Vor dem Finale in der Exzellenzstrategie: Wie stehen Berlins Chancen?
Für die Universitäten in Deutschland geht es in dieser Woche beim Elitewettbewerb ums Ganze. Berlins Unis treten im Verbund an. Wie stehen ihre Chancen?
Jeden Morgen, wenn FU-Präsident Günter M. Ziegler sein Büro betritt, grüßt ihn ein Sprichwort von einem Flipchart: „Wenn ihr schnell gehen möchtet, geht allein – wenn ihr weit kommen wollt, macht es gemeinsam.“ Auf Englisch, wie es sich für eine international agierende Exzellenzuni gehört. Ein Motto auch für das Zusammenspiel der drei großen Berliner Universitäten und deren Ringen um die Exzellenzkrone. Denn die Freie Universität, die Humboldt-Universität und die Technische Universität haben sich zusammengetan, um in der Neuauflage des Elite-Wettbewerbs als Verbund erfolgreich zu sein.
Am Freitag entscheidet sich, wie weit Berlin kommen wird: Dann wird in Bonn verkündet, welche Unis aus der „Exzellenzstrategie“, wie der Wettbewerb jetzt heißt, als strahlende Siegerinnen hervorgehen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fiebern dem Tag seit Langem entgegen. Die Unis, die ins Finale eingezogen sind, wurden Anfang des Jahres zwei Tage lang von einem internationalen Gutachterteam inspiziert. In Berlin waren daran mehr als hundert Forschende aus den drei Unis und der Charité, die mit im Boot ist, beteiligt.
Die Spannung ist groß, siegesgewiss zeigt sich in diesen Tagen niemand. „Der Champagner ist kaltgestellt. Und Selters“, sagt Günter Ziegler. Sekt oder Selters: Es geht um viel – um viel Geld und um viel Prestige. FU und HU sind schließlich bereits Exzellenz-Unis und müssen ihren Titel verteidigen, die TU will es jetzt im Verbund zum ersten Mal werden.
Es geht um viel Geld und um viel Prestige
„Ich bin optimistisch“, sagt Christian Thomsen, Präsident der TU. „Wir haben einen exzellenten Antrag gestellt, und die Potenziale der Wissenschaftslandschaft Berlin sind einmalig.“ Ziegler sagt, „die Stimmung ist gut, weil wir gemeinsam ein großartiges Projekt auf die Beine gestellt haben. Wir hoffen, dass es auch die Unterstützung bekommt, die es verdient“. „Gespannt und optimistisch“ ist auch HU-Präsidentin Sabine Kunst: „Gespannt, ob die Gutachter den systemischen Aufschlag unseres Verbundes wirklich goutieren werden.“
Als „Berlin University Alliance“ präsentieren sich die Unis schon jetzt gemeinsam im Netz. Man bezeichnet einander als „Schwesteruniversitäten“, die jüngst als Kollektiv eine Partnerschaft mit Oxford eingingen. Vor einigen Jahren wäre das kaum denkbar gewesen.
Ob Berlin, München oder Heidelberg: Insbesondere für die großen, traditionsreichen Wissenschaftsstandorte wäre es ein enormer Imageverlust, sollten sie sich nicht durchsetzen. Finanziell steht auch deswegen einiges auf dem Spiel, weil die nächste Wettbewerbsrunde nicht einfach die dritte Fortsetzung der Initiative ist. Vielmehr werden die ausgewählten Unis künftig dauerhaft gefördert. Sie müssen sich in sieben Jahren keinem Wettbewerb mehr stellen, sondern nur eine Evaluation überstehen. „Man müsste sich schon sehr blöd anstellen, um dann rauszufallen“, sagt ein Wissenschaftsexperte.
Die Finalistinnen
Elf Siegerinnen sollen gekürt werden, sie werden aus 19 Anträgen ausgewählt. Die Chancen stehen also in etwa 50: 50. Ins Finale haben es 17 Einzel-Universitäten und zwei Verbünde geschafft; dass sich Unis zusammentun, ist zum ersten Mal möglich. Neben Berlin hat allein Hannover diese Option gewählt. Eine große Frage dürfte sein, wie die Gutachter Einzel- und Verbundanträge in der Zusammenschau bewerten können. „Zwei solche Typen miteinander zu vergleichen, ist eigentlich wie Äpfel und Birnen zu vergleichen“, sagt der Schweizer Physiker Dieter Imboden, der vor einiger Zeit die Kommission zur Evaluation der Exzellenzinitiative leitete.
