Covid-19 im Gepäck: Wie wirken sich die Ukraine-Geflüchteten auf die Corona-Lage aus?
Die Impfquote in der Ukraine war gering, aber Infektionsschutz ist auf der Flucht schwierig. Nun kommen Geflüchtete mit einer Covid-Infektion in Deutschland an.
Mit der steigenden Zahl in Deutschland ankommender Flüchtender aus der Ukraine werden auch die Stimmen lauter, die vor Konsequenzen hinsichtlich der Pandemie warnen. So sagte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Montag in Berlin: „Wir wissen, dass sehr viele Flüchtlinge, die jetzt zu uns kommen, an Covid erkrankt sind.“ Die Zahlen seien „teilweise besorgniserregend hoch“.
Auch aus der Opposition gibt es Wortmeldungen, dem Thema Corona bei Geflüchteten mehr Aufmerksamkeit zu widmen. CDU-Generalsekretär Mario Czaja sagte der „Rheinischen Post“, es müsse zudem sichergestellt werden, dass Kinder, die bald deutsche Schulen besuchen würden, auch etwa gegen Masern geschützt seien und insgesamt die „notwendigen Impfungen und Immunisierungen“ hätten.
Laut UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR haben bereits etwa 1,7 Millionen Menschen die Ukraine verlassen. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums sind bis zum 7. März etwas mehr als 50.000 Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland registriert worden. Tatsächlich liegt die Zahl aber mit Sicherheit deutlich höher, denn Staatbürger der Ukraine können ohne Visum einreisen und sich im Schengen-Raum frei bewegen.
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Eine Verpflichtung zur Registrierung gibt es bisher nicht. Diese forderte jetzt gegenüber dem "Handelsblatt" der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer. Sein Argument ist aber, dass Terror- oder Verbrecherorganisationen die Situation auszunützen versuchen könnten.
Mit einer obligatorischen Registrierung wären allerdings auch Tests und die laut Lauterbach bereits den Ankommenden angebotenen Impfungen gegen Covid und andere Infektionskrankheiten viel besser möglich.
Fachleute erwarten aber nicht, dass die Ankunft der Menschen aus der Ukraine das Infektionsgeschehen in Deutschland merklich verstärken wird. Die Sieben-Tage-Inzidenz liegt in Deutschland derzeit bei etwa 1300 Fällen pro 100.000 Einwohner. So falle die Zureise infizierter Menschen aus der Ukraine bei derzeit mehr als etwa 100.000 Neuinfektionen täglich wahrscheinlich nicht sehr ins Gewicht, sagte Viola Priesemann vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen dem Tagesspiegel.
Isolation vor der Ausreise, dicht gedrängt im Zug
Sie schätze „ganz grob“, dass etwa 100 Infizierte pro Tag derzeit einreisten. Das entspräche weniger als 0,1 Prozent der täglichen Neuinfektionen, sagte Priesemann.
Das Modellierungsteam um Kai Nagel von der Technischen Universität Berlin kann die Lage derzeit noch nicht beurteilen. Man überlege aber, so Nagel gegenüber dem Tagesspiegel, ob man „das in die Simulationen aufnehmen“ solle.
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Die Frage, ob und wenn ja in welchem Ausmaß die Situation in Zügen und Unterkünften zu „Superspreading-Events“ - also der Ansteckung sehr vieler durch wenige - geführt haben könnte, ist laut Priesemann derzeit „sehr spekulativ“. Zudem sei es durchaus auch möglich, dass eine de facto Isolation vor der Ausreise, weil die Leute der Angriffe wegen „kaum noch auf der Straße“ gewesen seien, die Inzidenz sogar gesenkt habe.
Die Corona-Impfquote war in der Ukraine vergleichsweise niedrig. Unklar ist zudem, wie sich die oft extreme physische und psychische Belastung auf den Verlauf einer Infektion bei den häufig ungeimpften Flüchtlingen auswirken wird. Dass sich viele Menschen auf der Reise nach Deutschland infiziert haben und weiterhin infizieren werden, ist indes plausibel.
Sie müssen sich lange auf engem Raum zusammen mit vielen anderen aufhalten, etwa in Zügen und Unterkünften. Abstandsregeln einzuhalten oder sachgerechte Maskennutzung ist oft unmöglich, gute Belüftung ebenso, zumal bei den derzeit sehr niedrigen Temperaturen.
Übertragungen seien bei gedrängten Verhältnissen sicher eher wahrscheinlich, sagte die Virologin Jana Schroeder dem Tagesspiegel. „Durch die Umstände der Flucht könnte das Immunsystem geschwächt werden“, vermutet die Chefärztin des Instituts für Krankenhaushygiene und Mikrobiologie der Stiftung Mathias-Spital in Rheine. Es sei durchaus sinnvoll, dass die Flüchtlinge möglichst zügig ein Impfangebot für ihren eigenen Schutz bekommen.
Problematisch: eine Impfung in die Infektion hinein
Um einer schweren Covid-19-Erkrankung vorzubeugen, käme diese Impfung aber für Menschen zu spät, die sich auf der Flucht oder kurz zuvor angesteckt haben. Zudem gibt es Mediziner, die warnen, eine Impfung in eine gerade erfolgte Infektion hinein könne zumindest teilweise problematisch sein. Dieser Situation könnten Geflüchtete, die gerade auf engem Raum mit vielen anderen zusammen waren, ausgesetzt sein, selbst wenn ein Test aufgrund der kurzen Zeit seit der Übertagung noch negativ ausfällt.
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Martin Stürmer, Virologe aus Frankfurt am Main, erklärte gegenüber dem Tagesspiegel, insgesamt sei eine mögliche Covid-Infektion für Flüchtlinge aus der Ukraine „eine untergeordnete Problematik“. Zudem erwartet er, dass „die Zahl der Risikopatienten für einen schweren Verlauf“, also vor allem ungeimpfter, älterer Personen, „insgesamt überschaubar“ sein sollte. „Trotzdem halte ich es für wichtig, bei der Ankunft zu testen und im negativen Fall eine Impfung anzubieten sowie über die Optionen der Infektionsvermeidung aufzuklären.“
Jana Schroeder beobachtet vor allem die derzeit - auch ohne messbaren Einfluss der Einreisenden - wieder steigenden Inzidenzen und eine sicher weiterhin hohe Dunkelziffer mit Sorge. „Wenn viele Menschen gleichzeitig infiziert sind, belastet das die kritische Infrastruktur auch bei vermehrt leichten Verläufen“; sagt die Ärztin. „Das merken wir auch im Krankenhaus gerade sehr deutlich.“
Das Gesundheitssystem könne allein dadurch belastet werden, dass Mitarbeitende ausfallen, weil die gerade krank zu Hause sind oder ein krankes Kind pflegen.