„Behandlung bahnbrechend verändert“: Wie wirksam sind die neuen Krebstherapien?
Die Körperabwehr gegen den Krebs aktivieren zu können, war der Traum aller Krebsärzte. Jetzt ist er wahr geworden – ein Stück weit.
Sie haben Krebs. Diese niederschmetternde Nachricht bekommen in Deutschland jedes Jahr fast eine halbe Million Menschen zu hören. Die ersten Fragen sind dann bei fast allen Betroffenen die gleichen: Wie stehen die Chancen, dass ich wieder gesund werde? Und vielfach auch: Könnte mir nicht eine dieser neuen Therapien helfen?
Die Antwort ist in immer mehr Fällen ein „Ja“. Und viele können sich berechtigte Hoffnung machen, den Krebs dadurch wieder loszuwerden.
Die meisten verbinden mit der Therapie einer Krebserkrankung nach wie vor eine Operation, Bestrahlung oder Chemotherapie. Diese Behandlungsklassiker kommen auch nach wie vor bei vielen Tumorerkrankungen zum Einsatz, ihre Wirkung wird stetig verbessert. Doch seit einigen Jahren gewinnen neue Ansätze immer mehr an Bedeutung.
Die Idee dahinter ist, die Krebszellen möglichst effektiv zu vernichten. Während eine Chemotherapie eher unspezifisch wirkt und auch gesunde Zellen schädigt, greifen die modernen Wirkstoffe ganz bestimmte Strukturen der Tumorzellen an.
Eine Methode sind die sogenannten zielgerichteten Therapien (Targeted Therapies), die zum Beispiel bei Brustkrebs schon sehr erfolgreich zum Einsatz kommen. Sie hemmen etwa das Tumorwachstum, indem sie die Signalübertragung der Krebszellen stören oder verhindern, dass die Geschwulst neue Blutgefäße bildet, die sie zum Wachsen braucht.
Einen anderen Ansatz verfolgen Forscher schon lange: das Immunsystem der Patienten im Kampf gegen den Krebs zu nutzen. Doch von allein schafft der Organismus das oft nicht. „In vielen Fällen reicht die Reaktion der körpereigenen Abwehr nicht aus, um die Krebszellen zu bekämpfen“, sagt der Onkologe Ulrich Keilholz, Direktor des Charité Comprehensive Cancer Center in Berlin.
„Behandlung von Krebserkrankungen bahnbrechend verändert“
Ein Grund dafür ist, dass das Immunsystem die Krebszellen oft nur schwer von körpereigenen Zellen unterscheiden kann. Mit den in den vergangenen Jahren entwickelten Immuntherapien gelingt es jedoch immer besser, die Abwehr für den Kampf gegen den Krebs zu rüsten. Etwa, weil Forscher nun verstehen, welche Methoden Krebszellen nutzen, um das Immunsystem auszubremsen, und weil sie mit Gentechnik passgenaue Moleküle bauen können, die dafür sorgen, dass die Abwehr angreift.
„Die Immuntherapien haben die Behandlung von Krebserkrankungen bahnbrechend verändert“, sagt Keilholz. Dabei integrieren Ärzte die neuen Methoden in die etablierten Behandlungen wie OP, Chemotherapie oder Bestrahlung. „In vielen Fällen wird die Heilungsrate dadurch deutlich höher“, sagt Keilholz. So hätte vor zehn Jahren nur etwa jeder zehnte Patient mit einem metastasierten schwarzen Hautkrebs zwei Jahre überlebt, heute seien es rund 70 Prozent. Bei einer Lungenkrebsform hätten früher gar nur zwei Prozent der Patienten fünf Jahre überlebt, mit den neuen Therapien seien es 40 Prozent.
Aber Ärzte können die Immuntherapien nicht einfach bei jedem Tumor gleichermaßen anwenden. Bei manchen (wie bei den meisten Brustkrebsformen) wirken sie eher schlecht, bei anderen verhindern sie vor allem ein Wiederauftreten der Krebserkrankung, bei wieder anderen werden sie schon als Erstbehandlung mit Erfolg gegeben.
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Insgesamt, sagt Keilholz, sprächen zwar weniger Patienten auf die Immuntherapie an als auf eine Chemotherapie. „Aber wenn sie ansprechen, sehen wir sehr lang anhaltende Wirkungen.“ Denn wenn das Immunsystem sich einmal mit ärztlicher Hilfe gegen den Krebs formiert hat, bleibt die Abwehrreaktion meist dauerhaft bestehen.
