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Gedanken lesen? Mit Brain Computer Interfaces ist das zumindest ansatzweise möglich.
© imago/Ikon Images

Medizin und Technik: Wie vollständig gelähmte Menschen ohne Worte kommunizieren können

Neue Techniken können Menschen mit Locked-in-Syndrom helfen, wieder mit der Außenwelt in Kontakt zu treten. Denn diese Patienten können sich kaum verständlich machen.

Als sich Karl-Heinz Pantkes Leben in einem einzigen Moment für immer veränderte, hatte er am meisten Angst vor seinen Katzen. Er hatte sich aufs Bett gelegt, weil ihm übel war. Er lag da. Kein Muskel in seinem Körper gehorchte ihm mehr. Ein schwerer Schlaganfall hatte seinen Körper gelähmt. Er konnte nicht aufstehen, nicht um Hilfe rufen. Doch seine Gedanken waren vollkommen klar. Er war gefangen im eigenen Körper. Und fürchtete, dass die Katzen sich an ihn schmiegen und ihm die Luft rauben könnten. 22 Jahre später hat Pantke seine Sprache wiedergefunden. Nach einiger Zeit ging die Lähmung teilweise zurück. Mit viel Geduld und Disziplin übte er sprechen. Seine Stimme ist zwar leise, aber seine Worte sind deutlich. Auch, wenn er von jenen Stunden spricht, in denen er in seiner Wohnung lag. „Ich kann mich an fast alles genau erinnern“, sagt er. Der 61- Jährige litt nach einen Klein- und Stammhirninfarkt an dem Locked-in-Syndrom, auf Deutsch „eingeschlossen“. Er war vollständig gelähmt, sein Geist wach. Er hörte die Sanitäter und Ärzte, konnte aber nicht sagen, was ihn schmerzte.

In seinem alten Job als Physiker arbeitet Pantke nicht mehr. Dafür gründete er den Verein LIS und die Christine-Kühn-Stiftung, die Locked-in Patienten und ihre Angehörigen unterstützen. Und schreibt Bücher. Über sein eigenes Schicksal. Über das Locked-in Syndrom. Und über andere Betroffene. Sein neues Buch, das in einigen Monaten erscheint, beschäftigt sich mit dieser Frage: Wie geht es den Menschen, die solch eine Erkrankung erlitten haben? „Wir waren erstaunt, dass wir auf einige trafen, die den schweren Schicksalsschlag als Herausforderung betrachteten und ihr Leben gestalten konnten“, sagt er.

Das quälende Durstgefühl wird er nie vergessen

Doch die ersten Tage und Monate nach der Schlaganfall beschreiben die meisten als sehr schwer. Auch Pantke erinnert sich an das quälende Durstgefühl, als man ihm zu wenig Flüssigkeit gab. Oder das Gefühl des Erstickens, während er künstlich beatmet wurde. Sich bemerkbar machen konnte er nicht. Das Locked-in-Syndrom kann verschiedene Ursachen haben. Ist ein Schlaganfall der Auslöser, besteht oft die Gefahr, dass Mediziner den Zustand des Patienten nicht erkennen und mit dem Wachkoma verwechseln. Dabei sind genau die Teile des Gehirns geschädigt, die beim Locked-in Syndrom vollkommen in Takt sind – der Patient bekommt so wenig oder gar nichts von seiner Umwelt mit. Pantke hatte Glück. Im Urbankrankenhaus in Berlin erkannte der behandelnde Arzt, was passiert war – Pantke hatte Glück. Der Tübinger Neurobiologe Niels Birbaumer und seine Kollegen nehmen an, dass rund 30 Prozent der Wachkoma-Diagnosen falsch sind, also wesentlich mehr Menschen in ihrem Körper eingeschlossen sind, deren Geist vollkommen wach ist.

Neben den Hirninfarkten ist die Nervenerkrankung Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) eine der häufigsten Ursachen für eine komplette Lähmung. Die Krankheit schädigt die Motoneuronen, Nervenzellen, die für die Muskelbewegungen zuständig sind. Viele können im Endstadium der Krankheit nur noch ihre Augen bewegen. Geht auch das nicht mehr, sprechen die Ärzte vom Completely-Locked-in-Syndrom. Seit Jahrzehnten arbeiten Forscher an Methoden, wie die gelähmten Patienten wieder mit ihrer Außenwelt kommunizieren können. Viele sprechen über den Lidschlag, einmal blinzeln heißt nein, zweimal heißt ja. Doch was ist mit jenen, die auch die Augen nicht mehr bewegen können?

„Lebensqualität hängt von Kommunikation ab“

Für diese Patienten gab es bisher keine Hoffnung. Die gibt es jetzt. Ein Team des Schweizer Wyss-Instituts mit Birbaumer und dem Tübinger Neurobiologen Ujwal Chaudhary ermöglicht Betroffenen, sich wieder mitzuteilen. Die Wissenschaftler stellten eine Schnittstelle zwischen dem Gehirn der Patienten und einem Computer her. So konnten sie kraft ihrer Gedanken auf einfache Ja-Nein-Fragen reagieren. Ein Computer maß mit Hilfe von Nahinfrarotspektroskopie und Hirnstromkurve (Elektroenzephalografie,EEG) die Aktivität in verschiedenen Hirnregionen. Mit dem EEG ermittelten sie, ob die Patienten wach waren – da die Patienten sich nicht bewegen, kann nur über die elektrische Aktivität des Gehirns bestimmt werden, ob sie schlafen.

