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„Diffuse Situationen“: Machtgesten sind an Hochschulen noch immer keine Seltenheit.
© Jan Woitas/picture alliance / ZB

#MeToo-Debatte: Was Frauen über Sexismus an der Uni berichten

Abwertungen, unerwünschte Annäherungen, derbe Sprüche: "Es passiert überall", sagen Frauen an deutschen Hochschulen. Fünf Protokolle.

Emma, Studentin der Wirtschaftswissenschaft

"Ich studiere im vierten Semester Wirtschaftswissenschaft an einer großen Universität im Südwesten Deutschlands. Im letzten Semester ging ich gemeinsam mit Freundinnen auf das Sommerfest einer der Lehrstühle. Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter ließ dort Musik über sein Laptop spielen. Im Laufe der Party wünschten sich immer wieder Leute Lieder bei ihm oder stellten etwas an der Playlist um, was ihn anscheinend sehr ärgerte. Als ich gegen halb eins mit zwei Freundinnen nach einem Lied fragte, rastete er aus. Er begann uns auf übelste zu beschimpfen, in einer vulgären, sexualisierten, frauenverachtenden Weise.

Viele der anwesenden Dozierenden und Studierenden meinten, wir sollten das nicht so ernst nehmen, er sei nur betrunken. Einige waren auch sauer, dass wir das schöne Fest ruiniert hätten mit dieser Szene.

Wir haben dann im Internet recherchiert, was man tun kann. Meine Uni hat hilfreiche Richtlinien, was Sexismus angeht. Für mich war klar, dass das nicht so stehen bleiben kann. Die dritte Betroffene hat sich nicht getraut, sich zu beschweren. Wenn man noch eine Note von jemanden bekommt, will man sich natürlich nicht mit ihm anlegen. Wir haben einen langen Brief geschrieben, wo wir auch gleich das AStA-Frauenreferat angeschrieben haben, damit Druck von vielen Seiten kommt. Der Dekan hat erst einmal mit uns geklärt, was wir tun sollen. Auch die Gleichstellungsbeauftragte war dabei, die uns sehr unterstützt hat. Wir bekamen dann ein Entschuldigungsschreiben, der Beschuldigte wurde schriftlich ermahnt. Die Konsequenz ist allerdings, dass ich keine Kurse mehr an diesem Lehrstuhl belegen werde."

Veronika, Studentin der Germanistik / Öffentliches Recht an der Uni Potsdam und dort Geschlechterreferentin des AStA

"Ich bin seit einem Jahr Geschlechterpolitikreferentin beim AStA der Uni Potsdam. Ich habe mich feministisch politisiert, weil ich selbst von Sexismus und Heterosexismus betroffen bin. Ich sitze unter anderem in der Kommission für Gleichstellung, wo es letztens um gendergerechte Sprache ging. Arbeiten von Studierenden, die gendersensible Sprache nutzen, wurden wegen angeblicher Unwissenschaftlichkeit nicht akzeptiert. In vielen Disziplinen gilt nach wie vor nur die männliche Form als wissenschaftlich.

Ich habe oft erlebt, dass Frauen, die sehr feminin auftreten, sich beispielsweise stark schminken, schlechter bewertet werden. Dass sie auf ihr Äußeres achten, kommt im universitären Kontext nicht gut an. Ich sehe auch Mehrfachdiskriminierung, beispielsweise von nicht-weißen Frauen, als großes Problem an der Uni. Da gibt es oft flapsige Bemerkungen von Dozierenden und schlechtere Resultate für die Betroffenen. An unserer Uni fehlt derzeit eine Antidiskriminierungsstelle für von Sexismus und Rassismus betroffene Personen. Es gibt ein hohes Machtgefälle zwischen Studierenden und Dozierenden, da ist die Frage, an wen ich mich wenden kann, um den Dozierenden auch wirklich unter Druck zu setzen."