Die rasante Entwicklung bei den Immuntherapien wird weitergehen, ist Keilholz sicher. Das sehe man auch an den Zulassungszahlen. Derzeit kämen mindestens halbjährlich neue Medikamente auf den Markt. Schon jetzt seien die Immunbehandlungen etwa bei jedem fünften Krebspatienten Teil der Standardtherapie. „In fünf Jahren“, sagt der Onkologe voraus, „wird es jeder Dritte sein.“ Die Chance, dass die Antwort auf die Frage nach den eigenen Heilungschancen eine positive ist, werde also weiter steigen.
DIE LADEHEMMUNG LÖSEN
Checkpoint-Hemmer lockern die Bremsen des Immunsystems und reaktivieren die Körperabwehr.
Lange gingen Forscher davon aus, dass man das Immunsystem nur in geeigneter Weise stimulieren müsse, damit es gegen die Krebszellen vorgeht. Doch über Jahrzehnte sind Wissenschaftler an der Aufgabe gescheitert. Den Grund dafür haben sie inzwischen gefunden: Manche Krebszellen nutzen einen eingebauten Sicherheitsmechanismus des Immunsystems für ihre Zwecke.
Sie manipulieren an den T-Zellen, die eigentlich den Tumor zerstören sollen, sogenannte „Immuncheckpoints“. Diese Eiweiße sollen eigentlich dafür sorgen, dass es nicht zu einer überschießenden Immunreaktion kommt, die den eigenen Körper angreift. Nun aber bleibt stattdessen der Tumor verschont.
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Die Medikamente, die diese molekularen Bremsen lösen können, heißen „Checkpoint-Inhibitoren“. Sie setzen die Blockade außer Kraft und lassen somit die Immunzellen auf den Tumor los. Mediziner setzen große Hoffnungen in diese Checkpoint-Hemmer. „Die Methode wurde zum Beispiel bei bereits als austherapiert geltenden Patienten mit fortgeschrittenem schwarzem Haut- oder Lymphdrüsenkrebs erfolgreich eingesetzt“, sagt Hans-Dieter Volk, Direktor des Instituts für Medizinische Immunologie der Charité. Man beobachte Heilungen, die länger als fünf Jahre anhielten. Die ersten dieser Medikamente wurden aufgrund ihrer guten Wirkung im Eilverfahren zugelassen.
„Inzwischen werden die Medikamente in Deutschland gegen etwa 15 verschiedene Tumorarten eingesetzt“, sagt der Onkologe Ulrich Keilholz vom Comprehensive Cancer Center der Charité. Neben dem Melanom der Haut und Lymphdrüsenkrebs wirken sie zum Beispiel auch gegen Lungen-, Nieren- oder Blasenkrebs sowie Tumoren im Kopf-Hals-Bereich. Bei diesen Erkrankungen sind sie mittlerweile oft schon Teil der Standardbehandlung. Für andere Krebsarten laufen derzeit klinische Studien.
Neben der Tatsache, dass die Therapie nicht bei allen Patienten gleich und bei manchen gar nicht wirkt, hat sie auch Nebenwirkungen: In vielen Fällen kommt es zu heftigen Autoimmunreaktionen, oft sind Haut oder Darm betroffen. Daher ist die Behandlung mit Checkpoint-Hemmern spezialisierten Zentren vorbehalten.
FANG DEN KREBS
Besondere Antikörper können gleichzeitig Krebs- und Immunzellen aufspüren und so verkuppeln, dass der Blutkrebs verschwindet.
Antikörper spielen im Kampf gegen den Krebs mittlerweile eine große Rolle. So können die Eiweiße etwa gezielt überlebenswichtige Stoffwechselwege blockieren, die für das Wachstum der Krebszellen entscheidend sind. Da dabei das Immunsystem nur in geringem Maße angeregt wird, zählt man sie in der Regel nicht zur Immuntherapie.
Allerdings gibt es bestimmte, sogenannte „bispezifische“ Antikörper, die Tumor- und Immunzellen im Organismus zusammenbringen und somit die Körperabwehr zum Krebs führen.
Dafür bauen die Forscher die Y-förmigen Antikörpermoleküle im Labor um, sodass sie nicht mehr mit beiden „Armen“ das gleiche Ziel, sondern mit dem einen die Tumorzelle und mit dem anderen eine T-Zelle greifen, und dann so aktivieren, dass sie den Tumor zerstören.
