Debatte um Organspende: Wenn das Spenderorgan nicht gespendet wird
Manche Spenderorgane kommen für eine Transplantation doch nicht in Frage. Für die Forschung darf man sie nicht verwenden. Sollte sich das ändern?
In Deutschland gibt es zu wenige Organspender. Zwei Drittel der Patienten auf der Warteliste konnten im vergangenen Jahr nicht mit einem lebenswichtigen Organ versorgt werden. Im Bundestag wurde am Mittwoch über zwei Gesetzesentwürfe zur Neuregelung der Organspende diskutiert.
Was dabei nicht zur Sprache kam: die Frage, was eigentlich mit den Organen geschieht, deren Spender einer Entnahme zugestimmt haben, die aber letztendlich nicht verpflanzt werden konnten. Oft würden sie sich für die Forschung eignen.
Nicht jedes Organ kann letztendlich verpflanzt werden
Nicht selten jedenfalls muss ein Transplantationsprozess abgebrochen werden, etwa wenn beim Spender eine Infektion oder eine Krebserkrankung festgestellt wird, die den späteren Empfänger gefährden könnte. Manchmal sind es auch anatomische Besonderheiten, die es unmöglich machen, das Organ zu verpflanzen. Bei 29 Prozent der versuchten Herztransplantationen war dies beispielsweise im Jahr 2018 der Fall. Bei der Bauchspeicheldrüse waren es sogar zwei Drittel.
In den meisten Fällen beenden die Transplantationsmediziner den Prozess bereits vor Entnahme des Organs. „Wenn sich während der Entnahme herausstellt, dass ein Organ aus medizinischen Gründen nicht transplantiert werden kann, wird es erst gar nicht entnommen“, bestätigt Birgit Blome von der Deutschen Stiftung Organspende (DSO). Das Bestreben sei immer, nur Organe zu entnehmen, die auch transplantiert werden können und den Körper so unversehrt wie möglich zu belassen.
Stellt sich erst im Transplantationszentrum heraus, dass ein Organ ungeeignet ist, wird es in der Pathologie untersucht. Davon unabhängige weitere Forschung ist nicht erlaubt. Die Organe werden normalerweise entsorgt
Norbert Hübner, Wissenschaftler am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin, bedauert, dass diese Organe dann nicht mehr verwendet werden dürfen. „Dieses Material, wenn es erstmal da ist, kann tatsächlich zu wissenschaftlichem Mehrwert führen, was oftmals auch im Sinne des Spenders gewesen wäre.“
Organe sollen zuvorderst Leben retten
Hübner und sein Team etwa forschen am menschlichen Herzen. Sie untersuchen Herzzellen und deren Erbinformation in unterschiedlichen Regionen des Organs. Das Material dafür bekommen sie teilweise aus dem Ausland: aus Großbritannien oder den Niederlanden, wo es möglich ist, Organe oder Gewebe für die Forschung zu verwenden, wenn sie nicht für eine Transplantation in Frage kommen.
„In Deutschland sind die Rahmenbedingungen nicht gegeben“, sagt Hübner. Er wünscht sich zwar keine Organspende speziell für Forschungszwecke. Leben zu retten müsse klar Priorität haben. Aber wenn Organe im Verlauf eben doch nicht verpflanzt werden könnten, gebe es bessere Verwendungsmöglichkeiten, als sie einfach wegzuwerfen – sofern das im Interesse des Spenders ist.
Natürlich sei das auch eine ethische Frage, gibt Hübner zu. Alleine möchte er mit dem Thema deshalb nicht vorpreschen. Er plädiert vielmehr dafür, dass sich Institutionen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) oder auch die Bundesärztekammer damit beschäftigen sollten.
Bei der Bundesärztekammer bekommt man die Antwort, das Thema falle nicht in ihren Kompetenzbereich. Die DFG-Senatskommission für Grundsatzfragen in der Klinischen Forschung wiederum erklärt, aus ihrer Sicht gebe es in der Wissenschaft derzeit keine breite Diskussion zum Thema Organspende für die Forschung. Zudem erscheine es ihrer Ansicht nach nicht sinnvoll, die ohnehin bereits sehr komplexe Debatte zur Neuregelung der Transplantationsgesetzgebung zum jetzigen Zeitpunkt um den Aspekt der Organspende zu Forschungszwecken zu erweitern.
Alexandra Dittmann von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung weist darauf hin, dass man seinen Körper nach dem Tod dem anatomischen Institut einer Uniklinik zur Verfügung stellen könne. Dort dient er dann aber vor allem der Ausbildung von Medizinstudierenden. Manchmal üben Ärzte auch neue medizinische Eingriffe an ihnen. Für komplexe Forschungsfragen eignen sich die konservierten Körper jedoch nicht.
