Fondazione Prada eröffnet in Mailand: Im Wunderkammerland
Die Fondazione Prada eröffnet in Mailand einen großartigen neuen Kunstort. Architekt Rem Koolhaas hat mit viel Liebe zum Detail und Material das Bestehende in die Gegenwart geholt.
Natürlich gehört zum genius loci auch das Geld. Wenn die Fondazione Prada in Mailand ein Kunstzentrum eröffnet, parallel zur Expo in der norditalienischen Metropole und zur Biennale in Venedig, wird das kein Schuhkarton. Ein mit 24-Karat-Blattgold überzogenes vierstöckiges Haus markiert das Gelände im Süden der Stadt bei der Bahnstation Porta Romana. Aber der Eindruck täuscht. Protz ist nicht das Programm, und wenn im nächsten oder übernächsten Jahr der weiße Turm eingeweiht wird, der jetzt noch Baustelle ist und erst halb erwachsen, dürfte sich das Bild noch einmal schärfen: Es entsteht ein Ensemble, das die Architektur des frühen 20. Jahrhunderts frisch interpretiert. Demut und Erfindung halten sich die Waage.
Die „metaphysische Malerei“ mit ihrer aufgeladenen Leere wirft da ebenso ein Echo wie das Bauhaus. Rem Koolhaas hat auf 19 000 Quadratmetern eine Miniatur-Polis geschaffen, sieben existierenden Gebäuden drei hinzugefügt. Die Anlage geht auf das Jahr 1910 zurück. Hier brodelten einst die Kessel und Röhren der Società Italiana Spiriti, einer Destille. Man spürt noch den flüssigen Geist des Ortes, die fließende Atmosphäre – und ist sogleich angekommen und angenommen in einem Wunderkammerland.
Wes Anderson hat die Bar Luce eingerichtet
Die Fondazione Prada, sagt Koolhaas, sei weder ein Restaurierungsprojekt noch neue Architektur. Das klingt bescheiden und auch ein wenig kokett. Die Fondazione ist natürlich beides. Koolhaas hat mit großer Liebe zum Detail und Material das Bestehende herübergebracht in die Gegenwart. Er hat Räume zum Schauen und Atmen erschlossen, innen wie außen. Zwischen dem Kinosaal und der neuen, zweistöckigen Ausstellungshalle, dem „Podium“, liegt die Piazza. Bei Konzerten lassen sich die silbrigen Seitenwände des Kinosaals öffnen.
Dort läuft während der ersten Monate ein Film mit und über Roman Polanski, „My Inspirations“. Der junge Filmregisseur war tief beeindruckt von Laurence Oliviers „Hamlet“ und „Citizen Kane“ von Orson Welles. Alle Wege führen nach Italien: Bald mehr noch haben es ihm Fellinis „8 ½“ und De Sicas „Fahrraddiebe“ angetan. Im Foyer des Prada-Kinos hängt ein frühes, farbenstarkes mythologisches Keramikrelief von Lucio Fontana aus den vierziger Jahren, das früher ein Mailänder Lichtspielhaus dekorierte. Es wird mit der Tradition gespielt, mit viel Respekt. Der amerikanische Filmregisseur Wes Anderson hat die Bar Luce eingerichtet, da bekommt man dann auch Alkohol in den Mauern der alten Brennerei. In der Jukebox laufen italienische Hits der Sechziger. Andersons Design zitiert die Galleria Vittorio Emmanuele vom Mailänder Domplatz und die berühmten Filme des Neoralismo.
Die Architektur dient der Kunst
In der Fondation Louis Vuitton in Paris spielt die Architektur die Hauptrolle. Frank Gehrys Kugelschiff scheint mit gestrafften Segeln durch den Bois de Boulogne zu pflügen. Gehry hat eine mächtige Skulptur abgeworfen, in der die Werke von Tacita Dean, Sigmar Polke, Giacometti Platz finden in einem Labyrinth. Koolhaas geht einen anderen Weg, hier dient die Architektur der Kunst.
Man kann den Besuch im (leicht verschobenen) Zentrum beginnen oder auf den äußeren Gängen. Das ist fast wie in einem Kloster. Gott soll überall sein, und zentral ist die Kirche. Das Podium also: Kommt man aus Berlin, wird man unmittelbar an Mies van der Rohe und das Obergeschoss der Neuen Nationalgalerie erinnert, zumal der Bau nun eine Ewigkeit geschlossen bleibt. Raumhohe Fenster auf drei Seiten, greifbares Licht, die Wände aus einem durchbrochenen Aluminium, das Lavastein heraufbeschwört, aber leichter wirkt.