„Auch diese Ansätze werden bereits im Patienten für bestimmte Krebsarten erfolgreich erprobt und sind für einige seltene Tumoren schon zugelassen“, sagt der Immunologe Hans-Dieter Volk. Bisher war ihr Einsatz aufgrund von Nebenwirkungen aber eingeschränkt. „Durch gentechnische Modifikation wurde nun eine neue Generation an bispezifischen Antikörpern entwickelt, die derzeit in ersten klinischen Studien erprobt werden und große Hoffnung wecken“, sagt Volk.
Seit 2015 in der EU zugelassen für die Blutkrebs-Therapie ist der Wirkstoff Blinatumomab (die Endung auf „-ab“ steht bei solchen und ähnlichen Medikamenten dabei immer für „antibody“, also Antikörper). Er richtet sich gegen ein Oberflächeneiweiß auf B-Zellen und wird für die Behandlung spezieller Formen der akuten lymphatischen Leukämie eingesetzt.
Ob die Designer-Antikörper auch für die Behandlung anderer Tumortypen infrage kommen, wird derzeit intensiv erforscht. Die besten Aussichten allerdings gibt es bei den verschiedenen Blutkrebsarten.
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Damit fallen sie in ein ähnliches Anwendungsgebiet wie die CAR-T-Zellen. Dem Onkologen Ulrich Keilholz zufolge hätten die Antikörper aber einige Vorteile, da man sie flexibler dosieren könne und nicht jedes Mal individuell Zellen produzieren müsse. Er sei überzeugt davon, „dass die Antikörper eine große Zukunft haben“.
MIT GENTECH-TRICKS GEGEN DEN TUMOR
Wird das Erbgut von Immunzellen verändert, können sie den Krebs wieder abtöten.
In manchen Fällen kann sich der Organismus nicht mehr gegen die Krebszellen im Körper wehren, er hat keine Immunität. Mit einer neuen Methode lassen sich allerdings Abwehrzellen außerhalb des Körpers so ausrüsten, dass sie den Tumor bekämpfen können – sie werden sozusagen auf den Krebs abgerichtet.
T-Zellen im Blut reagieren auf spezielle Eiweiße auf der Oberfläche von Krankheitserregern. Auf welche Eiweiße, ist in ihrem genetischen Code festgelegt. Hier setzt die Forschung an: Mit Hilfe von Gentechnik statten Wissenschaftler die T-Zellen mit Bindungsstellen aus, die genau zu den Strukturen auf der Oberfläche von Tumorzellen passen. Diese künstlichen Rezeptoren heißen „Chimäre Antigen-Rezeptoren“ (CAR). Die CAR-T-Zellen werden im Labor vermehrt und den Patienten zurück ins Blut gespritzt, wo sie die Krebszellen sofort angreifen.
Die Therapie hat weltweit viel Aufmerksamkeit erregt, weil sie bei einigen Patienten mit weit fortgeschrittener Krebserkrankung zu spektakulären Erfolgen geführt hat (siehe Text ganz rechts). Besonders gut funktioniert die Methode bei bestimmten Formen von Leukämie (B-Zell-Leukämien). Erste CAR-T-Zelltherapien wurden 2017 zugelassen, auch in Deutschland. „Mittlerweile sind damit weltweit Tausende Blutkrebs-Patienten erfolgreich behandelt worden“, sagt Hans-Dieter Volk.
„Die Effizienz ist wirklich beeindruckend, aber die Nebenwirkungen sind heftig“, sagt Ulrich Keilholz. In den meisten Fällen äußern sie sich wie eine schwere Infektionskrankheit. Die meisten müssen für ein paar Tage auf der Intensivstation behandelt werden. Im Moment dürfen in Deutschland nur etwa zehn Zentren die CAR-T-Zelltherapie durchführen.
Die Kosten für die Behandlung sind allerdings hoch, Keilholz zufolge etwa 400.000 Euro pro Infusion. Ob diese Summen nur im Erfolgsfall, in Raten oder über andere neue Bezahlmodelle beglichen werden sollen, wird derzeit diskutiert. Das ist umso wichtiger, als Forscher das CAR-T-Prinzip auch auf andere Tumorarten übertragen wollen. Noch ist das etwa bei Darm-, Lungen- oder Brustkrebs nicht gelungen, weltweit laufen aber Hunderte klinischer Studien.
Florian Schumann, Ingo Bach