Chronologie des Coronavirus-Ausbruchs: Wie private Partys dazu führten, dass Göttingen alle Schulen schließt
Bei Feiern in Göttingen infizieren sich Dutzende Menschen mit dem Coronavirus. Die Behörden ordnen einen Massentest an, Schulen schließen. Wie es dazu kam.
In Göttingen haben sich mehr als 80 Menschen nach mehreren privaten Feiern mit dem Coronavirus infiziert. Der neue Infektionsherd in der Universitätsstadt im südlichen Niedersachsen hat weitreichende Folgen. Alle Schulen werden vorsorglich geschlossen, hunderte Bewohner eines Hochhauskomplexes müssen sich Tests unterziehen.
Die Chronologie eines folgenreichen lokalen Ausbruchs:
- Samstag, 23. Mai: Am Wochenende findet das Zuckerfest statt, der Feiertag, an dem Muslime das Ende des Fastenmonats Ramadan begehen. Auch in einem Wohnkomplex am nördlichen Innenstadtrand von Göttingen kommen mehrere Großfamilien zu privaten Feierlichkeiten zusammen, zu denen auch auswärtige Gäste anreisen. Wie Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler (SPD) später mitteilt, kommt es bei einigen privaten Zusammenkünften zu Verstößen gegen Hygiene- und Abstandsregeln.
- Dienstag, 26. Mai: Die ersten Infektionen in Zusammenhang mit den Feiern am Wochenende werden festgestellt.
- Samstag, 30. Mai: Am Vormittag werden weitere Infektionen bekannt, die genaue Zahl der Infizierten wird bei einer Mitteilung des Gesundheitsamtes für Stadt und Landkreis Göttingen allerdings noch nicht genannt. Das Amt teilt mit, dass die Betroffenen zum größten Teil Mitglieder verschiedener Großfamilien sind, die aus Göttingen und Umgebung stammen. Die Behörde kontaktiert nun Menschen aus dem Umfeld der Infizierten. Sie geht davon aus, dass die Anzahl der zu kontaktierenden Personen sich im dreistelligen Bereich bewegt.
- Stand Samstagabend sind 160 Menschen in Quarantäne, darunter 57 Kinder und Jugendliche. Die entsprechenden Schulen seien informiert, so die Behörde.
- Sonntag, 31. Mai: Bis zum Sonntagmorgen sind 35 Menschen positiv auf das Coronavirus getestet worden. Ein Mensch ist schwer erkrankt und befindet sich in stationärer Behandlung. Die Stadt will nun alle Kontaktpersonen auf das Virus testen, auch wenn sie keine Symptome zeigen.
Behörden finden mehr als 300 Kontaktpersonen
Inzwischen geht die Stadt Göttingen Hinweisen nach, dass neben den privaten Feiern auch die illegale Öffnung einer Shisha-Bar zur Verbreitung des Virus beigetragen haben könnte. Am Pfingstsonntag werden alle sechs Shisha-Bars in Göttingen kontrolliert, eine ist entgegen den Vorschriften des Landes geöffnet. Die Bar wird vom Ordnungsamt geschlossen. Wie die Stadt später mitteilt, wird ein Bußgeldverfahren geprüft.
Bis Sonntagabend sind 36 Menschen positiv auf Sars-CoV-2 getestet worden und 310 Kontaktpersonen identifiziert. 140 der Kontaktpersonen fallen in die Zuständigkeit anderer Gesundheitsämter, die umgehend informiert worden seien, wie die Stadt Sonntagabend mitteilt.
Alle Kontaktpersonen ersten Grades haben Termine für einen Test erhalten. Da einige Personen trotz mündlicher Aufforderung durch das Gesundheitsamt nicht zum Test erscheinen, kündigt die Stadt Göttingen an, ihnen rasch eine schriftliche Anordnung zur Vorstellung im Testzentrum zuzustellen, die mit einem Bußgeld bei Nichterscheinen droht.