Claudia Weber, Professorin für Europäische Zeitgeschichte an der Europa-Universität Viadrina

"Dass Frauen in der Wissenschaft noch benachteiligt werden, fällt mir beispielsweise auf, wenn ich mir die Zusammensetzung von vielen wichtigen Gremien und Kommissionen anschaue. Ziemlich oft ist der männliche Kollege dann der Vorsitzende und um der Gleichberechtigung noch schnell Genüge zu tun, wird dann explizit nach einer Frau für den Stellvertreterposten gesucht. Warum nicht umgekehrt? Grundsätzlich glaube ich schon, dass eine Quote in vielen Fällen Druck ausüben kann, ohne den gar nichts geschieht. Macht abzugeben, macht keinen Spaß. Das kann man ganz sportlich sehen.

Da ich mich mit der Gewaltgeschichte und Massenverbrechen beschäftige, werde ich bei Vorträgen gern mal gefragt, wieso ich mich als Frau denn mit so schrecklichen Ereignissen beschäftige. Das habe ich, ehrlich gesagt, überhaupt nie verstanden. Ich bin dann gar nicht erst in einen unsinnigen Rechtfertigungsmodus gegangen, sondern habe einfach zurückgefragt, worin denn die Verwunderung bestünde? Die Antworten waren meist sehr aufschlussreich. Kurzum: ungeachtet aller Fortschritte gibt es nach wie vor ganz subtile und beschämend plumpe Diskriminierung.

Umso wichtiger ist es für Frauen, zu lernen, damit umzugehen. Mit Deutlichkeit, Mut und Witz. Ich kann nur empfehlen, in die vielen Mentoringprogramme auch Einzel-Coaching-Module aufzunehmen und diese auch zu nutzen. Ein kleiner Tipp von mir: Lassen Sie sich als Frau und gleichberechtigtes wissenschaftliches Mitglied in einer Kommission nie in die Rolle der Protokollschreiberin drängen, sondern bestehen Sie dann darauf, dass diese Pflicht unter den Mitgliedern rotiert. Sonst schreiben Sie immer das Protokoll, während ihre männlichen Kollegen die Welt erklären. Im Coaching lernen unsere NachwuchwissenschaftlerInnen, solche Dinge nicht persönlich zu nehmen, sondern professionell zu klären. Es geht nicht darum, gemocht zu werden, sondern um das Herstellen von Respekt. Gemocht werden können Sie zu Hause.

In den vergangenen Jahren haben sich die Karrierechancen von Frauen in der Wissenschaft gleichwohl deutlich verbessert, auch durch politische Initiativen wie das 2008 begonnene Professorinnenprogramm. Dennoch sind wir von einer Gleichstellung entfernt und dies hat ganz verschiedene Ursachen. Fähige, hochintelligente Frauen steigen nach der Promotion aus der Wissenschaft aus und wählen das ,klassische' Beziehungsmodell, das heißt, sie verzichten ihrer Beziehung und der Familie ,zuliebe' auf den sicher harten Weg der wissenschaftlichen Karriere. Das ist bedauerlich. Maßnahmen zur Familienförderung sollten Frauen unbedingt ermutigen. Als Professorin und Mutter ist es mir wichtig, zu zeigen, dass berufliche Träume verwirklicht werden können. Und das eigene Geld zu verdienen, schafft außerdem Freiheit und eine angenehme Unabhängigkeit."

„Wir machen das schon, Blondie“

„Diffuse Situationen“: Machtgesten sind an Hochschulen noch immer keine Seltenheit.
„Diffuse Situationen“: Machtgesten sind an Hochschulen noch immer keine Seltenheit.
© Jan Woitas/picture alliance / ZB

Lena, Informatik-Studentin an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin

"Ich habe zwei Jahre lang an der Freien Universität Berlin Informatik studiert. Viele meiner Kommilitonen konnten am Anfang des Studiums schon sehr gut programmieren, da kamen oft Sprüche wie: ,Wir machen das schon, Blondie'. Mir wurde alles abgenommen und meine Versuche, selbst etwas zu tun, ignoriert. Als ,Mädchen' in der Gruppe, das auch noch Anfängerin ist, war das sehr schwierig. Ich habe alle Kurse bestanden, aber hatte das Gefühl, ich mogele mich durch. Als Frau in der Informatik ist es auch ein Problem, dass du viel Aufmerksamkeit auf dich ziehst. Es gab ständig Liebesbriefe und Annäherungsversuche meiner Kommilitonen. Das ist sehr nervig und unangenehm, aber man kann es nicht vermeiden. Manche arbeiten auch nur so lange mit dir zusammen, bis sie merken, dass sie nicht bei dir landen können. Meine wissenschaftlichen Fähigkeiten standen dabei nie im Vordergrund.

