zum Hauptinhalt
Dieses Jahr heißt es Abstandhalten statt Geselligkeit beim großen Festessen.
© Paul Zinken/dpa

Desinfektionsmittel statt Süßigkeiten: Wie Berliner Muslime das Zuckerfest zur Coronazeit feiern

Wenig Besuch, kein Händeküssen, keine Großfamilie zu Besuch: Wegen der Corona-Pandemie wird das Ende des Ramadan am Sonntag anders gefeiert als sonst.

Gemeinsam mit ihrem Mann wird sich Yasmeen Akdin am Sonntag auf den Weg zu ihrer Schwiegermutter machen. Dort treffen sich auch ihr Schwager, ihre Schwägerinnen und ihre Kinder. Denn es ist ein ganz besonderer Tag: Es ist „Ramazan Bayrami“, das Zuckerfest auf Türkisch, das Fest des Fastenbrechens im Anschluss an den Fastenmonat Ramadan. Aber dieses Jahr wird es anders verlaufen als in früheren Jahren.

Normalerweise gingen die Männer gegen 6 Uhr morgens zur Moschee zum „Bayram namazi“ (Festgebet). Währenddessen bereiteten die Frauen zu Hause ein ganz besonderes Frühstück vor. Wegen der Corona-Pandemie sind zum Zuckerfest-Gebet jedoch nur maximal fünfzig Menschen in der Moschee erlaubt, und man sollte sich vorher anmelden.

Yasmeens Mann hat keinen Platz bekommen. Nun wird das Frühstück bei ihrer Schwiegermutter später als gewöhnlich beginnen, gegen 10 Uhr.

Mit den Schwiegereltern an der Spitze des langen Esstischs wird die Familie zusammensitzen, und damit beginnt das Fest. Es gibt Eier, „Biber“ (gebratene Paprika), „Peynir“ (verschiedene Käsesorten), gebratene Würstchen, Kartoffeln und „Sucuk“ (Salami), schwarze Oliven, Datteln, frisches Obst und Gemüse und „Pide“, ein rundes Fladenbrot mit Sesam, speziell zum Ramadan.

Manchmal gibt es neben Traditionellem auch Pancakes mit Nutella

Yasmeen, die mit 14 Jahren zum Islam konvertierte, ist in dieser Runde die einzige Frau, die kein Kopftuch trägt. „Nachdem wir einen Monat lang auf das Frühstück verzichtet haben, freuen wir uns sehr darauf und kochen für jeden, was er mag“ , sagt die heute 24-Jährige und lacht. Manchmal gibt es neben den traditionellen Rezepten etwa auch Pancakes mit Nutella. Nach dem Essen bekommen die Kinder Geschenke und viele Süßigkeiten.

Zum Zuckerfest nimmt sich Yasmeen, die Islamwissenschaft studiert und nebenbei als Personalleiterin einer Telekommunikationsfirma arbeitet, zwei Tage frei. Gemäß den türkischen Traditionen besuchen die Jüngeren die Älteren, küssen ihre Hand und bekommen ein kleines Taschengeld als Geschenk. Dieses Jahr nicht. „Wir werden wenige Leute besuchen und keine Hände küssen. Normalerweise würde das als respektlos gelten. Aber wegen Corona müssen wir es anders machen.“

Dieses Jahr ohne die Großfamilie

Das Abendbrot wird nur mit ihren Schwiegereltern und den zwei Geschwistern ihres Ehemannes und deren Familien stattfinden, ohne den üblichen Besuch von der Großfamilie. Das kommt Yasmeen wie ein schlechter Film vor. Aber sie freut sich trotzdem darauf. „Wenn wir den Tisch decken, sieht es herrlich aus. Die Kinder kommen dazugerannt, greifen zu und sitzen schnell auf unseren Schößen. Das sind so schöne Momente, die ich liebe.“

Nicht nur am heimischen Esstisch, auch in den Moscheen wird in diesem Jahr alles anders sein. Murat Gül ist Islamlehrer in einer Schule in Kreuzberg und Vorsitzender der Islamischen Föderation in Berlin (IFB). Die IFB ist ein Dachverband, der vor 40 Jahren gegründet wurde, um den Islam bekannt zu machen und die Integration der Muslime zu fördern. Zu deren Mitgliedsvereinen gehören neben 17 Moscheen in Berlin auch noch Jugendvereine, Frauenvereine und Selbsthilfegruppen.

