Coronavirus kam vom Tier: „Es ist nur die Frage, wann wieder ein Virus auf den Menschen überspringt“
Immer wieder schaffen Krankheitserreger, wie das Coronavirus, den Sprung über die Artgrenze. Der Virologe Luka Cicin-Sain erklärt, warum das so ist.
Bei Sars und Mers war es so, und auch das neue Coronavirus ist von einem Tier auf den Menschen übergesprungen und hat schon Tausende Menschen infiziert. Immer wieder gelingt es Erregern, die eigentlich nur Tiere anstecken, die Artgrenzen zu überwinden und sich dann weltweit auszubreiten. Aber wie entstehen solche Emerging Viruses? Wann springen sie über und wie gefährlich sind sie? Wir haben mit dem Virologen Luka Cicin-Sain vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig gesprochen.
Herr Cicin-Sain, hat es Sie überrascht, dass mit dem neuen Coronavirus ein Virus vom Tier auf den Menschen übergesprungen ist?
Nein, gar nicht. Es ist nicht die Frage, ob, sondern wann wieder ein Virus vom Tier auf den Menschen springt. Wir hatten ja nicht nur Sars und Mers, deren Erreger ursprünglich aus Fledermäusen stammen. Auch das Ebola-Virus ist von Flughunden auf den Menschen übergegangen, HIV von Affen. Und die meisten Influenzaviren haben ihren Ursprung in Vögeln. Viren, die auf Menschen überspringen, kommen nicht aus dem Nichts. Sie zirkulieren teilweise schon lange in Tieren – allerdings ohne, dass sie diese krank machen. Virus und Wirt sind in diesem Fall aneinander angepasst, sie koexistieren.
Warum gelingt dann einigen Viren der Sprung über die Artgrenze zum Menschen?
Während Viren in Tieren zirkulieren, verändert sich durch Mutationen ständig ihr Erbgut. Das kann dazu führen, dass die Erreger in der Lage sind, auch Menschen zu infizieren. Diese Mutationen passieren einfach nach dem Zufallsprinzip. Dann ist das Virus in der Lage, in menschliche Zellen einzudringen und sich dort zu vermehren. Kurz, nachdem es übergesprungen ist, ist das Virus allerdings noch schlecht an den Wirt angepasst. Entweder wird es gleich von unserem Immunsystem erkannt und ausgerottet, oder aber es überwältigt unsere Schutzmechanismen und macht uns krank.
Was ist nötig, damit ihm das gelingt?
Dafür müssen die Viren sozusagen einen passenden Schlüssel mitbringen. Das heißt, Strukturen in ihrer Hülle müssen zu den Molekülen passen, die auf der Oberfläche der Körperzellen vorhanden sind, zum Beispiel in den Atemwegen. Wenn diese Voraussetzung durch eine Mutation gegeben ist, können sich die Viren im Menschen vermehren. Und diese Fähigkeit geben sie auch gleich an ihre Nachkommen weiter. Passen sich die Erreger dann
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im Laufe der Zeit weiter an den Menschen an, kann das dazu führen, dass sie sich immer schneller verbreiten können. Deshalb muss man bei Ausbrüchen von Viren, die neu auf den Menschen übergesprungen sind, auch besonders aufmerksam sein. Denn weitere Mutationen könnten dafür sorgen, dass die Erreger sich noch effektiver ausbreiten können.
Kann man vorhersagen, ob das geschehen wird?
Leider nicht, es sind eben zufällige Mutationen. Aber es gibt einen Punkt, an dem Experten bei neu auftretenden Viren wirklich nervös werden. Das ist der Moment, wenn sie merken, dass sich ein Virus nicht mehr ausschließlich durch Kontakt mit infizierten Tieren verbreitet, sondern von Mensch zu Mensch. Und wir wissen: Das neue Coronavirus ist schon angepasst genug, um sich so zu verbreiten.
Ist das ein schlechtes Zeichen?
Nicht unbedingt. Wir wissen noch nicht, ob weitere Mutationen das neue Corona Virus begünstigen können und werden. Ausschließen können wir es aber auch nicht.
Was bestimmt, ob ein Virus, das beim Menschen neu auftritt, ihm gefährlich werden kann?
Dafür sind zwei Begriffe wichtig: Infektiosität und Virulenz. Die Infektiosität beschreibt, wie gut ein Virus von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Ist sie hoch, heißt das aber nicht automatisch, dass das Virus besonders schädlich für den einzelnen Wirt ist. Das wird vielmehr durch die Virulenz bestimmt – die Fähigkeit, jemanden krank zu machen.
