Die Wissenschaft fürchtet den Brexit: Was wird aus dem Erasmus-Austausch mit Großbritannien?
Der Brexit hat Folgen für die Wissenschaft: Austausch- und Forschungsprogramme müssen neu verhandelt werden. Es gibt aber eine gute Nachricht für Studierende.
Es ist eine Ironie der Geschichte: Ausgerechnet das Erasmus-Austauschprogramm für junge europäische Studierende wurde einst von einem Engländer initiiert. Nun, mit dem Brexit, steht noch völlig in den Sternen, ob der Erasmus-Austausch mit Großbritannien eine langfristige Zukunft hat.
Dabei ist Großbritannien unter europäischen Studierenden äußerst beliebt: Nach Spanien und Deutschland ist es drittnachgefragteste Erasmus-Zielland, mehr als 30.000 EU-Studierende zieht es jährlich für ein oder zwei Austauschsemester an britische Unis.
Großbritannien ist eines der beliebtesten Erasmus-Länder
Nicht nur für sie könnte sich mit dem Brexit auf lange Sicht einiges ändern - auch insgesamt muss sich die europäische Wissenschaft auf neue Beziehungen zu Großbritannien einstellen. Folgende Fragen müssen in den Verhandlungen mit den Briten unter anderem geklärt werden:
- In welcher Form findet der Erasmus-Austausch mit Großbritannien langfristig statt?
- Welche Studiengebühren zahlen EU-Studierende künftig an britischen Unis?
- Was ist mit dem Aufenthaltsstatus von EU-Studierenden und EU-Forschenden in Großbritannien?
- Wie geht es mit gemeinsamen Forschungsprogrammen weiter?
Die gute Nachricht ist: Zunächst bleibt erst einmal alles beim Alten – „in diesem Jahr ändert sich gar nichts“, heißt es beim Deutschen Akademischen Austauschdienst, der den Erasmus-Austausch organisiert. Denn auch für Studierende und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gelten die Übergangsregeln, die den Status Quo bis Ende 2020 beibehalten.
Erasmus-Studierende können also beruhigt ihren Austausch antreten: Das gilt für jene, die an britische Unis gehen, genauso wie die jungen Briten, die an deutsche Hochschulen kommen. 2017 waren 3465 Studierende von deutschen Unis mit dem Programm in Großbritannien, umgekehrt waren es 2317. Aktuellere Zahlen gibt es noch nicht, unklar ist somit auch, ob sich die Brexit-Unsicherheiten bereits auf die Bewerberzahlen ausgewirkt haben.
Was wird mit Erasmus ab dem Jahr 2021?
Komplizierter könnte es indes ab Anfang 2021 werden. Bis dahin handeln die EU und Großbritannien ihre künftigen Beziehungen aus. Dabei geht es auch um das Aufenthaltsrecht: Ein weiterer Knackpunkt für den Austausch in der Wissenschaft.
Denn noch ist völlig unklar, ob für Studierende, Forschende und Lehrende dann wie bisher der Personalausweis reicht, um in Großbritannien zu leben – oder ob sie vielleicht ein Visum brauchen. Womöglich müssen sich diejenigen, die über das Jahr 2020 hinaus einen Austausch planen, dann auf Behördengänge einstellen, um ihren Aufenthaltsstatus zu klären.
Sicher ist dagegen sogar bis Sommer 2022 die finanzielle Förderung durch das Erasmus-Programm. Aktuell werden Fördermittel an die Hochschulen für diesen Zeitrahmen vergeben, und für diese Förderung hat Großbritannien bereits gezahlt, was nicht rückgängig gemacht werden kann.
Spannend wird dann, welche Rolle die Briten in der Neuauflage der Studierenden- und Wissenschaftsprogramme spielen werden, die ab dem kommenden EU-Finanzrahmen gelten, der über diesen Zeitraum hinausgeht. Das betrifft zwar Studierende, die für 2020 und 2021 einen Austausch planen, finanziell noch nicht, dafür aber die nächsten Erasmus-Austauschkohorten. DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee hat im Tagesspiegel bereits gefordert, dass die Politik eine Anschlussregelung für Erasmus priorisieren muss.
Was ändert sich für Deutsche, die komplett in Großbritannien studieren?
Nun gibt es auch Studierende aus Deutschland, die ihr gesamtes Studium in Großbritannien absolvieren und dort einen Abschluss erwerben wollen. Das sind aktuell rund 12.000 Studierende. Sie profitieren bislang davon, dass sie "nur" die ermäßigten Studiengebühren zahlen müssen, die auch für junge Briten gelten - nach EU-Recht sind sie schließlich bislang gleichgestellt. Die Gebühren sind für deutsche Verhältnisse mit maximal 9250 Pfund (aktuell fast 11.000 Euro) zwar immens hoch, aber immerhin oft nur die Hälfte dessen, was internationale Studierende aus Nicht-EU-Ländern zahlen.
Ob es diese Ermäßigung für EU-Studierende in Zukunft geben wird und wie hoch die Gebühren sein werden, ist offen. "Wir brauchen Sicherheit bei den Studiengebühren", fordert daher Peter-André Alt, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz.
Die britische Regierung hat zumindest zugesichert, dass alle Studierenden, die bis zum akademischen Jahr 2020/21 ihr Studium in Großbritannien aufnehmen, bis zu ihrem Abschluss wie junge Briten behandelt werden und so lange die ermäßigten Sätze zahlen. Ebenso können sie sich wie bisher um Finanzhilfen des britischen Staates bewerben.
Was wird aus den Kooperationen in der Wissenschaft?
Viel auf dem Spiel steht auch für Forschungskooperationen mit britischen Unis. Dass Großbritannien einer der wichtigsten, wenn nicht sogar der wichtigste Partner der deutschen Wissenschaft in Europa ist, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hierzulande immer wieder betont.
Das aktuelle Forschungsrahmenprogramm der EU läuft 2020 aus - und welchen Status Großbritannien danach hat, muss ebenfalls noch verhandelt werden. Die deutschen Wissenschaftsorganisationen fordern eine Assoziierung Großbritanniens an die EU, das würde die künftige Kooperation am einfachsten gestalten.
Der Anteil britischer Unis an EU-Projekten sinkt bereits
Einige Unis haben bereits jetzt neue Bündnisse geschlossen, um die Zusammenarbeit zu sichern: Wie die Berliner Unis mit Oxford oder die LMU München mit Cambridge. Das finden allerdings nicht alle gut, mancherorts ist von "elitärer Rosinenpickerei" die Rede, die nichts zu den Verhandlungen über die künftigen Beziehungen beitrage.
Jedenfalls leiden die britischen Hochschulen schon jetzt unter dem Brexit. Wegen der damit verbundenen Unsicherheit ist die Beteiligung britischer Hochschulen an EU-Projekten bereits stark zurückgegangen. Laut der "Royal Society" waren britische Wissenschaftler 2015 noch an 16 Prozent aller Projekte aus dem EU-Forschungsrahmenprogramm beteiligt. 2018 war der Anteil bereits auf elf Prozent gesunken.