Andere Länder haben bereits konkrete Regeln
Dass es möglich ist, einen gesetzlichen Rahmen für die Verwendung von Organen und Geweben von Spendern in der Forschung zu schaffen, zeigen europäische Nachbarstaaten. In der Schweiz etwa gibt es diesen bereits. Seit Oktober 2018 existiert dort ein Register, in dem die Schweizer eintragen können, ob und welche Organe und Gewebe sie spenden möchten – auch für die Forschung. Dies sei allerdings „sehr limitiert und immer nachgeschaltet dem primären Ziel: der sicheren Entnahme von Organen und Geweben zu Transplantationszwecken“, erklärt Franz Immer, Direktor der Stiftung Swisstransplant.
„Primär haben uns die Probleme bei den Inselzellen dazu bewogen, diese Frage aufzunehmen“, sagt Immer. Inselzellen sind Zellansammlungen in der Bauchspeicheldrüse, die den Blutzuckergehalt registrieren und das Hormon Insulin produzieren. Bauchspeicheldrüsen können in bestimmten Fällen Diabetikern transplantiert werden, deren Inselzellen kein Insulin mehr produzieren.
In rund 50 Prozent der Fälle sei die Zellzahl des Inselzelltransplantats zu niedrig, so dass die Transplantation nicht erfolgen könne. Das bedeute, „dass diese Zellen zerstört werden müssten, was in Anbetracht der zahlreichen Forschungsprogramme auf dem Gebiet des kindlichen Diabetes äußerst schade wäre“, so Immer. Allein für Forschungszwecke würden aber keine Organe entnommen. Im letzten Jahr hätten zwei Institute Gebrauch von dieser Art der Organspende gemacht, darunter das Genfer Universitätsspital.
Wissenschaftler müssen ihre Proben aus dem Ausland beziehen
Teresa Rodriguez forscht am Helmholtz-Institut München an Inselzellen. Sie und ihr Team untersuchen, wie Insulin produziert wird und ob und wie Virusinfektionen Diabetes auslösen könnten. Anders als ihre Genfer Kollegen kann sie nicht auf Spenderorgane aus dem Land, in dem sie forscht, zurückgreifen.
Für ihre Arbeit lässt sie Proben aus den USA einfliegen, wo die Forschungsspende ebenfalls möglich ist. Damit diese Proben bei ihr in München ankommen, werden sie gekühlt und gut verpackt über den Atlantik geschickt. Bei Zwischenstopps muss Kühlmaterial nachgefüllt werden. Das kostet viel Zeit und Geld. „Der Versand für so ein Paket kann schon mal 1000 Dollar kosten“, sagt Rodriguez. Das müsse man auch einberechnen, wenn man sich um Forschungsgelder bewerbe.
An ihrem Institut hätten sie und ihre Kollegen schon oft darüber geredet, wie eine Lösung für Deutschland aussehen könnte. Sie wünsche sich jedoch eine übernationale Regelung, die von der Europäischen Union komme und in allen EU-Ländern gelte. „Das Problem in Europa ist, dass jedes Land sein eigenes kompliziertes Regularium hat.“
In der Arbeit eingeschränkt
Vorbild könnten die USA sein, wo es bessere und vergleichsweise einfache Bestimmungen gebe. Rodriguez hat für einige Jahre als Wissenschaftlerin in den USA gearbeitet. „Dort ist man viel offener, was solche Themen betrifft.“ Das liege vielleicht auch daran, dass die Wissenschaftsgemeinschaft sich „stärker bemüht, die Leute zu erreichen.“
In ihrer eigenen Arbeit fühle sie sich derzeit aber nicht eingeschränkt. Sie kenne jedoch Kollegen, die bestimmte Experimente nicht durchführen könnten, weil die Gewebeproben den langen Transportweg nicht unbeschadet überstehen würden. „Die Hauptexperimente werden dann in den USA durchgeführt.“ Die Forscher am deutschen Standort hätten das Nachsehen.
Beim Thema Organspende schwingt immer auch Skepsis mit
Rodriguez wünscht sich, dass das Thema Spenderorgane für Forschungsvorhaben aktiv angegangen würde. Sie allein könne solch eine Kampagne aber nicht stemmen. „Wenn ich sehe, wie bürokratisch alles in Deutschland ist, graut es mir davor.“ Ihrer Ansicht nach bräuchte es ein engagiertes Team, das Gespräche mit Krankenhäusern, Patientenvertretern und der DSO führe – und mit der Politik.
Die ist gerade damit beschäftigt, die Organspende neu zu regeln. Sollte man also jetzt auch über die Verwendung von Organen für die Forschung reden?
Selbst MDC-Forscher Norbert Hübner, der solche Organe eigentlich brauchen könnte, hat Bedenken. Viele Menschen seien ohnehin skeptisch beim Thema Organspende. „Wenn mit der Widerspruchslösung auch noch kommen wird, dass man das Organ möglicherweise für etwas anderes verwenden kann, als für einen medizinischen Zweck, dann werden vielleicht die Skepsis und die Angst noch größer.“ Jetzt könnte also der falsche Zeitpunkt sein, um solch ein Vorhaben vorzutragen. Die Debatte sei ohnehin schon aufgeheizt. Aber in absehbarer Zeit, sagt er, „brauchen wir diese Diskussion in Deutschland“.