Schlossbaustelle Unter den Linden: Wenig Konkretes zum Humboldt-Labor
Kein Kurator und auch sonst viele Fragezeichen – die Humboldt-Universität stellt vorläufige Pläne für ihr Labor im Berliner Schloss vor. Die Zeit drängt.
Wer es präzise mag, ist bei der Mathematik gut aufgehoben: Wie lassen sich U-Bahn-Fahrpläne aufeinander abstimmen, wie die durchschnittliche Wartezeit der U-Bahn-Nutzer reduzieren? Eine Frage der Netzwerkoptimierung – und damit eine für die mathematische Forschung. Wissenschaftler können helfen, den „bestmöglichen Fahrplan“ zu finden, erklärt Jürg Kramer, Mathematikprofessor an der Humboldt-Universität (HU). Wie das funktioniert, zeigt ein Video.
Wie kann man das, was Wissenschaftler täglich tun, einem breiten Publikum verständlich machen? Dieses Problem treibt die HU derzeit noch mehr um als andere Hochschulen. Denn bald steht der Uni ein prominentes Schaufenster im Zentrum der Stadt zur Verfügung. Über 1000 Quadratmeter – ein Foyer, einen Hauptraum, mehrere kleinere Räume – wollen, sollen, müssen im ersten Obergeschoss des Humboldt-Forums, also im rekonstruierten Berliner Stadtschloss, bespielt werden. Nur womit?
Großer Andrang am Mittwoch im HU-Hauptgebäude Unter den Linden. Wenige hundert Meter von der Schlossbaustelle entfernt soll endlich eine Antwort gegeben werden. Dass das öffentliche Interesse mittlerweile riesig ist, hat mit dem langen Schweigen der Universität zu tun. Mehr als ein paar wolkige Formulierungen („fluider Wissensraum“, „Manufaktur des Wissens“) waren bisher kaum nach außen gedrungen.
Ende 2019 sollen die ersten Präsentationen stehen
Nun wird die Zeit knapp, oder, um es mit den Worten von HU-Präsidentin Sabine Kunst zu sagen, „drängelig“. Ende 2019 sollen die ersten Präsentationen im Humboldt-Forum stehen. In musealen Zeiteinheiten gemessen ist das quasi übermorgen. Was also wird die Universität – Wand an Wand mit den neu zusammengestellten Sammlungen des Ethnologischen Museums, des Museum für Asiatische Kunst und des Stadtmuseums Berlin – beitragen? Erste, wenig verblüffende Antwort: Ausstellungen.
Sie sind als „zentrales Basisangebot“ geplant. Workshops, Symposien, Vortragsreihen, öffentliche Seminare, interaktive Angebote, künstlerische Interventionen – all das kommt obendrauf. Auf ein Thema für die Eröffnungsausstellung wollte man sich allerdings noch nicht festlegen. Das wiederum hat mit einer Personalfrage zu tun. Dem Humboldt-Labor fehlt noch immer eine Frau oder ein Mann an der Spitze. Die Stelle des Leitenden Chefkurators ist unbesetzt. Seit Monaten, so war hinter den Kulissen zu hören, sucht die HU fieberhaft nach dieser Person. Bislang offenbar ohne finales Ergebnis. Kunst kündigte nun an, im Januar werde es einen Namen geben.
Dass die Suche nicht ganz einfach ist, mag auch an der kniffligen Konstellation im Schloss hängen. Derzeit tragen die Gründungsintendanten Neil MacGregor, Hermann Parzinger und Horst Bredekamp die kuratorische Verantwortung für das gesamte Humboldt-Forum. Sie werden nach Eröffnung den Stab an den künftigen Intendanten übergeben. Der federführende Kurator des Humboldt-Labors muss sich inhaltlich mit dieser Intendanz abstimmen. Alleingänge sind eher nicht erwünscht.
Beim freien Eintritt rudert die HU zurück
Das wird schon jetzt an Detailfragen deutlich. Vor zwei Jahren noch hatte der damalige Labor-Kurator Sven Sappelt den freien Eintritt als wichtigen Aspekt für ein niedrigschwelliges, familienfreundliches Konzept betont. Das Humboldt-Labor sollte, frei nach dem Open-Access-Gedanken, jedem Besucher kostenlos offenstehen, sagte er 2015 dem Tagesspiegel. Nun rudert die HU zurück und überlässt Neil MacGregor das Wort. „Freier Eintritt, das ist eine unserer Hoffnungen, das hängt aber von der Politik ab“, wiegelt er ab.
Immerhin, ein paar Pflöcke hat die HU mittlerweile eingeschlagen. So steht nun definitiv fest, dass ihr Lautarchiv ins Humboldt-Labor umziehen wird. Es ist eine sogenannte „sensible Sammlung“, unter anderem durch Stimmaufnahmen in unterschiedlichen Sprachen, die in Gefangenenlagern des Ersten und Zweiten Weltkriegs gemacht wurden. „Einerseits sind sie Teil der Wissenschaftsgeschichte Berlins“, erklärt Sammlungsleiterin Britta Lange. Andererseits gehören sie zum „kulturellen Erbe“ anderer Regionen und Gesellschaften. Wie damit umgehen? Anhand des Lautarchivs kann die HU thematisieren, was auch die benachbarten Institutionen im Schloss derzeit umtreibt: die kritische Reflexion der eigenen Sammlungsgeschichte und -politik.
