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Zellen in zwei Hirnregionen, dem Hippocampus und dem entorhinalen Kortex, bilden das GPS-System des Menschen.
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Update

Nobelpreis für Medizin 2014: Wie das Gehirn den Weg zur Arbeit speichert

Der diesjährige Medizin-Nobelpreis geht an den Briten John O'Keefe und das norwegische Forscherehepaar May-Britt Moser und Edvard Moser für ihre Entdeckung des GPS-Systems des Gehirns.

Der diesjährige Nobelpreis für Medizin und Physiologie geht an drei Hirnforscher, zur einen Hälfte an den Briten John O'Keefe und zur anderen Hälfte an die Norweger May-Britt Moser und Edvard Moser. Mit ihren Forschungen erklären die Neurobiologen das GPS-System des menschlichen Gehirns.

Edvard Moser ist am Flughafen München von der Nachricht überrascht worden, berichtete der Neurobiologe Tobias Bonhoeffer vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried. Er hatte mit Moser telefoniert als dieser gerade an der Gepäckausgabe stand. "Er wusste noch gar nichts. Die Lufthansa hat ihn mit einem Blumenstrauß abgeholt und er fragte mich 'Was ist los? Ich verstehe das nicht'." Dann habe er auf sein Handy geschaut und gesehen, dass der Vorsitzende des Nobelpreis-Komitees ihn angerufen hat. "Da dämmerte es ihm", sagt Bonhoeffer. "Aber er wusste es natürlich trotzdem noch nicht sicher.“ Moser besucht Bonhoeffer, der Direktor der Abteilung Synapsen, Schaltkreise und Plastizität ist, um dort einen dreiwöchigen Forschungsaufenthalt anzutreten. Auch Mosers Frau May-Britt wurde von der Nachricht aus Stockholm überrascht: „Ich bin immer noch schockiert. Das ist so großartig“, sagte sie.

Der Weg zur Arbeit entspricht einem Haufen von Platz-Zellen

Das Positionierungssystem, dessen Entdeckung der Nobelpreis würdigt, besteht aus zwei Komponenten. Die erste entdeckte John O´Keefe, der heute am Institut für Kognitive Neurowissenschaften des University College London forscht. Er beobachtete, dass ein bestimmter Typ von Nervenzellen im Hippocampus, einem für Gedächtnisleistungen wichtigen Hirnareal, immer dann aktiv war, wenn sich eine Ratte auf einem bestimmten Platz im Raum befand. Andere Nervenzellen sendeten Impulse, wenn sich die Ratte anderswo befand. Offenbar bildeten diese "Orts-" oder "Platz"-Nervenzellen eine Karte des umgebenden Raumes ab. Wer sich mehr als nur den Weg zur Arbeit und zurück merken muss, wie zum Beispiel Taxifahrer, hat auch entsprechend mehr dieser Zellen. Tatsächlich ist der entsprechende Teil des Hippocampus bei Taxifahrern größer als üblich.

Wie schafft es das Gehirn, sich im Raum zu orientieren und zu navigieren? Der Brite John O'Keefe und das norwegische Forscherehepaar Moser haben es herausgefunden und bekommen dafür den Nobelpreis 2014 für Medizin.
Wie schafft es das Gehirn, sich im Raum zu orientieren und zu navigieren? Der Brite John O'Keefe und das norwegische Forscherehepaar Moser haben es herausgefunden und bekommen dafür den Nobelpreis 2014 für Medizin.
© dpa

Dreißig Jahre später, 2005, entdeckten May‐Britt und Edvard Moser eine weitere Komponente des GPS-Systems des Gehirns, die "Raster-Zellen". Das Forscherehepaar leitet das Kavli Institut für Neurowissenschaft und Systeme und das Zentrum für Biologie des Gedächtnisses an der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie in Trondheim. Die Raster-Zellen bilden ein Koordinatensystem, das mit O'Keefes Platz-Zellen so zusammenarbeitet, dass eine genaue Positionierung und Orientierung im Raum möglich wird. "Die Entdeckungen von John O´Keefe, May‐Britt Moser und Edvard Moser haben ein Problem gelöst, das Philosophen und Forscher seit Jahrhunderten beschäftigt hat", schreibt das Nobelpreiskomittee in Stockholm: "Wie schafft das Gehirn eine Karte vom Raum um uns herum und wie finden wir unseren Weg durch eine komplexe Umwelt."

