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Bewegtes Alter. Mit den Jahren lernen Menschen zusehends besser, mit sich und ihrem Leben klarzukommen.
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Älter werden: Das Glück der späten Jahre

Das Leben im Alter gilt als belastend - doch tatsächlich geht es Älteren seelisch besser als Jüngeren, wie eine Studie belegt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hartmut Wewetzer

Altwerden ist nichts für Weicheier. Das Alter hat seine Tücken. Es ist in Verruf geraten als eine Epoche des unablässigen und unausweichlichen Verfalls, geistig wie körperlich. Die Gelenke schmerzen, das Herz will nicht mehr so wie früher, die Vergesslichkeit nagt am Ego.

Und doch ist das nur die eine, die dunkle Seite des Alterns. Neben dieser gibt es auch eine helle. Man kann es das Paradox des Alters nennen: Während der Körper abbaut, geht es der Seele besser. Obwohl die Zahl der Jahre schwindet, die man noch zu leben hat, kommt man besser mit dem Leben klar. Erstaunlich, aber nicht von der Hand zu weisen, wie eine Studie nicht zum ersten Mal belegt.

Der Psychiater Dilip Jeste von der Universität Kalifornien in San Diego und sein Team befragten rund 1500 zufällig ausgewählte Bewohner von San Diego und Umgebung im Alter zwischen 21 und 100 Jahren nach ihrem körperlichen und geistigen Wohlergehen. Dabei stellte sich heraus, dass die seelische Gesundheit – Lebensfreude, Ausgeglichenheit, wenig Stress, Angst und Depression – mit den Jahren gleichmäßig zunahm. „Die Teilnehmer berichteten, dass sie mit sich und ihrem Leben Jahr für Jahr, Jahrzehnt für Jahrzehnt besser zurechtkamen“, sagte Jeste der amerikanischen Webseite „Medscape“. Zwar sei ein gewisser Abbau intellektueller Fähigkeiten unausweichlich, aber der sei bei vielen nicht von echter Bedeutung.

Psychisch deutlich belasteter ist die Gruppe der 20- bis 30-Jährigen, stellte sich heraus. In dieser Phase werden die Weichen für das spätere Leben gestellt, etwa was Karriere und Partnerschaft angeht. „Man hat in diesem Lebensabschnitt eine Menge Möglichkeiten, aber man fragt sich auch, ob man die richtigen Entscheidungen trifft und fürchtet sich vor den falschen“, kommentiert Jeste.

Weisheit erleichtert das Älterwerden

Was machen Ältere im Umgang mit ihrem Leben richtig? Warum geht es ihnen subjektiv besser, obwohl ihr Zukunftshorizont objektiv gesehen enger wird? Die Antwort hat mehrere Facetten, aber sie passt in ein Wort: Weisheit.

Etwa der Sinn für das Wesentliche. „Ältere Menschen lernen, sich nicht mehr so sehr mit Kleinigkeiten aufzuhalten – und eine Menge Dinge, die früher groß und wichtig waren, werden im Alter klein“, sagt Jeste. Verglichen mit jüngeren Erwachsenen haben ältere weniger mit negativen Gefühlen zu kämpfen. Sie lassen sich von ungünstigen Lebensumständen, etwa schlechterer Gesundheit, nicht so leicht aus dem Gleichgewicht bringen.

Sogar in Hirnscan-Aufnahmen ließen sich diese Prozesse nachweisen. Die als „Angstzentrum“ bezeichnete Schaltzentrale Amygdala (Mandelkern) im Schläfenlappen des Gehirns spricht bei Betagten weniger stark auf negative, stresserzeugende Bilder an. In diesen Zusammenhang passt, dass psychische Leiden in höheren Altersgruppen seltener werden, die Gefahr von Demenz (geistiger Verfall) ausgenommen.

Man ist so alt, wie man sich fühlt, heißt es schönfärberisch. Nein, man ist so alt, wie man alt ist. Aber das heißt nicht, dass man sich schlecht fühlen muss!

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