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Akupunktur
© dpa

Akupunktur: Die Nadelprobe

Placebo oder Allheilmittel? Akupunktur lindert Schmerzen auch dann, wenn sie falsch angewendet wird.

Wirkt Akupunktur bei Schmerzen? Um das herauszufinden, haben mehrere Krankenkassen vor acht Jahren gleich zwei wissenschaftliche Großprojekte in Auftrag gegeben. In diesen Studien wurden Behandlungsverfahren aus der Alternativ- oder Komplementärmedizin auf ihre Wirksamkeit untersucht.

Für das Modellvorhaben Akupunktur der Techniker Krankenkasse wurden unter Federführung des Berliner Charité-Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie Daten von bundesweit 313 534 Schmerzpatienten ausgewertet, die von mehr als 10 000 Ärzten mit Akupunktur behandelt wurden. Im Januar 2006 wurden die Ergebnisse veröffentlicht: Zum Erstaunen der Skeptiker zeigte sich, dass es den Patienten besser ging, die zusätzlich zur „Routinebehandlung“ mit Medikamenten nach den Methoden der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) akupunktiert worden waren. Neben Verwunderung lösten diese Ergebnisse auch eine Diskussion darüber aus, ob es durch die Akupunktur vielleicht nur zu einem „Placeboeffekt“ gekommen war – schließlich hatten die Patienten aus der Akupunkturgruppe im Rahmen der Zusatzbehandlung auch mehr Zeit und Zuwendung durch ihren Arzt bekommen. Außerdem wurden sie von einem Mediziner betreut, der von der Methode überzeugt war, sonst hätte er sie kaum in einer Weiterbildung erlernt. Dazu kommt das spezielle, exotisch anmutende Heilungsritual.

Akupunktur und Scheinakupunktur wirken gleich gut. Aber was bedeutet das?

Bei einem kleinen Teil der Patienten war allerdings eine trickreiche Versuchsanordnung gewählt worden, die auch in den großen „German Acupuncture Trials“ der AOK und einiger anderer Kassen zum Zug kam. In diesen Gerac-Studien gab es gleich zwei Akupunkturgruppen, deren Teilnehmer zufällig ausgewählt worden waren. Die einen bekamen eine Akupunkturbehandlung nach allen Regeln der chinesischen Medizin: Ihnen wurden die Nadeln zwei bis 40 Millimeter tief an den von der TCM vorgesehenen Punkten eingestochen. Eine Kontrollgruppe bekam – natürlich ohne es zu wissen und zu merken – eine Sham- („Schein“)-Akupunktur mit derselben Art von Nadeln, jedoch an anderen Punkten und mit etwas geringerer Eindringtiefe. Für beide Verfahren wurde untersucht, ob und inwieweit sie gegen Schmerzen der Lendenwirbelsäule, Arthrose des Kniegelenks und Spannungskopfschmerz oder Migräne helfen können. Sowohl die „echte“ als auch die „Schein“-Akupunktur wurde außerdem mit einer Standard-Schmerztherapie verglichen, die eine dritte Gruppe von Patienten bekam.

Auch in dieser Studie ging es den Schmerzpatienten, denen ihr Arzt Akupunktur anbieten konnte, nach zehn bis 15 Sitzungen deutlich besser. Doch das Erstaunliche war: Die Schein-Akupunktur mit wahllos gesetzten Nadeln war hierbei fast genauso wirksam wie die traditionelle Variante, bei der die Nadeln gezielt Punkte entlang der Meridiane treffen, die in der TCM als Leitbahnen der Lebensenergie Qi verstanden werden. Ein Ergebnis, das geeignet war, Fans wie Zweifler in Erklärungsnotstand zu versetzen – und das die Diskussion über das heilsame Drumherum der Behandlungsform, die in Deutschland inzwischen 40 000 Ärzte anwenden, nochmals mächtig anfeuerte.