Für das Finale qualifizierte sich, wer 2018 mindestens zwei Exzellenzcluster gewinnen konnte, also große fachübergreifende Forschungsvorhaben. Noch sind fast alle bestehenden Exzellenzunis dabei, allein Bremen ist ausgeschieden. Mit Freiburg und Karlsruhe kommen zwei Hochschulen hinzu, die 2012 ihren Exzellenz-Titel abgeben mussten. Richtige „Newcomer“ sind Kiel, Hamburg, Münster, Stuttgart und Braunschweig.
Der Wettbewerb ist darauf ausgelegt, Forschungskraft in Deutschland an bestimmten Standorten zu bündeln. Tatsächlich war eine Konzentration schon bei der Clusterentscheidung augenfällig: Berlin ist der Standort mit den meisten Clustern (sieben), Bonn die Universität mit den meisten eigenen Clustern (sechs). Auch Hamburg mit vier eigenen Clustern schnitt überdurchschnittlich gut ab, wie die Münchner Unis, die sich vier teilen. Nur mit der Mindestanzahl von zwei Clustern kamen Heidelberg, Karlsruhe, Stuttgart, Kiel, Freiburg, Münster, Bochum, Konstanz und Braunschweig weiter.
Überhaupt sollen es sechs Finalistinnen – darunter Heidelberg und Karlsruhe – nur wegen einer Hauruck-Aktion von Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) in die Endauswahl geschafft haben. Die Ministerin setzte durch, dass zehn Cluster gefördert wurden, die zuvor auf der Kippe standen. So kamen deutlich mehr Projekte als vorgesehen durch – und das verhalf eben auch diesen sechs Unis erst zur mindestens benötigten Anzahl von Clustern.
Alt versus neu
Ebenfalls auffällig: Mit Bonn und Hamburg waren bei den Clustern ausgerechnet zwei „Newcomer“-Unis am erfolgreichsten. Deutet das womöglich auf Ermüdungserscheinungen bei den „Alteingesessenen“ hin?
Tatsächlich sei es aufwendig, über Jahre hinweg die Exzellenz voranzutreiben, Anträge neu aufzubocken, die bereits über zwei Runden geführt wurden, meint ein Insider: „Manchmal ist es leichter, mit einem neuen Projekt zu starten als ein altes weiterzuentwickeln.“ Die „alten“ Exzellenzunis würden vor einem „Balanceakt“ stehen: „Macht man zu viel Kontinuität, heißt es von den Gutachtern: Das ist dasselbe noch mal.“
Der Berliner Verbund
Die heißeste Frage aus Berliner Sicht ist natürlich, wie der Antrag aus der Hauptstadt bei der Endausscheidung bewertet wird. Wird es ein sattes leuchtendes Grün, auf das die Berliner Delegation mit einem ersten Sekt anstoßen kann? Ein blasses Gelb, woraufhin sich der Regierende Wissenschaftssenator Michael Müller und sein Staatssekretär Krach am Freitag noch gewaltig ins Zeug legen müssen, um die Wissenschaftler und die Politik zu überzeugen? Oder ein Alarm-Rot, das ziemlich sicher das Aus bedeuten würde (mehr zum Verfahren hier)?
„Wir wollen am Ende für die Qualität des Projekts gefördert werden und nicht für eine regionalpolitische Arithmetik“, sagt FU-Chef und Alliance-Sprecher Günter Ziegler. Er setzt darauf, dass in der Endausscheidung erkannt wird, dass es bei der Berlin University Alliance inhaltlich um viel mehr als „nur“ um neue Strukturen geht, die zwischen den drei Unis und der Charité geschaffen werden. Berlin könne mit dem Verbundantrag zwar nicht wie andere Traditionsuniversitäten die historisch gewachsenen Stärken der einzelnen Unis in den Fokus stellen – wie in früheren Runden die HU mit der Neuinterpretation des Humboldt’schen Universitätsbegriffs oder die FU durch ihr über Jahrzehnte aufgebautes internationales Netzwerk. „Aber jetzt entwickeln wir völlig neue gemeinsame Qualitäten, und darauf konzentrieren wir uns“, erklärt Ziegler.
