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Ungestörte Träume. Die dicken Mauern in diesem Gewölbezimmer lassen keine Geräusche durch.
© promo

Abruzzen: Weil das Alte so schön ist

Ein Mailänder verliebte sich in ein fast leeres Dorf in den Abruzzen – und machte Erstaunliches draus.

Daniele Kihlgren entspricht nicht dem Klischee eines Millionärs. Er fährt keinen Ferrari, logiert weder in Nobelherbergen noch geht er auf schicke Partys. Der 48-jährige Sohn eines schwedischen Zementfabrikanten und einer Italienerin, die aus einer Bauunternehmerdynastie stammt, hat das mondäne Leben in Mailand, wo er aufgewachsen ist, nie gemocht. Vielmehr suchte der promovierte Philosoph auf den Spuren von Lawrence von Arabien alle möglichen Abenteuer, handelte sich dabei Krankheiten ein und gründete mit der Caritas in Ruanda die Sextantio Onlus, eine Stiftung auf der Basis von Privatspenden, die 150 000 Ruandern den Gesundheitsausweis ermöglicht.

Als der Mailänder vor 15 Jahren auf seiner Oldtimer-Honda ziellos durch die Abruzzen zuckelte und am Rande des Gran-Sasso-Gebirges auf Santo Stefano del Sessanio stieß, ahnte er nicht, dass das 1250 Meter über dem Meeresspiegel liegende, mittelalterliche Dorf zu seinem neuen Lebensinhalt werden würde.

Nur einen markanten Turm und graue, halb verfallene Natursteinhäuser, in denen wenige Menschen lebten, gab es hier. Und es wurden immer weniger. Die Jungen zogen fort, um in den Städten am Wirtschaftswunder teilzuhaben. Kihlgren ging durch die engen, kopfsteingepflasterten Gassen und verliebte sich in die Stille und Schönheit des einfachen Lebens.

Kein Telefon, kein Fernseher, kein Kühlschrank

Der Entschluss war schnell gefasst. Er begann nach den Hausbesitzern, die teils in die USA und nach Australien ausgewandert waren, zu suchen, kaufte nach und nach deren Wohnungen und Häuser. Insgesamt 4000 Quadratmeter Wohnraum, aus denen ein „Albergo Diffuso“ werden sollte, ein Hotel mit einer im ganzen Dorf verzweigten Struktur von Unterkünften. Das Geld aus dem Verkauf der Fabrik machte es möglich. Er pumpte so viel davon in das Bergdorf, dass seine Mutter drohte, ihn zu enterben.

Daniele Kihlgren liebt das einfache, ursprüngliche Leben in Süditalien.
Daniele Kihlgren liebt das einfache, ursprüngliche Leben in Süditalien.
© Sigrid Mölck-Del Giudice

Daniele Kihlgren ließ die Häuser nach dem Konzept der „Arte povera“ , dem ursprünglichen, rustikalen Landstil der Abruzzen restaurieren, ausschließlich mit Materialien aus der Region. Schwere Balken und Kassettendecken wurden aufbereitet und dekorative Elemente erneuert. Tische und Stühle wurden aufgespürt, an denen schon Generationen ihre Mahlzeiten eingenommen hatten. Für die Holzbetten wurden eigens die traditionellen Schafwollmatratzen neu angefertigt. Alles sollte so authentisch wie möglich sein.

In den heute 29 Zimmern gibt es deshalb kein Telefon, keinen Fernseher und keinen Kühlschrank. Das einzige Zugeständnis an die Moderne sind Internetanschluss, Designer-Badewannen, die auch schon mal zwischen der Fensterluke und dem Kamin stehen, und eine Heizungsanlage unter den 500 Jahre alten Dielen und Steinböden.

Im hauseigenen Restaurant, das früher einmal ein Stall war, werden längst vergessene Rezepturen aus einheimischen Zutaten und Bergkräutern wieder hervorgekramt, die auch bei Nicht-Hotelgästen äußerst beliebt sind. Als Gegenleistung für sein 4,5-Millionen Euro schweres Engagement stellte Kihlgren den lokalen Behörden nur eine Bedingung: Es darf nichts Neues gebaut werden.

"Ich müsste halb Italien retten"

Mit Bogen und Treppen, so schön wurden italienische Dörfer früher gebaut.
Mit Bogen und Treppen, so schön wurden italienische Dörfer früher gebaut.
© promo

Kihlgrens fast missionarischer Einsatz zur Erhaltung des Kulturguts der Abruzzen wurde belohnt. Neben diversen internationalen Auszeichnungen widmete die Presse – von der „New York Times“ über „Economist“ und „Guardian“ – dem Pilotprojekt seitenlange Berichte. Das Sextantio Albergo Diffuso, das inzwischen 25 Menschen Lohn und Brot bietet, ist meistens ausgebucht. Die Einwohnerzahl des Dorfs ist auf 120 Personen gestiegen.

