Evolution des Hundes: Fass! Sitz!
Nicht asiatische Bauern, sondern Jäger und Sammler aus Europa zähmten während der letzten Eiszeit den Wolf.
Die Jäger und Sammler lebten schon eine Weile in ihrem Camp, irgendwo in Europa während der letzten Eiszeit vor rund 30 000 Jahren. Sie jagten Mammuts und andere große Tiere und hatten genug Fleisch für den ganzen Clan. Die Wölfe, die um das Lager strichen, störten sie nicht. Schließlich holten sich die Tiere nur Beutereste, für die sonst niemand Verwendung hatte. Und wenn sich ein Höhlenlöwe oder ein Bär heranschlich, alarmierte die Unruhe der Wölfe nicht nur ihre Artgenossen, sondern auch die zweibeinigen Jäger. Sie profitierten voneinander und gewöhnten sich an das Zusammenleben. So oder so ähnlich wurden aus den Wölfen Hunde. Das Erbgut heute lebender Hunderassen sowie das von hunde- und wolfsartigen Fossilien jedenfalls weist auf Vorfahren aus Europa hin, schreibt ein internationales Team um Olaf Thalmann von der Universität Turku, Finnland, im Fachblatt „Science“.
Das entspricht etlichen Fossilienfunden aus Europa und Sibirien. Archäologen und Paläontologen fanden zum Beispiel in der Chauvet-Höhle im Tal der Ardèche in Süd-Frankreich neben der 26 000 Jahre alten Fußspur eines Mädchens die ebenso alten Abdrücke von den Pfoten eines Hundes oder Wolfes. Und in der Goyet-Höhle in der belgischen Provinz Namur entdeckten Forscher den 36 000 Jahre alten Schädel eines Tieres, das einem Hund sehr ähnelt. Manche Erbgut-Analysen zeichneten dennoch ein anderes Bild. Erst vor ungefähr 15 000 Jahren sollen Menschen demnach Wölfe gezähmt haben – im Osten Asiens. Tatsächlich finden sich aber weder im Mittleren, noch im Fernen Osten Fossilien von Hunden, die älter als 13 000 Jahre sind.
„Bisher wurden immer nur kleine Abschnitte des Mitochondrien-Erbguts analysiert“, sagt Thalmann. Mitochondrien gelten als Kraftwerke der Zellen, sie sind für die Energieversorgung zuständig und haben ihr eigenes kleines Erbgut. Um den Widerspruch zwischen Fossilien und Erbgut-Daten aufzuklären, analysierten die Forscher nun das komplette Erbgut aus den Mitochondrien von 77 unterschiedlichen Hunden sowie von 49 Wölfen aus China, Arabien und Europa und vier Koyoten. Sie verglichen es außerdem mit dem Erbgut von 18 weit mehr als 10 000 Jahre alten hunde- und wolfsartigen Tierüberresten aus Europa.
Als die Landwirtschaft aufkam, gab es längst Hunde
Die heute lebenden Hunderassen konnten die Forscher so in vier Gruppen unterteilen. Alle haben europäische Wurzeln. Auch den Zeitraum für das Zähmen der Wölfe rückte die Analyse zurecht. Nicht vor 15 000, sondern vor 18 800 bis 32 100 Jahren wurden die Wölfe allmählich zum Freund des Menschen. „Der Hund stammt keineswegs aus der Zeit der Landwirtschaft, die vor 10 000 Jahren begann“, sagt Thalmann.
Vielmehr übernahmen die Jäger und Sammler die Domestikation. „Wenn die Jäger ein Mammut erlegt hatten, blieb vermutlich ein Teil der Beute zurück“, sagt er. Möglicherweise duldeten die Jäger vor allem zutrauliche und weniger aggressive Wölfe in ihrer Nähe – der erste Schritt zum Hund. Vielleicht jagten Tier und Mensch die gleiche Beute und wurden zu einem erfolgreichen Team. Denkbar ist auch, dass Jäger die Welpen einer verunglückten Wölfin aufzogen.
Zunächst waren die Tiere jedenfalls eher Jagdkollegen oder Resteverwerter in der Nähe der Camps eiszeitlicher Großwildjäger. Später übernahmen sie andere Rollen, schützten zum Beispiel „ihre“ Jägergruppe oder trugen Lasten. Als die Menschen vor 10 000 Jahren begannen, Nutztiere zu halten, verteidigten Hunde die zahmen Herden. Gefragt waren dafür kräftige und wehrhafte Tiere. „Die modernen Hunderassen bis hin zum Rehpinscher entstanden erst in den letzten Jahrhunderten“, sagt Thalmann noch, bevor er mit seinen Hunden in die finnischen Wälder aufbricht.
Roland Knauer