Worum geht es inhaltlich? Der Antragstitel lautet „Berlin University Alliance – Crossing Boundaries toward an Integrated Research Environment“ (Grenzen in Richtung eines integrierten Forschungsraums überschreiten). Sie wollen gemeinsam „gesellschaftliche Herausforderungen von globaler Bedeutung“ angehen. Ein Beispiel, das Ziegler nennt: FU, HU, TU und Charité werden über „Research Value“ (Wert der Forschung) nachdenken. Dabei geht es etwa darum, dem fatalen Druck in Richtung immer schnellerer Forschungsergebnisse und Publikationen entgegenzuwirken. Das sei einerseits ein Thema, das weltweit alle Forschenden umtreibt, sagt Ziegler, und andererseits „ein Thema, das wehtut“.
Chancen und Risiken für Berlin
Die Wissenschaftsstadt kann jedenfalls selbstbewusst in diese entscheidende Woche gehen. Im Förderranking der Deutschen Forschungsgemeinschaft steht Berlin seit Langem vor München bundesweit an der Spitze, kein anderer Standort agiert demnach so vernetzt. Wozu man gemeinsam fähig ist, zeigte sich in jüngster Zeit etwa beim Großthema Digitalisierung: Die Unis richteten 50 neue IT-Professuren ein, Berlin konnte das Deutsche Internet-Institut für sich gewinnen.
[Berlin gibt sechs Millionen Euro zusätzlich für den Exzellenzverbund - mehr lesen Sie hier.]
Wie könnte die Exzellenzstrategie da an der Hauptstadt vorbeikommen? Einen Automatismus gebe es für keinen der 19 Standorte, sagt die Berliner Exzellenzforscherin Dagmar Simon. Dann könne der Wettbewerb ja gleich wissenschaftspolitisch entschieden werden. „Aber Berlin hat gute Chancen, weil es die drei Unis und die Charité wirklich ernst meinen mit der Kooperation“, meint Simon, selbstständige Beraterin und Gastwissenschaftlerin am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung (WZB). Sie war an einer wissenschaftlichen Begleitforschung der ersten Phase der Exzellenzinitiative beteiligt.
Der Verbund? "Einleuchtend", sagt eine Expertin
Inhaltlich sei der Berliner Verbund einleuchtend, wenn es etwa um die aktuellen Menschheitsfragen gehe. „Ein Phänomen wie den Klimawandel können sie auch nur aus allen Perspektiven erfassen“, sagt Simon. Das gelte auch für die geplante gemeinsame Graduiertenausbildung mit einer Art Studium Generale zu fachübergreifenden Gegenwartsfragen, Zukunftsthemen und der Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft.
Bei allen gemeinsamen Projekten und Erfolgen: Es gab und gibt Spannungen, etwa die Verteilungskämpfe beim Landeszuschuss, die auch bei den Exzellenzmillionen drohen könnten, durch Eitelkeiten – und durch Ängste der Unimitglieder, die Eigenständigkeit zu verlieren. In vielen vertraulichen Treffen, auch in den Privatwohnungen der Präsidenten, mit der universitären Öffentlichkeit und mit externer Beratung haben die vier es geschafft, ihre Allianz zu schmieden. Und sie haben mit dem historischen Robert-Koch-Forum ein Hauptquartier in der Nähe zum Bundestag gefunden.
[Die drei großen Berliner Universitäten - wie gut passen sie wirklich zusammen? Hier unsere Analyse.]
Dass die Berliner Bewerbung kein Selbstläufer ist, zeigte schon eine Einschätzung von Peter Strohschneider, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Er erkläre sich gemeinsame Vorhaben wie das in Berlin auch als „Risikovermeidungsstrategie“, nach dem Motto „gemeinsam sind wir stärker“, sagte Strohschneider vor drei Jahren. Größe sei aber noch kein Qualitätsausweis.
Ziegler widerspricht vehement. Weil Berlin eben nicht nur strukturell zusammengehe, sondern etwa auch Fehlentwicklungen in der Wissenschaft thematisiere, sei der Verbund „genau das Gegenteil von Risikovermeidung“. HU-Präsidentin Kunst spricht davon, dass durch die Bündelung der Kräfte ein richtiger Aufbruch zur internationalen Konkurrenzfähigkeit möglich ist. So denkt auch TU-Präsident Christian Thomsen. Für ihn ist es „geradezu zwingend“, das Potenzial eines Verbundes zu nutzen: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Wissenschaft in Berlin ohne Verbund besser in die Gesellschaft wirken könnte.“