Die festgelegten Akupunkturpunkte sind in der chinesischen Medizin recht neu

Und ein Ergebnis, aufgrund dessen die Krankenkassen vor zwei Jahren die Akupunktur-Behandlung bei bestimmten Rücken- und Kniebeschwerden in ihren Leistungskatalog aufgenommen haben. Spötter wandten gleich ein, dann könne es auch die – fast ebenso wirksame – Sham-Akupunktur an den falschen Punkten auf Kosten der Solidargemeinschaft geben. Während solche Kritiker im Reich der Nadeln alles für Schein halten, vertreten Wissenschaftler aus der Abteilung Naturheilkunde und Integrative Medizin der Uni Duisburg-Essen, die die TCM in ihren Klinikalltag integrieren, die These, es gebe streng genommen keine Schein-Akupunktur. Zumindest nicht, wenn echte Nadeln durch die Haut gestochen werden.

Zu diesem Schluss kommt auch eine Untersuchung des chinesischstämmigen Mediziners Iven Tao. Er hat eine ganze Sammlung von asiatischen Texten zur Akupunktur durchforstet – die ältesten stammten aus dem Jahr 206 vor Christus – und dabei festgestellt, dass von exakter Anatomie und präzisen Punkten erst in jüngster Zeit die Rede ist – möglicherweise unter Einfluss der westlichen, an Anatomie orientierten Medizin und in dem Bestreben nach Wissenschaftlichkeit. Zusätzliche Mikro-Akupunktur-Systeme, mit denen sich die Anzahl der Punkte auf über 1000 erweitert hat, haben sich jedenfalls erst seit den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelt. In Texten früherer Jahrhunderte konnte Tao nur „vage topografische Angaben“ entdecken. Messungenauigkeiten würden sich zudem schon durch Angaben in Fingerbreiten ergeben. „Im Licht dieser historischen Texte ist es nicht sinnvoll, nach einer physiologischen Entsprechung der Punkte zu suchen“, sagte Tao beim Europäischen Kongress für Integrative Medizin, der in der letzten Woche in Berlin stattfand. Gleicher Meinung ist auch der Düsseldorfer Orthopäde Albrecht Molsberger, der an den Gerac-Studien beteiligt war: „Die chinesischen Punktlandkarten zeigen, mit welchen Akupunkturstellen man gut zum Ziel kommt, man kann jedoch auch andere Wege gehen. Das Prinzip ist entscheidend.“

Bisher bestand der gängige Erklärungsansatz darin, dass an den Akupunkturpunkten entlang der Meridiane ein spezieller Spannungswiderstand herrsche. Heilung oder Linderung verspricht die Akupunktur diesem Konzept zufolge, weil mit ihr Blockaden des Qi-Flusses aufgehoben werden. Taos Fazit lautete nun jedoch: „Diese Akupunkturpunkte sind weder exakt definiert noch exakt und reproduzierbar zu lokalisieren.“

Weitere Studien sind nötig

Für den Forscher aus Essen bedeutet das keineswegs, dass Akupunktur nicht wirkt. „Möglicherweise kann jedoch unter bestimmten Bedingungen jeder Punkt auf der Körperoberfläche ein Akupunkturpunkt werden.“ Heute spreche viel dafür, dass der Vorgang des Nadelns als solcher das Nervensystem stimuliere und Selbstheilungskräfte in Gang setze, ergänzte Gustav Dobos, der die Essener Abteilung leitet, im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Denkbar ist seiner Ansicht nach, dass die Nadelung die Weiterleitung von Schmerzsignalen beeinflusst. „Ob und wie das genau funktioniert, müssen wir durch anders angelegte Studien untersuchen.“

Es dürfte schwer sein, sie so zu konzipieren, dass sie streng wissenschaftlichen Maßstäben genügen. Wenn es keine „echten“ und folglich auch keine falschen Akupunkturpunkte gibt, ist jedenfalls das trickreiche Konzept der Sham-Akupunktur mit echten Nadeln grundsätzlich infrage gestellt. Die Lokalisation der Einstichstellen ist dann kein Kriterium mehr, mit dem in der Akupunktur zwischen Schein und Sein unterschieden werden könnte.

Adelheid Müller-Lissner

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