Schau mir in die Augen!: Wie der Hund der beste Freund des Menschen wurde
Der Blickkontakt stärkt unter anderem die Bindung zwischen einem Hund und seinem Besitzer. Dabei hilft das "Kuschelhormon" Oxytocin, wie Wissenschaftler festgestellt haben.
Keinem Wolf würde so etwas einfallen, nicht einmal wenn er von Menschen aufgezogen wurde: Ein langer Blick in die Augen seines Gegenübers ist für diese Tiere kein Zeichen besonderer Zuneigung, sondern eher eine Drohung. Als der Hund im Laufe der Jahrtausende zum Begleiter des Menschen wurde, muss sich das irgendwann geändert haben. Denn der Blickkontakt ermöglicht inzwischen tiefe Freundschaft über die Artengrenze hinweg, berichten Takefumi Kikusui von der Azabu-Universität im japanischen Sagamihara und seine Kollegen im Fachblatt „Science“ . Beide Seiten können so die Bindung stärken, dank des Hormons Oxytocin. Oxytocin spielt bei Säugetieren unter anderem in der Beziehung zwischen Mutter und Kind eine wichtige Rolle.
Oxytocin in die Nase gesprüht
In ihren Experimenten dokumentierten die Forscher zunächst eine halbe Stunde lang alle Interaktionen zwischen Hunden und ihren Besitzern. Je länger diese sich gegenseitig in die Augen schauten, desto mehr Oxytocin war später in ihrem Urin zu finden. In einem zweiten Experiment sprühten die Forscher Oxytocin in die Nasen einiger Hunde und ließen sie dann zu ihren Besitzern. Dieses Mal suchten vor allem Weibchen den Blickkontakt mit dem menschlichen Gegenüber. Und dieser konnte sich nicht entziehen: Nach 30 Minuten war auch die Oxytocin-Konzentration im Urin des Menschen gestiegen. Der Blickkontakt stärkt also die Bindung auf beiden Seiten.
„Mich überrascht das nicht“, sagt Roman Wittig vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Denn über den Blickkontakt hinaus gibt es eine weitere Gemeinsamkeit: Der Besitzer füttert seinen Hund und die Mutter stillt ihr Baby. Dass die Mutter bei der Geburt und beim Stillen größere Mengen dieses Hormons freisetzt, weiß man bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Zunächst sorgt Oxytocin dafür, dass die Plazenta in der Nachgeburt abgestoßen wird. Gleichzeitig bindet die Substanz als Botenstoff im Gehirn an bestimmte Rezeptoren und unterstützt damit den ersten Kontakt zwischen Mutter und Kind. Beim Stillen wird diese Bindung immer wieder aufs Neue bestätigt und gestärkt – und das nicht nur beim Menschen, sondern bei allen Säugetieren, die Forscher bisher auf Oxytocin untersucht haben. Sie nennen das Ganze eine positive Rückkopplung.
Die chemische Botschaft kann Freundschaften stiften
Das Hormon hilft Tier und Mensch ebenfalls dabei, Freundschaften zu etablieren: „Schimpansen teilen in der Natur bisweilen ihre Nahrung mit anderen Gruppenmitgliedern“, beobachtete Wittig an der Elfenbeinküste. Weil Forscher die Oxytocin-Ausschüttung im Gehirn in der Natur nicht direkt messen können, bestimmen sie stattdessen den Hormongehalt im Urin, denn er steigt oder fällt parallel. „Etwa dreißig Minuten nachdem einer der Schimpansen sein Futter mit einem anderen in seiner Gruppe geteilt hat, verfünffacht sich die Oxytocin-Konzentration im Urin“, sagt Wittig. Selbst dann, wenn die Schimpansen noch nicht befreundet sind. Die chemische Botschaft kann also Freundschaften stiften. Über die Fellpflege werden dagegen eher bestehende Beziehungen bestätigt, zeigen vergleichende Oxytocin-Messungen.
Ähnlich funktioniert anscheinend die Beziehung zwischen Herr und Hund. Jedenfalls genießen es die Vierbeiner, gekrault zu werden. Serviert der zweibeinige Freund regelmäßig Futter, knüpft er die Banden noch ein wenig enger. Dass wir uns derart um sie kümmern, verdanken die Hunde wohl unter anderem dem für Säugetiere ungewöhnlichen Blick in die Augen. Vermutlich schlichen sich vor allem jene Tiere in die Herzen der Menschen (und der Züchter), die aus einer zufälligen Laune der Natur heraus den Blickkontakt suchten.
Roland Knauer