, dann zu Hause fortgeführt. „Wir wollen, dass der Patient ein neues, gutes Gefühl für sein Gelenk bekommt“, so Johannes Stöve, Direktor der Orthopädischen Klinik am Uniklinikum Mannheim. Neben der Kraft der Muskeln, die das Gelenk umfassen, scheine auch ein allgemeines Fitnesstraining bei der Linderung der Schmerzen zu helfen.

Helfen Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel gegen Arthrose?

Nahrungsergänzungsmittel halten im Kampf gegen die Arthrose dagegen bisher nicht, was ihre Anbieter versprechen, so berichtete auf dem Kongress Uwe de Jager aus Freudenstadt. Wichtig sind dagegen die gängigen Schmerzmittel, etwa Paracetamol oder, bei Entzündungen, Wirkstoffe wie Ibuprofen oder Diclofenac. Sie können die Betroffenen flankierend auch bei sportlichen Aktivitäten unterstützen. Und damit indirekt auch beim Kampf gegen starkes Übergewicht, das für die Gelenke schädlich ist. „Übergewicht wird immer nur als Risikofaktor für Diabetes, Herzerkrankungen oder eine Schlafapnoe gesehen, dabei ist es zugleich der wichtigste Risikofaktor für eine Arthrose“, sagte Flechtenmacher. Wenn eine Operation wirklich nötig sei, dann stelle aber auch starkes Übergewicht trotz leicht erhöhter Risiken kein Argument dagegen dar, so war auf dem Kongress immer wieder zu hören. „Eine Arthrose-Operation kann Patienten wieder trainingsfähig machen“, gab Rüdiger Krauspe vom Uniklinikum Düsseldorf zu bedenken. Das „neue Knie“ könne den Einstieg in ein bewegteres Lebens bedeuten.

Schützt Gelenkersatz vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen?hip

Im letzten Jahr ist im renommierten „British Medical Journal“ die Studie einer Arbeitsgruppe aus Toronto erschienen, die sogar nahelegt, dass ein Gelenkersatz vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützen kann. Die Forscher haben dafür die Krankengeschichte von insgesamt über 2000 Patienten mit einer Arthrose im Knie- oder Hüftgelenk untersucht. Unter denen, die operiert wurden, gab es Jahre später weniger Herzinfarkte und Schlaganfälle. Auch wenn es plausibel klingt, ist das aber noch kein strenger Beweis für den Nutzen der neuen Gelenke: Vielleicht haben sich ja eher diejenigen für eine Operation entschieden, denen grundsätzlich mehr am Wiedergewinn einer – für Herz und Gefäße guten – Beweglichkeit lag.

Henning Windhagen, Ärztlicher Direktor der Orthopädie an der Medizinischen Hochschule Hannover und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie, warnte auf jeden Fall vor unrealistischen Erwartungen an den Gelenkersatz. Marathon könne man damit nicht mehr laufen, Skifahren sei „schon im Grenzbereich“, Walken, Joggen, Fahrradfahren und Schwimmen dagegen empfehlenswert. Eine Warnung aus gutem Grund, denn fast ein Fünftel der Operierten sind später mit ihrer Knieendoprothese unzufrieden, wie eine Untersuchung des AQUA-Instituts zeigt. Zahlen aus anderen Ländern sind vergleichbar.

Zahl der Hüftprothesen in Deutschland gesunken

Dass in Deutschland immer mehr operiert werde, stimme dagegen nicht, so wurde beim Kongress betont. Der Trend scheint seit einigen Jahren gestoppt: „Zwischen 2005 und 2012 ist die Zahl der Hüftprothesen um drei Prozent gesunken, während der Anteil der über 65-Jährigen um mehr als vier Prozent gestiegen ist“, so Windhagen mit Bezug auf Daten, die die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie gemeinsam mit der AOK sammelt. Zusammen mit der Schweiz steht Deutschland allerdings nach wie vor an der Spitze.

In Sachen Qualitätssicherung und Datensammlung haben dagegen Länder wie England und Australien einen Vorsprung. Inzwischen können sich aber auch in Deutschland alle Kliniken an einem Register beteiligen, in dem Daten über Endoprothesen gesammelt werden. Krankenhäuser, die ihr Endoprothesenzentrum bei EndoCert zertifizieren lassen, müssen ihre Daten auf jeden Fall zum Register beisteuern. Inzwischen sind fast 40 Prozent der Kliniken, in denen künstliche Gelenke eingesetzt werden, mit dabei. In allen Zentren werden die Patienten auch ein Jahr nach dem Eingriff noch einmal persönlich befragt. „Ein enormer Qualitätsschub, auf den man im Ausland schon neidisch ist“, so Wolfram Mittermeier von der Uniklinik Rostock.

Zum Konzept gehört, dass die Zentren jährliche Mindestzahlen an Eingriffen vorweisen müssen. Das erwünschte Ziel ist die Verbesserung der Qualität, die Mindestmengen bergen grundsätzlich aber auch die Gefahr, dass zu großzügig operiert wird. Immerhin wird bei der (regelmäßig wiederholten) Zertifizierung überprüft, ob die Gründe für den jeweiligen Eingriff stichhaltig waren.

Da die Operationen meist keine Eile haben, sollten Knie- und Hüftschmerzgeplagte auf jeden Fall ausführlich mit ihren Ärzten über das Für und Wider sprechen.

Adelheid Müller-Lissner

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