Quarantänebrechern droht Einweisung
- Pfingstmontag, 1. Juni: Montagvormittag sind Infektion bei 36 Menschen bekannt. Die Zahl der Infizierten könne aber noch weiter steigen, sagt die Sozialdezernentin und Leiterin des Krisenstabs, Petra Broistedt, dem Radiosender „NDR 1 Niedersachsen“.Inzwischen ist bekannt, dass mehrere Infizierte und etwa 60 Kontaktpersonen in einem Hochhauskomplex in der Unistadt, dem Iduna-Zentrum in der Nähe des Schützenplatzes leben. Wie das „Göttinger Tageblatt“ berichtet, hält Broistedt es für unangemessen, den gesamten Komplex mit seinen 700 Einwohnern zu isolieren.
- Am Montagabend sind 68 Menschen positiv auf Sars-CoV-2 getestet worden. Die Ergebnisse weiterer Tests stehen noch aus. Die Behörden in Göttingen versuchen weiter, alle Personen ausfindig zu machen, die mit den Infizierten Kontakt hatten. 203 Kontaktpersonen ersten Grades seien in Stadt und Landkreis Göttingen identifiziert worden, heißt es.
- Dienstag, 2. Juni: Am Dienstagabend sind 80 Menschen infiziert, mehrere Hundert sind in Quarantäne. Es handele sich um 230 Menschen in Stadt und Landkreis sowie 140 im restlichen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, so Broistedt. Die Anzahl der Infizierten könne sich aber erhöhen, da noch Testergebnisse fehlten. Die meisten Infizierten wiesen bisher leichte Symptome auf. Nur eine Person sei in stationärer Behandlung. Unter den Fällen sind auch 24 Kinder.
Gegen eine Person, die die Quarantäne trotz mehrfacher Ansprache gebrochen hat, wird eine richterliche Anordnung erwirkt. Nach Angaben der Stadt meldeten sich einige mögliche Betroffene über das Pfingstwochenende nicht wie angeordnet zu einem Test. Ihnen wird ein Bußgeld angedroht. Laut Krisenstab der Landesregierung gingen Mitarbeitende des Gesundheitsamtes in einigen Fällen in Begleitung der Polizei zu den Betroffenen, um sicherzustellen, dass sie sich testen lassen.
Der Krisenstab droht zudem möglichen Quarantäne-Brechern mit einer Einweisung. Wer sich nicht an eine Quarantäne-Auflage halte, begehe eine Straftat und könne vom Gericht in eine geschlossene Einrichtung überstellt werden, so die stellvertretende Leiterin des Krisenstabs, Claudia Schröder.
Broistedt, die Leiterin des Krisenstabs, spricht von einem „uneinsichtigen, unverantwortlichen Verhalten Einzelner“, das zu der Situation geführt habe. Details nennt sie nicht, auch die Gründe für das Verhalten der Familien sind unklar. Sie hätten sich nicht kooperativ gezeigt. Nach einer Aufforderung über Pfingsten, zu Coronavirus-Tests zu kommen, seien zunächst nur 16 Personen erschienen. „Das Gesundheitsamt hat hinter allen her telefoniert“, so Broistedt.
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Die Schulen müssen wieder schließen
Die Stadt Göttingen gibt am Dienstagabend bekannt, dass bis Montag vorsorglich alle Schulen in Göttingen geschlossen bleiben. Fünf Kitas und mehrere Schulen im umliegenden Landkreis Göttingen sollen bis über das kommende Wochenende geschlossen bleiben.
Nach der Wiedereröffnung der Schulen am Montag soll dort für zwei Wochen eine Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes eingeführt werden. Eine entsprechende Anordnung werde vorbereitet. Die Schließung der Schulen erfolge rein vorsorglich, so die Stadt. Sie verschaffe den Behörden Zeit, um Tests auszuwerten, Infektionsketten aufzuklären, Quarantänemaßnahmen anzuordnen und eine weitere Ausbreitung der Krankheit zu verhindern.
Zudem sollen alle Bewohner des betroffenen Wohnkomplexes getestet werden. Der Massentest sei ein „milderes Mittel“ als die Anordnung einer pauschalen Quarantäne für sämtliche Betroffene, heißt es.
Eine Arbeitsgruppe der Stadt soll den Reihentest aller Bewohner des Hochhauskomplexes vorbereiten. Die Hausverwaltung wird aufgefordert, den Behörden einen Hygieneplan für die Wohngebäude vorzulegen. (Tsp, AFP, dpa)
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