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Studierende des dualen Studiengangs Elektronische Systeme an der Berliner Beuth-Hochschule. In Berlin gibt es 2000 duale Studienplätze, 700 Unternehmen kooperieren.
© K. Kleist-Heinrich

Studieren wider den Fachkräftemangel: Wie Frauen oder Migranten doch noch MINT studieren

Das duale Studium könnte neue Gruppen für Technik und Naturwissenschaften erschließen. Das ergibt eine Studie der Akademie der Technikwissenschaften zum Fachkräftemangel.

Frauen, Migranten oder Kinder aus nicht-akademischen Elternhäusern – auf diese Gruppen richten sich begehrliche Blicke, wenn es darum geht, den Fachkräftemangel in Mathematik, Informatik und den Natur- und Technikwissenschaften (MINT) zu bekämpfen. Bislang stehen Abiturientinnen und Abiturienten aus diesen Gruppen einem MINT-Studium oft distanziert gegenüber, lautet ein Befund einer neuen Studie der Akademie der Technikwissenschaften, Acatech.

Vielen Frauen – und manchen Studienabbrechern – scheine der von ihnen gewünschte Praxisbezug des Studiums in MINT nicht klar erkennbar. Viele Kinder aus nicht-akademischen oder finanzschwachen Elternhäusern wollten sich den Unwägbarkeiten beim Berufseinstieg nach dem Studium lieber nicht aussetzen und steuerten lieber eine Ausbildung an.

2020 werden 120 000 MINT-Akademiker gebraucht

Dabei mangelt es an Akademikern mit MINT-Abschluss. Das arbeitgeberfinanzierte Institut der deutschen Wirtschaft sagt für die Jahre von 2016 bis 2020 einen Bedarf von 120 000 Akademikern in diesem Bereich voraus. Besser für MINT mobilisiert werden könnten diese Gruppen, wenn die Potenziale des dualen Studiums besser als bislang ausgeschöpft werden, folgert die Studie unter Leitung von Andrä Wolter, Professor für Erziehungswissenschaftliche Forschung zum Tertiären Bildungsbereich an der Humboldt-Uni.

Duale Studiengänge sind dem Erfolgsmodell der dualen Ausbildung nachempfunden: Ein Betrieb kooperiert dabei eng mit einer Hochschule, die Studierenden lernen an beiden „Lernorten“ und sollen so Theorie und Praxis systematisch miteinander verbinden. Die Unternehmer wählen die Bewerber aus und zahlen eine Ausbildungsvergütung. Bei über einem Drittel der Verträge wird die spätere Übernahme in den Betrieb bereits vertraglich mit der Studentin oder dem Studenten geregelt, mindestens aber bestehen sehr gute Chancen dafür. Die Abbrecherquoten sind niedrig.

Duale Studiengänge auf wenige Fächer beschränkt

Die dualen Studiengänge, die in den siebziger Jahren an den Berufsakademien in Baden-Württemberg erstmals eingeführt wurden, konzentrieren sich gegenwärtig „auf ein relativ enges Fächerspektrum“, heißt es in der Studie. 12 Prozent werden in Informatik angeboten, 40 Prozent in Ingenieurwissenschaften und 43 Prozent in Wirtschaftswissenschaften. Ganz überwiegend sind sie an Fachhochschulen oder Berufsakademien angesiedelt, nur wenige an Universitäten. Über 1000 duale Studiengänge unterschiedlicher Modelle gibt es, die Zahl nimmt ständig zu.

„Gute bis sehr gute Noten“, „Zielorientierung“, „Fleiß“ und „hohe Motivation“ sowie eine Affinität zu Mathematik, Naturwissenschaft und Technik sind nach Wahrnehmung der von den Forschern befragten 1362 Studierenden und zusätzlich interviewten Experten aus Hochschulen oder Unternehmen nötig, um die Doppelbelastung des dualen Studiums erfolgreich zu bestehen. Gut geeignet seien auch Personen mit „Strukturpräferenz“, also solche, „die feste Strukturen mögen oder sogar brauchen“, hätten die Befragten ausgesagt – allerdings nicht so Unternehmensvertreter, da diese Qualität „nicht unbedingt“ der Vorstellung von Führungskräften entspreche.

Es hapert an der Umsetzung

Während die befragten Studierenden das Konzept der Verzahnung von Theorie und Praxis loben, fällt die Beurteilung über die Umsetzung kritisch aus. Die Mehrzahl berichtet, Praxis und Studium seien nicht oder zu wenig miteinander abgestimmt. Der Transfer werde weniger durch die Organisation geleistet als von den Studierenden „individuell im Kopf“. Auch die Praxisphasen allein werden kritisiert: 24 Prozent sehen keinen Lerneffekt. Doch gebe es auch „Best-Practice-Beispiele“, etwa wenn „Praxisreflexionsmodule“ angeboten würden.

Zu den Motiven, dual zu studieren, gehört der Studie nach vor allem das „hohe Ausmaß an beruflicher Sicherheit“. Allerdings enthielten viele Ausbildungsverträge auch „Bindungsauflagen, die mit Vertragsstrafen einhergehen und die berufliche Mobilität nach dem Studium stark einschränken“. Auf Schwierigkeiten können die Absolventen auch stoßen, wenn sie nach dem Bachelor im Master weitermachen wollen. Trotz des schon winkenden Arbeitsplatzes haben der Studie nach drei Viertel der Befragten diesen Wunsch – das entspricht dem Durchschnitt aller Studierenden. Die dualen Studiengänge seien aber hoch spezialisiert und darum oft nicht anschlussfähig. Zum Teil hielten die Hochschulen die Absolventen wegen ihrer Nähe zur Praxis auch nicht fürs Masterstudium qualifiziert. Und die Unternehmen erwarteten einen zügigen Einsatz im Betrieb.

"Erfolgsmodell Studienreform" ausbauen

Die Projektgruppe empfiehlt Wirtschaft und Wissenschaft, „übergreifende Qualitätsstandards“ fürs duale Studium zu verabreden und ein „Qualitätssiegel dual“ zu etablieren. Dieses würde die Vergleichbarkeit der Studiengänge erleichtern und Studieninteressierten bei der Orientierung helfen. Um den Übergang zum Master zu erlauben, müsse das wissenschaftliche Niveau sichergestellt werden, Brückenkurse müssten den Übergang unterstützen.

Generell müsse transparent gemacht werden, dass viele duale Studiengänge nicht nur auf „die Leistungsspitze“ zielten. Die Unternehmen sollten sich darum nicht allein auf die Zensuren der Bewerber versteifen. Kleine und mittlere Unternehmen, denen es oft schwer falle, die betrieblichen Anteile des dualen Studiums „qualitätsgerecht“ durchzuführen, sollten sich zu Netzwerken zusammentun. Die Politik schließlich wird aufgefordert, „das Erfolgsmodell der Studienreform“ durch Programme und Vereinbarungen weiter auszubauen. Anja Kühne

Duale Studiengänge unter: www.ausbildungplus.de

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