Präzisere Prognose: Wie „Wachkoma“-Diagnosen zuverlässiger werden
Das Ausmaß der Schäden des Gehirns entscheidet darüber, ob ein Komapatient wieder zu Bewusstsein kommen kann. Moderne Bildgebung hilft bei der Diagnose.
Gibt es eine Chance, dass er oder sie wieder zu Bewusstsein kommt? Darf man wenigstens auf einen Anflug von Kommunikationsfähigkeit und eine bewusste Reaktion auf äußere Reize hoffen? Diese Fragen stellen sich für Angehörige, Ärzte und Pflegekräfte vor allem, wenn ein Unfall oder eine Erkrankung das Gehirn eines Menschen schwer geschädigt hat. Es ist viel Geduld nötig, bis sie beantwortet werden können – auch nach dem Ende des künstlichen, durch Medikamente bewirkten Komas. Der „Fall“ Michael Schumacher zeigt das besonders deutlich.
Ein Team um Steven Laureys von der „Koma-Forschungsgruppe“ an der Universitätsklinik im belgischen Lüttich bearbeitet seit Jahren beharrlich die Frage, ob und wie gut die moderne Bildgebung bei der Diagnostik und der Einschätzung der Gesundungschancen helfen können. Neurologen unterscheiden zwischen einem „minimally conscious state“, einem Zustand, in dem ihre Patienten zumindest Elemente von Bewusstsein und geistiger Wachheit zeigen, und dem „vegetative state“ oder „Wachkoma“, in dem die Betroffenen nicht auf Reize reagieren, obwohl sie weder in künstlichem noch in echtem Schlaf liegen. Auskunft darüber geben verschiedene Tests, die Ärzten und Neuropsychologen mehrere Tage hintereinander mit den Patienten machen.
Die sorgfältige Studie, deren Ergebnisse Laureys und seine Kollegen jetzt im Fachblatt „Lancet“ vorstellen, zeigt: Einige bildgebende Verfahren können die Prognose deutlich präziser machen. Unter den Methoden, mit denen Forscher dem Gehirn bei der Arbeit zuschauen, schnitt die Positronen-Emissions-Tomografie (PET) besonders gut ab. Mithilfe einer radioaktiv markierten Substanz macht dieses Verfahren den Stoffwechsel des Gehirns sichtbar. Die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) dagegen zeigt, welche Hirnbereiche gerade viel Sauerstoff verbrauchen.
Die klassische Bildgebung war nur etwas besser als das Werfen einer Münze
Von 2008 bis 2012 untersuchten die belgischen Spezialisten in ihrem Zentrum 126 Patienten mit schweren Hirnverletzungen aus ganz Europa. Bei den meisten war ein minimal bewusster Zustand, bei einer kleineren Gruppe ein Wachkoma diagnostiziert worden. Vier Patienten mit einem „Locked-in“-Syndrom, die zwar bei Bewusstsein, jedoch körperlich beinahe vollständig gelähmt waren, dienten als Vergleichsgruppe. Sie alle wurden mithilfe eines standardisierten Tests, der „Koma-Erholungsskala“, eingestuft. Außerdem zeigten PET und fMRT ihre Reaktionen auf bestimmte Reize. Ein Jahr später stuften die Mediziner anhand der „Glasgow-Ergebnis-Skala“ ihre Patienten nochmals ein.
Die Treffsicherheit der PET war dabei dem fMRT überlegen: Keiner der 24 Patienten, bei denen aufgrund einer Kombination von Tests und PET ein „Wachkoma“ diagnostiziert worden war, hatte zwölf Monate später Ansätze von Bewusstsein wiedererlangt. Die „Koma-Erholungsskala“ allein war weniger aussagekräftig. Neun Patienten, bei denen sie auf einen bleibenden „vegetativen Zustand“ hindeutete, zeigten ein Jahr später zumindest Ansätze von Bewusstsein.
Vor allem zu Beginn, wenn im Gehirn nach einem Schädel-Hirn-Trauma noch größere Wassereinlagerungen bestehen, sei eine Vorhersage schwierig, erläutern die Intensivmediziner Jamie Sleigh und Catherine Warnaby in einem Kommentar. Klinische Untersuchungen am Bett des Patienten und die klassische Bildgebung, die nur Strukturen des Gehirns zeigt, seien dann oft „nur etwas besser als das Werfen einer Münze. Eine Frage können wir nicht beantworten: Funktioniert im Gehirn des Patienten noch die Maschinerie, die notwendig ist, um zu einem bewussten Zustand zurückzukehren?“
"Wir müssen den Patienten Zeit geben."
Wenn medizinische Entscheidungen anstehen, ist das jedoch eine extrem wichtige Frage. „Wir suchen deshalb ständig nach neuen Methoden, mit denen unsere Prognose sicherer wird“, sagt der Wachkoma-Spezialist Andreas Meisel, Leiter der Neurologischen Intensivstation und der Arbeitsgruppe Klinische Neurowissenschaft auf dem Charité Campus Mitte. Er hält Laureys’ Untersuchungen für sehr verdienstvoll. Andere Arbeitsgruppen müssten die Ergebnisse nun bestätigen.
Meisel hofft, dass auch Biomarker im Blut der Patienten und neue elektrophysiologische Messungen bei der Prognose helfen können. Denn für eine PET-Untersuchung ist heute meist ein Transport nötig, der bei den schwerkranken Patienten auf der Intensivstation heikel ist.
Keine Technik werde etwas daran ändern, dass man Geduld braucht, gibt Meisel zu bedenken. „Wir müssen den Patienten Zeit geben. Wir müssen vorsichtig sein und auch die Angehörigen mitnehmen.“
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