Das Lautarchiv soll ins Schloss
Doch das Archiv wird nur ein kleiner Baustein des Humboldt-Labors sein. Ein größeres Konzept, gar ein Fahrplan für die ersten Monate steht noch aus. Organisatorisch ist das Labor weiterhin am HU-eigenen Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik angesiedelt. Von hier aus soll das „etwa zehnköpfige Kernteam“ die Fühler vor allem in Richtung der künftigen Exzellenzcluster ausstrecken: Diese seien „Ausgangspunkt des kuratorischen Prozesses und zugleich regelmäßige Gesprächspartner“. So steht es in einer 20-seitigen Broschüre zum Humboldt-Lab.
Doch welche großen Forschungsvorhaben die HU und die Mitantragstellerinnen FU und TU überhaupt im milliardenschweren Wettbewerb von Bund und Ländern durchbringen, steht erst im September 2018 fest.
Was bei der Lektüre der Programmbroschüre deutlich wird: Wissenschaftstheoretische Themen wie Vermessung und Visualisierung sollen in den ersten Ausstellungen eine zentrale Rolle spielen. Eine geplante Schau trägt den Arbeitstitel „Messungen und Metriken“, eine weitere soll sich mit der Rolle von „Bildern in der Wissenschaft“ beschäftigen.
Eine Ausstellung im Gropius-Bau als Vorarbeit
Das kommt einem irgendwie bekannt vor. Genau: Darum ging es auch schon in der Ausstellung „+ultra. gestaltung schafft wissen“, die Ende 2016 im Martin-Gropius-Bau gezeigt wurde. Damals wurde die Arbeit des HU-Exzellenzclusters „Bild Wissen Gestaltung“ präsentiert und dessen Sprecher Horst Bredekamp sprach von einem „Trainingslager“ fürs Humboldt-Forum.
Tatsächlich finden sich nun viele „+ultra“-Spuren in den Labor-Überlegungen. Für die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau hatten die Kuratoren beispielsweise ein Game fürs Smartphone entwickeln lassen, mit dem sich die Besucher durch die Räume bewegen konnten. „Das kam sehr gut an und wurde ausgiebig genutzt“, erzählt Frauke Stuhl, die das Spiel mitentwickelt hat. Nun soll es vermutlich eine Neuauflage für das Humboldt-Labor geben.
Das Game-Projekt passt ins Konzept. Denn ausdrücklich, das betont nicht nur Präsidentin Kunst, will die HU im Schloss „Belehrung vermeiden“. Zwar stehen zeitgemäße Vermittlungsformate ganz oben auf der To-do-Liste – man wird zum Beispiel intensiv an der „Akademie Humboldt-Forum“ mitarbeiten, die die Bildungs- und Vermittlungsangebote des Großmuseums zentral bündelt. Aber dabei soll es nicht bleiben. Mindestens ebenso wichtig sei es, dass die Besucher „in den Erkenntnisprozess einbezogen werden“. So formuliert es Friedrich von Bose, der seit März zum kuratorischen Team gehört.
Der Anspruch ist groß - und kompliziert
Dieser Anspruch ist ebenso groß wie kompliziert. Wie sollen in einem mit 600 Quadratmetern eher bescheidenen Ausstellungsraum nicht nur wissenschaftliche Erkenntnis- und Forschungsprozesse dargestellt werden (schwer genug), sondern dabei auch noch neues Wissen generiert werden? Das interaktive Game kann da erste Anknüpfungspunkte bieten. Denn die spielenden Besucher hinterlassen interessante Datenspuren.
Welche Wege im Raum wurden eingeschlagen, welche Artefakte näher betrachtet? Wo brach dagegen das Interesse ein? Nicht nur für Museumswissenschaftler könnte die Auswertung der Daten aufschlussreich sein, sondern letztlich für alle Disziplinen, die sich um einen Dialog mit der Öffentlichkeit bemühen. Und darum soll es ja wohl gehen im Humboldt-Labor. Auch wenn sonst noch nicht viel feststeht.
Alles ist offen in der großen leeren Halle
Eine Baustellenführung am späten Nachmittag brachte kaum neue Erkenntnisse. Friedrich von Bose schwärmte von der „Beletage-Situation“ mit einem „tollen Blick Richtung Unter den Linden und Lustgarten“ – aus den Fenstern an der rechten Seite des großen „Multifunktionsraums“. Wichtig sei vor allem dessen „flexible Gestaltung“. Dabei sei es von Vorteil, dass das Humboldt-Lab nicht mit Sammlungen arbeite, die eine feste Ausstellungsarchitektur mit Vitrinen erfordern. Alles ist offen in der großen leeren Halle – und soll es auch bleiben. (mit -ry)