[Berlin steht still - genug Ideen, was man machen kann, gibt es trotzdem. Im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint finden Sie jeden Morgen Tipps für die Zuhause-Bleib-Zeit. Jetzt kostenlos abonnieren: checkpoint.tagesspiegel.de]

Seit 20 Jahren leitet Gül das Zuckerfestgebet in verschiedenen Moscheen, dieses Jahr in der Melvana Moschee am Kottbusser Tor. Auf den weichen Teppichen sitzt er unter der großen Moscheekuppel, die mit bunten Schriftzügen und Mustern geschmückt ist. Das Zuckerfest sei für ihn ein besonderer Moment der Freude und eine Erleichterung nach dem intensiven Fastenmonat, sagt er. „Man ist danach von seinen Sünden befreit. Ich fühle mich so erleichtert und verbunden mit mir selbst und meinen Schwächen.“

Dieses Jahr werden nur neun Moscheen des IFB das Gebet vollziehen, sagt Gül. Es wird vier Mal durchgeführt, jeweils um 6, 7, 8 und 9 Uhr. Am Eingang müssen die Besucher ihre Daten in eine Liste eintragen und ihre Hände desinfizieren.

Sie sollen gesund und unter 65 Jahre alt sein und Mundschutz tragen. Jeder sollte seinen eigenen Koran mitbringen und seinen eigenen Gebetsteppich. Auf den Teppichen sind die Plätze markiert: jeweils anderthalb Meter Abstand zwischen den Betenden.

Nach dem Gebet folgt ein kurzer Vortrag. Dieses Jahr wird das Thema die Coronakrise sein: Wie man sie als Zeichen Gottes verstehen und durch diese schwere Zeit kommen kann, sagt Gül. Danach müssen alle die Moschee verlassen, der Plausch mit Bekannten fällt der Pandemie zum Opfer.

Desinfektionsmittel statt Süßigkeiten

Süßigkeiten werden auch nicht verteilt. Stattdessen wird gelüftet und desinfiziert, bevor die nächste Gruppe reinkommt. Die Toiletten bleiben gleich geschlossen. Trotzdem: „Ich freue mich, dass das Gebet überhaupt stattfinden kann“, sagt Gül. „Aber diese schönen Gefühle, die man spürt, wenn man Schulter an Schulter, Fuß an Fuß miteinander betet, werden mir fehlen.“

[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Auch Nouran Ibrahim muss sich umgewöhnen. In den letzten Tagen hat sie mit ihrer Mutter und ihren sechs Geschwistern ungewöhnlich wenige Mengen von den traditionellen ägyptischen Keksen zum Zuckerfest gebacken. Normalerweise backen sie davon drei Tage lang rund zwanzig Kilo und verteilen sie beim Zuckerfest-Gebet an Nachbarn, Freunde und Bekannte in der arabisch-deutschen Moschee „Arresala" in Berlin-Moabit. „Das macht Spaß und bringt uns Freude. Das können wir dieses Jahr leider nicht machen.“

Verhaltene Vorfreude. Nouran Ibrahim fühlt sich dieses Jahr eingeengt.
Verhaltene Vorfreude. Nouran Ibrahim fühlt sich dieses Jahr eingeengt.
© privat

Neben ihrem Studium in Chemie und Geschichte auf Lehramt bringt Nouran Ibrahim in der Moschee ehrenamtlich kleinen Mädchen Koranrezitationen bei. Ihr Vater ist der Imam und Leiter des gemeinnützigen Vereins, in dessen Räumen mitunter soziale Beratungen und Unterrichtsstunden für arabische Sprache angeboten werden.

Das Gebetsfest ist für Nouran und ihre Familie die wichtigste Feier des Jahres. „Das ist wie Weihnachten für mich. Schon als Kind habe ich mich darauf riesig gefreut.“

Kinder unter 12 dürfen nicht in die Moschee

Dieses Jahr werden sie allerdings nicht wie sonst gemeinsam in die Moschee gehen können. Denn Kinder unter zwölf Jahren dürfen nicht mitkommen. Deswegen wird Nourans Mutter zur ersten Gebetsrunde gehen, während sie selbst auf ihre kleinen Geschwister zu Hause aufpasst. Wenn die Mutter zurückkommt, wechseln sie sich ab.

Statt des Kinderprogramms nach dem Gebet, das Nouran ehrenamtlich organisiert hat, wird sie die Anmeldeliste verwalten. Sie hat den Kindern Nachrichten geschrieben und für jeden ein kleines Geschenk angefertigt, das sie den Eltern mitgeben wird.

Nouran, die als Kind mit ihren ägyptischen Eltern nach Deutschland gekommen war, hat hier sonst keine Verwandten. Sie feierten das Frühstück des Zuckerfestes nach dem Gebet in der Moschee mit den anderen Familien der Gemeinde. Das fällt dieses Jahr auch aus. Da die Anzahl der Familienangehörigen jeweils auf fünf Personen begrenzt ist, können sie nicht wie üblich in ein Museum oder in den Zoo gehen.

An den Seen ist es voll, zudem haben sie Angst, sich mit Corona anzustecken. „Ich fühle mich dieses Jahr eingeengt. Aber wir werden zu Hause feiern und haben dafür viele Spiele gekauft. Auch welche, die wir im Hof spielen können.“

Hend Taher

Zur Startseite