Der deutsche Philosoph Immanuel Kant meinte, dass manche geistige Fähigkeiten dem Menschen bereits mitgegeben sind und unabhängig von Erfahrungen und Lernvorgängen sind. Das gelte insbesondere für die eine konzeptionelle Vorstellung von Raum. In der Mitte des 20. Jahrhundert ließ der Verhaltenspsychologe Edward Tolman Ratten durch ein Labyrinth laufen und stellte fest, dass ihr Gehirn eine "kognitiven Karte" bildet und sie damit einen Weg durch den Irrgarten finden. Wie Hirnzellen eine solche Karten bilden und speichern können, konnte er jedoch mit den Methoden seiner Zeit nicht herausfinden.

Ortsabhängige Nervenimpulse

In den 1960er Jahren nutzte John O'Keefe dann neurophysiologische Techniken um Antworten auf die Frage zu finden, wie das Gehirn Verhalten kontrolliert. Dazu zeichnete er die elektrischen Impulse einzelner Nervenzellen im Gehirn von Ratten auf, während die Ratten verschiedenes Verhalten zeigten. Dabei stellte er fest, dass bestimmte Zellen im Hippocampus nur dann feuerten, wenn sich die Ratte an einer bestimmten Stelle in der Versuchsanordnung befand. Diese Platz-Zellen bilden nicht einfach nur das von der Ratte Gesehene ab, sondern repräsentieren einen bestimmten Platz auf einer imaginären Karte der Umgebung, mit der sich die Tiere orientieren können. Offenbar speichert der Hippocampus auf diese Weise viele Karten verschiedener Umgebungen. Wer sich also am Morgen an den Weg zur Arbeit erinnert, aktiviert eine ganz bestimmte Abfolge von Platz-Zellen.

Als sich May-Britt und Edvard Moser dreißig Jahre später mit diesem GPS-System des Gehirns beschäftigten, entdeckten sie, dass die Nervenzellen in einer Region nahe des Hippocampus, des entorhinalen Kortex, immer dann reagierten, wenn sich die Ratten durch den Raum bewegten. Bestimmte Zellen wurden aktiv, wenn die Tiere auf ihrem Weg bestimmte Positionen in einem hexagonalen Raster passierten. "Jede der Zellen wurde in einem einzigartigen räumlichen Muster aktiviert", schreibt das Nobelkomitee. "Gemeinsam schaffen diese Raster-Zellen ein Koordinatensystem, das Navigation im Raum erlaubt." Gemeinsam mit anderen Zellen im entorhinalen Kortex, die die Richtung des Kopfes und die Grenzen eines Raumes erkennen, und den Platz-Zellen im Hippocampus bilden sie ein Positionierungssystem, das "innere GPS des Gehirns".

Dass dieses System nicht nur in Ratten sondern auch bei Menschen aktiv ist, zeigen Studien an Patienten, denen die entsprechenden Zellen fehlen oder bei denen sie kurzzeitig ausgeschaltet wurden. Bei Alzheimer-Patienten sind diese Regionen mitunter schon in frühen Stadien betroffen - einer der Gründe dafür, dass sie sich verlaufen. "Das Wissen über das Positionierungssystem des Gehirns könnte deshalb helfen, den Verlust des räumlichen Gedächtnisses zu verstehen", schreibt die Nobelpreis-Jury.

Heimkehrer

Der Nobelpreis 2013 ging an einen gebürtigen Deutschen und zwei weitere Forscher, deren Arbeit über das Transportsystem innerhalb von Zellen mit einem Nobelpreis belohnt wurde: Thomas Südhof, 1955 in Göttingen geboren, war zum Zeitpunkt der Nobelpreisverleihung US-Bürger und arbeitete an der Stanford Universität in Kalifornien. Inzwischen hat Südhof aber auch wieder einen deutschen Pass und ein neurobiologisches Labor an der Berliner Charité, als erster Gastforscher am Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIG).

Mit May-Brit Mosher hat wieder eine Frau den Medizinnobelpreis gewonnen. Damit haben nun 11 Frauen die Auszeichnung erhalten. Die erste und einzige Deutsche Medizinnobelpreisträgerin ist Christiane Nüsslein-Volhard vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen. Sie wurde 1995 mit der Nobel-Medaille geehrt für ihre Forschungen an der Fruchtfliege Drosophila melanogaster. Dabei entdeckte sie Gene, die die embryonale Entwicklung nicht nur von Wirbellosen sondern auch Wirbeltieren steuern. (mit dpa)

Die erste und bislang einzige detusche Medizinnobelpreisträgerin: Christiane Nüsslein-Volhard vom Tübinger Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie.
Die erste und bislang einzige detusche Medizinnobelpreisträgerin: Christiane Nüsslein-Volhard vom Tübinger Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie.
© dpa

Sascha Karberg

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