Prominenz war natürlich auch schon da. Die belgische Königsfamilie etwa, George Clooney, Angelina Jolie oder Kiera Chaplin. Seitdem stehen Bürgermeister anderer dem Untergang geweihter Dörfer bei dem Jungunternehmer Schlange. „Wenn es nach denen ginge, müsste ich halb Italien retten. Es gibt in Italien mehr als 2000 ähnliche Dörfer!“ Doch er möchte nicht als Mäzen verstanden werden. „Ich will Arbeitsplätze schaffen und den Menschen eine würdige Unterkunft bieten“, sagt er. Ja, auch Geld verdienen. Das „System Kihlgren“ zur Bewahrung und Wiederbelebung mittelalterlicher Dorfanlagen ist in Süditalien zum Begriff geworden.

Inzwischen hat Kihlgren ein weiteres Projekt realisiert. 2009 eröffnete in der von der Unesco zum Weltkulturerbe erklärten Höhlensiedlung Sassi di Matera in der Basilikata mit der gleichen Strategie ein Grottenhotel mit 18 Zimmern. In den Bädern liegen von Hand hergestellte Seifen und Leinenhandtücher. So wie einst. „Wir wollen die Orte nicht in ein Disneyland verwandeln, mit kitschigen Souvenirläden und Restaurants mit dreisprachiger Speisekarte“, erklärt der schwedisch-italienische Unternehmer. „Wir bieten den Service eines Fünf-Sterne-Hotels, dabei aber alles so authentisch wie möglich. Ein Mix aus Tradition und Moderne.“

Heute sind ihm die Dorfbewohner dankbar

Wer nach Santo Stefano di Sessanio kommt, wohnt Tür an Tür mit Einheimischen. Er wird vorübergehend selbst zum Dörfler. Dabei haben es die Bewohner Kihlgren anfangs nicht ganz leicht gemacht. „Da kam so ein blonder Typ aus Norditalien“, erzählt Francesco, der eine kleine Bottega mit Salami und Käse betreibt, „und meinte, dass unser bescheidenes Leben attraktiv und unsere alten Häuser wertvoll seien. Was sollte man denn davon halten ?! Heute sind wir ihm dankbar für das, was er für uns getan hat.“

Signor Francesco hat zum Plaudern nicht viel Zeit. Eine kleine Gruppe von Touristen drängt sich um den Tresen, um sich Proviant für einen Tagesausflug nach Navelli zu besorgen, wo seit altersher aus den blasslila Krokusblüten Safran, das teuerste Gewürz der Welt, gewonnen wird. Er machte den Riso alla Milanese berühmt. Alljährlich in der zweiten Augusthälfte wird in dem mittelalterlichen Städtchen das Safran- und Kichererbsenfest gefeiert, ein fester Termin für Schlemmer.

Die Region mit den höchsten Bergen südlich der Alpen ist kein Terrain urbaner Kultur. Es war von jeher zu abgeschlossen, als dass sich hier eine blühende Kunstlandschaft entwickeln konnte. Die Bildungsreisenden des 18. Jahrhunderts strebten voller Ungeduld nach Rom oder Neapel und ließen die unwirtliche Gegend achtlos liegen. Heute zählen die einst vom Aussterben bedrohten Braunbären, die Wölfe und Luchse, die in den dichten Wäldern leben, zu den Hauptattraktionen des Parco Nazionale del Gran Sasso.

„Ein wertvolles Natur- und Kulturgut“, sagt Daniele Kihlgren, „für dessen Erhalt wir uns in einer sich rapide modernisierenden Welt einsetzen müssen.“ Beachtliche Worte für jemanden, hieß es in einer Laudatio, der seinen Reichtum ausgerechnet dem Zement verdankt.

Tipps für Italien

ANREISE

Beispielsweise Flug mit Germanwings von Tegel nach Rom, Anfang September ab 133 Euro. Oder mit Lufthansa über München nach Perugia (rund 200 Euro). Zur Weiterfahrt in die Abruzzen empfiehlt sich ein Leihauto. Kleinwagen ab 100 Euro pro Woche.

UNTERKUNFT

Sextantio Albergo Diffuso (Telefon: 00 39 / 08 62 / 89 91 12, im Internet: sextantio.it); ab doch erstaunlichen 200 Euro pro Nacht ist ein Doppelzimmer zu haben.

Deutlich günstiger am Ort: Ferienwohnungen, ab 315 Euro pro Woche (gefunden bei e-domizil.de)

ESSEN UND TRINKEN

Durchweg gut bewertet wird die italienische Küche im L’elisir Del Poeta im Ort.

AUSKUNFT

comunesantostefanodisessanio.aq.it

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