China hatte bisher sieben verschiedene Definitionen: Wer zählt als Covid-19-Fall?
Immer wieder ändern sich die Definitionen, wer als Covid-19-Fall gilt. Das hat große Folge für das Verständnis der Corona-Pandemie.
Die Frage, welche Personen als Covid-19-Fälle betrachtet werden sollen, ist nicht leicht zu beantworten – und doch entscheidend beim Verständnis der Zahlen zur Pandemie.
„Eine Person mit laborbestätigter Covid-19 Infektion, unabhängig von klinischen Zeichen und Symptomen“, erklärt die Weltgesundheitsorganisation WHO. So lautete bislang auch die Definition des Robert-Koch-Instituts (RKI): Es brauche einen direkten Erregernachweis, damit eine Person als bestätigter Fall gemeldet wird.
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Doch vielerorts reichen die Testkapazitäten nicht aus, so dass viele Fälle nicht bestätigt und nicht gemeldet werden. So war es in der chinesischen Stadt Wuhan, wo die Pandemie ihren Ursprung nahm.
Tests müssen priorisiert werden
Auch in Deutschland wurden bislang viele Personen nur dann getestet, wenn sie sich zuvor entweder in einem Risikogebiet aufgehalten oder klaren Kontakt mit einer bestätigten infizierten Person hatten. Dabei bestand auch hierzulande schon in letzter Zeit die Gefahr, sich unbemerkt anzustecken.
Doch Tests müssen priorisiert werden. So entschied man in der Schweiz, dass Menschen mit leichten Symptomen sich einfach zuhause auskurieren sollen. So bleibt allerdings ein Teil der Infektionen mit dem Virus Sars-CoV-2 unerkannt.
Eine neue Analyse zur Situation in China zeigt nun, welche Auswirkungen verschiedene Definitionen für Covid-19-Fälle haben kann. Ein Team vom WHO-Kollaborationszentrum für die Epidemiologie und Kontrolle von Infektionskrankheiten an der Universität von Hongkong hat die mehr als sieben verschiedenen Fassungen der dortigen Definitionen analysiert (hier die gesamte Studie). Sie waren deutlich enger als jene der WHO: So setzten sie Symptome wie etwa Fieber voraus.
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Welche Falldefinition vor dem 15. Januar galt, ließ sich nicht rekonstruieren, erklären die Forscher. Danach sahen die Regelungen vor, dass Personen eine Verbindung zur Stadt Wuhan oder zu einem Markt in Wuhan gehabt haben müssen, in dessen Umgebung viele Fälle auftraten.
Patienten lediglich mit Lungenentzündung und anderen klinischen Symptomen ohne Informationen über ihren Erreger wurden als Verdachtsfall und nur jene mit vollständiger Übereinstimmung des Virus-Erbguts als bestätigter Fall eingestuft. Später wurden einfachere genetische Analysen, wie sie nun auch in Deutschland durchgeführt werden, zugelassen.
In Hubei wurden die Definitionen öfters geändert
Im Februar reichten die in der am stärksten betroffenen Provinz Hubei vorhandenen Testkapazitäten nicht mehr aus: Vorübergehend regelten die Behörden, dass ein Labortest nicht notwendig ist. Stattdessen mussten Patienten Auffälligkeiten aufweisen, die mittels bildgebender Analysen mit Computertomographien der Lunge detektiert wurden.
Doch durch die insgesamt sehr strengen Richtlinien, nach denen die Personen deutliche Symptom wie etwa Fieber haben mussten, blieben viele bestätigte Infektionen unerkannt. Die in Hongkong ansässige Zeitung „South China Morning Post“ schrieb unter Berufung auf vertrauliche Regierungsdokumente aus Hongkong, dass jede dritte bekannte Infektion nicht öffentlich gemacht worden sei – bei Personen ohne klare Symptome.
Am Dienstag kündigten die chinesischen Behörden an, zukünftig auch diese asymptomatischen Fälle bekanntzumachen: Derzeit seien dies gut 1500 – davon rund 200 aus dem Ausland eingereiste Personen.
Modellierungsstudien sind von großer Wichtigkeit
In ihrer noch nicht begutachteten Studie haben die Forscher aus Hongkong Berechnungen vorgenommen, um abzuschätzen, wie viele Personen bei anderen Falldefinitionen als Covid-19-Fall angesehen worden wären. Allein für den Zeitraum bis zum 20. Februar, an dem es rund 75.000 gemeldete Fälle aus China gab, hätte es bei der Verwendung einer anderen der chinesischen Falldefinitionen rund 232.000 gemeldete Fälle gegeben, schreiben die Forscher in ihrer Analyse.
Dies zeigt, dass es bei Modellierungsstudien von großer Wichtigkeit ist, die jeweiligen Situationen vor Ort mit zu berücksichtigen. Denn kleine Veränderungen in den Falldefinitionen können große Auswirkungen auf die Zahl der Fälle haben. Nach Schätzungen könnte die Gesamtzahl der Infektionen ein Vielfaches der bekannten Fälle betragen.
Das führt dazu, dass die Ausbreitung der Epidemie wie auch die Sterberaten aus mehreren Gründen falsch eingeschätzt werden. Auch in Deutschland: Allein die Tatsache, dass inzwischen deutlich mehr Tests durchgeführt werden als vor wenigen Wochen, kann Erhöhungen der Fallzahlen erklären.
Doch es ist nicht immer möglich, nach den höchsten Standards zu testen – wie auch in China: Dann ist es besser, etwa über Röntgenuntersuchungen der Lunge Auffälligkeiten festzustellen, als eigentlich sichere Erkrankungsfälle nicht zu melden. „Beim Vorgehen gegen den Ausbruch einer ansteckenden Erkrankung ist es normal, die Falldefinitionen und das Meldesystem anzupassen“, erklärt die WHO auf Nachfrage.
Auch das RKI passt Falldefinitionen an
Auch das RKI sieht inzwischen Fälle vor, die nicht mittels eines Labortests, sondern epidemiologisch bestätigt werden: Etwa bei Ausbrüchen in Kliniken sowie Alten- oder Pflegeheimen reicht es, wenn ein bestätigter Fall sowie mindestens zwei Lungenentzündungen aufgetreten sind.
„Es wird sicherlich auch in Berlin eine Phase geben, wo wir sehr viele Neuerkrankungen haben, bei denen wir sagen: Wir verzichten jetzt einfach auf einen Abstrich, wir brauchen die Kapazitäten für andere“, erklärt der Reinickendorfer Amtsarzt Patrick Larscheid. „Aber bei der eindeutigen Symptomatik und der Fallkonstellation gehen die Fälle in die Statistik ein wie klinisch getestete Fälle.“
Das RKI ließ unbeantwortet, wie viele derartige Fälle bislang in Deutschland gemeldet wurden. In den offiziellen Zahlen finden sich keine Angaben. „Es werden nur Fälle veröffentlicht, bei denen eine labordiagnostische Bestätigung unabhängig vom klinischen Bild vorliegt“, erklärt das Institut im täglichen Situationsbericht.
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