Klassische Statuen stehen im Tageslicht. Athleten, Götter, Nymphen. „Serial Classic“: Es sind Kopien. Römische Kopien griechischer Originale, die sich ja auch schon an Vorlagen orientierten. Die nicht marmorweiß waren, vielmehr bunt bemalt, mit Requisiten versehen. Beispielhaft werden in der von Salvatore Settis und Anna Anguissola kuratierten Schau der Apollo aus Kassel und eine Penelope vorgestellt. Das griechische Bild und Vorbild der wartenden Ehefrau gehört dem Nationalmuseum in Teheran, es wurde einst in Persepolis entdeckt, und daneben stehen die unterschiedlich versehrten römischen Nachbildungen. Abbilder der Karyatiden fehlen natürlich nicht, die tragenden Skulpturen der Akropolis. Wir leben – seit der Renaissance wieder – in einer Welt der Reproduktion.
Die Ausstellung „Serial Classic“ ist exquisit
Die Ausstellung „Serial Classic“ ist exquisit. Wie in der Bewegung eingefrorene Tänzer verharren die Skulpturen, auf Sockeln aus Travertin und Acryl. Original und Kopie, weiß oder bunt, Torsi und integral erhaltene Werke, all das kann man im archäologischen Museum sehen, überall. Hier ist es zugespitzt, wird die Essenz destilliert: Schönheit, Eleganz, Lebenskraft. Settis schreibt im Katalog, dass das griechische Ideal zugleich individuell und gesellschaftlich gewesen sei. Wie die Personen im Theaterchor: Jeder hat eine Stimme, daraus formt sich der gemeinsame Ton. Später will die Fondazione in der großen Ausstellungshalle Tanz und Performance zeigen. „Serial Classic“ hat eine Schwesterausstellung in der Fondazione Prada in Venedig. „Portable Classic“ präsentiert Reproduktionen aus dem klassischen Kanon in Taschenformat aus Marmor, Bronze und Terracotta, den Beginn der Souvenirkultur, der Accessoires, der Mode letztlich.
„Um sich die Gespenster günstig zu stimmen, braucht man einen geduldigen Glauben. Sonst flüchten die Gespenster“, schreibt Alberto Savinio, der Bruder des Malers Giorgio de Chirico, in seinem Mailand gewidmeten Buch „Stadt, ich lausche deinem Herzen“. Die Geister zeigen sich an dem neuen Ort freundlich. Rem Koolhaas und die Kuratoren gewähren ihnen großzügig Platz. Man steigt tief in den Keller hinab, um bei Thomas Demands Installation „Proceso grottesco“ zu landen, einer künstlichen Höhle. In der ehemaligen Zisterne, jetzt ein Raum von sakraler Aura, steht Damien Hirsts „Lost Love“, ein würfelförmiges Aquarium. Exotische Fische schwimmen um einen gynäkologischen Stuhl. Das Wasser ist dank einer aufwendigen Pumpanlage glasklar, aber im Kopf entstehen blutige Bilder.
Man lässt sich treiben
Eines führt zum anderen auf dem Gelände, man macht diskrete Entdeckungen, lässt sich treiben. In der südlichen Galerie wurde die Originalarchitektur belassen. Von Raum zu Raum nimmt das Volumen zu. In dem Parcours finden sich 70 Werke aus der Privatsammlung von Miuccia Prada, ein persönlicher Blick auf die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts mit Yves Klein, Donald Judd, Jeff Koons, Gerhard Richter, Ed Kienholz. Ein Barnett Newman, das ist dann schon Luxus, hängt im Treppenhaus. Die immer größer werdenden Kammern öffnen sich zur Halle mit exzentrischem Fuhrpark. Keiner dieser präparierten Wagen scheint mehr fahrtüchtig, Elmgreen & Dragset, Tobias Rehberger, Carsten Höller und Rosemarie Trockel huldigen dem Auto als Waffe, Kunstwerk, Keimzelle menschlicher Passionen.
In der Nord-Galerie begegnet man Pistoletto, Baldessari, Hockney, aber auch wieder Klein und Fontana. Es bleibt dabei: Das Erlebnis ist die Kunst. Im goldenen Gebäude, das als „Spukhaus“ bezeichnet wird, warten sinistre Arbeiten von Louise Bourgeois und Robert Gober. Es ist ein Memento mori, das sich hinter dem Edelmetall verbirgt. Schnell steigt man wieder hinab zu den Antiken – zu den Kopien, die sich als Originale kleiden, und umgekehrt. Die Idee vom Original ist eine Illusion, aber ungemein beruhigend. Das Originale verspricht Dauer, man fühlt sich sicher.
Info: www.fondazioneprada.org, Katalog „Serial/Portable Classic“ 60 Euro.
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