Per Nahinfrarotspektroskopie maßen die Forscher den Sauerstoffgehalt in bestimmten Hirnregionen. Denn wenn eine bestimmte Region im Gehirn aktiviert wird – zum Beispiel, wenn der Patient an ein Wort denkt –, nimmt in diesem Bereich die Durchblutung mit sauerstoffreichem Blut zu. Um dieses Areal zu bestimmen, leuchten die Forscher mit eine Infrarotlampe durch die Schädeldecke. Ein Detektor misst dann ein paar Zentimeter weiter, wie viel Licht durch das Gewebe dringt. Das gibt Auskunft darüber, wie hoch der Sauerstoffgehalt im Blut ist. Anhand der aktiven Hirnregionen erkannten die Wissenschaftler, ob Fragen bejaht oder verneint wurden. Zum ersten Mal bot sich damit Completely Locked-in Patienten die Möglichkeit, sich mitzuteilen. „Lebensqualität hängt von Kommunikation ab“, sagt Birbaumer. Die Forscher hoffen, dass sie in ein paar Jahren auch die Buchstabenwahl ermöglichen können.

Bei Completely-Locked-in Patienten ist das Verfahren besonders schwierig

Die Methode, die Birbaumer verwendet hat, heißt Brain Computer Interface (BCI). Sie verbindet das Gehirn eines Patienten mit einem Computer. Eine vielversprechende Technik, findet Pantke. Er nennt Birbaumer den Vater des BCI. Schon öfter hat der Forscher den Verein beraten, hielt einen Vortrag auf der Tagung anlässlich des zehnjährigen Geburtstages von LIS. Bereits 1999 war es Birbaumer gelungen, ALS-Erkrankten mit Locked-In-Syndrom die Kommunikation per BCI zu ermöglichen. Sie konnten sich noch per Lidschlag oder Augenbewegung verständigen. Warum es bei jenen Patienten, die das nicht mehr können, so viel schwieriger ist, die Hirnaktivitäten zu übersetzen, weiß Birbaumer nicht genau. Möglicherweise könnte es an chaotischen Schlaf- und Wachphasen liegen. Manchmal können auch Hirnschädigungen durch die Krankheit vorliegen.

Als Pantke seinen Schlaganfall erlitt, gab es Techniken wie BCI zur Kommunikationsunterstützung noch nicht. Sobald einige Muskeln wieder gehorchten, behalf er sich mit einer Buchstabentafel. In einer Umfrage, die Pantke in dem Buch „Mensch und Maschine“ veröffentlichte, gaben 16 Prozent der Schlaganfall-Patienten mit Locked-in Syndrom an, direkt nach dem Infarkt keine Hilfsmittel gehabt zu haben, um mit ihrem Umfeld zu kommunizieren. Sie lebten in völliger Isolation. Anderen wurden Buchstabentafeln zur Verfügung gestellt. Jeder Patient solle mit den neusten Techniken die Möglichkeit bekommen, zu kommunizieren, fordert Pantke. Denn nur mit Kommunikation könnten Betroffene ins Leben zurückfinden. Birbaumer findet: Die Locked-in Patienten bekommen viel zu wenig Aufmerksamkeit. „Sie haben keine Lobby, weil sie sprachlos sind.“ Deswegen will sein Team ihnen mittels BCI ihre Stimme zurückzugeben. Es arbeitet direkt mit den Patienten zusammen, damit sie die Technik von Anfang erlernen.

Viele sind glücklich

Neben Birbaumers Maschine, die Gedanken liest, gibt es noch andere Möglichkeiten, den Patienten ihre Stimme zurückzugeben – etwa Systeme mit Blickerfassung, die Eye-Gaze-Systeme. Sie scannen die Position der Pupille und stellen so fest, welchen Buchstaben der Gelähmte anschaut. Dank neuer Techniken gibt es viele Fortschritte. So setzte das Universitätsklinikum in Dresden Remote Eye Tracker, also externe Erkennungssysteme der Augenbewegungen ein, wie sie bei Computerspielen verwendet werden. In ihrer Studie, die im Fachjournal „Annals of Neurology“ erschien, befragten sie die Teilnehmer auch nach ihrer Lebensqualität, die fast alle Patienten mit sehr gut bewerteten – anders als Angehörige.

Pantke kennt die Problematik sehr gut, dass die Lebensqualität der Locked-In Patienten falsch einschätzt wird. „Außenstehende haben da oft ein ganz falsches Bild“, sagt er. „Die denken, ach die armen Menschen im Rollstuhl.“ Gegen diese Wahrnehmung will der Verein ankämpfen. Denn dass angenommen werde, Menschen mit gravierenden körperlichen Einschränkungen seien auch unglücklich, sei oftmals Unsinn. „Das merkt man erst, wenn man sie wirklich fragt“, sagt Pantke. Das hat Birbaumer endlich bei den Completely-Locked-in Patienten getan. Er hat sie gefragt, ob sie glücklich seien. Die meisten sagten ja.

Helena Wittlich

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