Beispielsweise bleiben Viren, die sich leicht ausbreiten, häufig in den oberen Atemwegen, wie beim klassischen Schnupfen. Durch Husten und Niesen verbreiten sich die Erreger schnell, aber sie bringen uns nicht um. Tendenziell gefährlicher sind Viren, die tiefer in die Atemwege eindringen. Allerdings ist es für sie dann schwieriger, wieder aus dem Körper heraus zu kommen und weitere Menschen zu infizieren.
So ist es gut möglich, dass irgendwo auf der Welt in diesem Moment ein sehr virulentes Virus von einem Tier auf einen Menschen überspringt. Wenn dieser allerdings daran stirbt und keine weitere Menschen infiziert, wird sich das Virus nicht vermehren können und niemand erfährt jemals davon. Dagegen fällt mehr auf, wenn sich viele Infektionen in kurzer Zeit häufen, ohne dass gleich alle Infizierten sterben – wie beim jetzigen Ausbruch.
Erhöhen Märkte, auf denen lebende Tiere angeboten werden, das Risiko, dass ein Virus den Sprung zum Menschen schafft?
In vielen Fällen benutzen Viren Zwischenwirte, von denen sie dann auf den Menschen springen. Bei Sars waren es wahrscheinlich Schleichkatzen, bei Mers sind es Dromedare. Wie es beim aktuellen Ausbruch war, ist im Moment noch unklar, auch wenn viele von den Betroffenen in der Nähe dieses Marktes waren.
Allgemein hängt es sehr vom Virustyp ab. Manche Viren können im Staub überleben und bleiben stabil, andere sterben sofort. Manche Virusarten können sich gut in Aerosolen verbreiten, andere nur, indem man rohes Fleisch verzehrt. Viele Menschen fragen sich jetzt, ob der Markt in Wuhan etwas mit dem Ausbruch von 2019-nCoV zu tun haben könnte. Aber derzeit ist das noch eine Vermutung.
Kann man im Nachhinein überhaupt herausfinden, von welchem Tier ein Erreger auf den Menschen übergegangen ist?
Manchmal gelingt das. Man kann zum Beispiel Tierarten in der Region untersuchen. Finden sich in ihrem Körper Viren, deren Erbgut den Viren sehr ähnlich ist, die beim Menschen neu aufgetretenen sind, dann erhöht das die Wahrscheinlichkeit, dass sie als Überträger in Frage kommen.
Wie viele Viren gibt es, die potenziell vom Tier auf den Menschen überspringen können?
Das ist unmöglich zu sagen. Wir wissen natürlich, dass Coronaviren mehrmals den Sprung zum Menschen geschafft haben, wir wissen es auch von Ebolaviren. Auch Influenzaviren schaffen es regelmäßig, oder Flaviviren wie Dengue- oder West-Nil-Viren. Und wir wissen, dass die Umgebung eine Rolle spielt, in der es geschieht.
Das neue Coronavirus in China hat den Sprung jetzt in einer Region geschafft, die unserer klimatisch recht ähnlich ist. Dengue hingegen ist in den Tropen zu finden, an diese Umgebung ist es angepasst. Auch deshalb hatten wir in Deutschland noch keine Dengue-Fälle. Aber insgesamt müssen wir festhalten: Wir wissen derzeit nicht einmal ansatzweise, welche Virusarten außerdem noch auf den Menschen übergehen können.
Das macht es umso schwieriger, sich künftig zu schützen, oder?
Man weiß nie, wann und wo ein neues Virus auftreten wird. Aber das ist kein Grund zur Panik. Es gelingt heutzutage immer schneller, Impfstoffe zu entwickeln. Früher hat es Jahre gedauert, heute sprechen wir von Monaten, bis Tests für einen Coronavirus-Impfstoff beginnen sollen. Wenn man sich überlegt, wie lange es gedauert hat, bis man Impfstoffe gegen Masern und Röteln hatte, dann wird klar, welche riesigen Fortschritte die Wissenschaft in letzter Zeit gemacht hat.
Und wir verstehen heute auch viel besser, wie eine Infektion auf Bevölkerungsebene abläuft und welche Maßnahmen sie eindämmen können. Das wichtigste, wie sich jeder Einzelne schützen kann, ist und bleibt aber, auf Hygiene zu achten. Das Coronavirus ist eine Erinnerung an uns alle, dass wir uns die Hände waschen sollten.
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