In den Semesterferien habe ich dann freiwillig bei einer Arbeitsgruppe mitgemacht, aber auch dort wurde ich nicht für voll genommen. Der wissenschaftliche Mitarbeiter, der heute Professor ist, meinte, er freue sich, dass eine Frau dabei ist, weil die Männer sich dann mehr anstrengen würden. Er hat mir auch gesagt, dass ich mich nicht so sexy anziehen und lieber einen Kapuzenpullover tragen sollte, da sonst die Kommilitonen zu nervös würden. Wenn ich heute die gleiche Situation noch einmal hätte, würde ich den Prof zur Seite nehmen und mit ihm reden."

Mechthild Koreuber, Zentrale Frauenbeauftragte der FU Berlin

"Mitte der 1980er Jahre während meines Mathematikstudiums und später in den 1990er Jahren als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Informatik war ein Sexismus in diesen männlich dominierten Fachkulturen häufig im Alltag von Studium, Lehre und Qualifikationsarbeiten zu finden. Wenn es heute um Alltagssexismus gegenüber Studentinnen, aber auch um andere Diskriminierungsformen geht, versuchen wir, den Dozierenden durch gendersensible Didaktik ein Bewusstsein für diese Thematik zu vermitteln (mehr hier). Hierzu kann zukünftig auch die die Ausbildung der Tutor*inen und Mentor*innen gehören, da auch sie in ihren Veranstaltungen Geschlechterstereotypen reproduzieren und damit immer noch einen Alltagssexismus unterstützen.

Die Freie Universität hat eine Einwohnerzahl wie eine Kleinstadt, mit fast 40.000 Mitgliedern. Da passiert alles, und es passiert überall. In den über achtzehn Jahren, die ich Frauenbeauftragte bin, habe ich auch alles erlebt – von subtilem Sexismus bis hin zur Vergewaltigung. Letzteres ist bisher allerdings extrem selten vorgekommen und als ein Offizialdelikt rechtlich eindeutig. Hier berate ich die Betroffene, wo sie rechtliche oder psychologische Hilfe finden kann.

Häufig geht es aber um diffuse Situationen. Da trifft sich etwa der Professor am Spätnachmittag mit der Studentin, die bei ihm eine Bachelorarbeit schreibt, im Café, eine neutrale Situation. Doch dann verändert sich die Stimmung. Gleiches kann bei Konversationen auf Social Media passieren, die zu persönlich werden. Ist das jetzt schon sexualisierte Diskriminierung? Hier bieten wir einen Reflexionsraum in der Beratung, denn es ist wichtig, zunächst zu überlegen, was eigentlich passiert ist, ob es notwendig ist zu handeln und durch welche Schritte die Situation verändert werden kann. Das ist nicht einfach, wenn es zum Beispiel um einen Seminarschein oder den Studienabschluss geht. Insgesamt wünsche mir, dass mehr Studentinnen, aber auch Mitarbeiterinnen zu mir kämen und mir von Alltagssexismus erzählen (mehr hier).

Wenn wir beobachten, dass Handlungsbedarf seitens der FU besteht, arbeite ich mit der Personalabteilung, der Rechtsabteilung und der Hochschulleitung zusammen. Wenn Gespräche nicht fruchten, gibt es viele Handlungsspielraum für die Hochschule etwa ein Hausverbot oder der Entzug des Stipendiums. Es kann bis zum Disziplinarverfahren gehen. Bedeutend wichtiger ist es aber, präventiv zu wirken, immer wieder darüber aufzuklären, dass die Hochschule sexualisierte Diskriminierung und Gewalt nicht duldet. Hierzu gehört etwa die Themenwoche ,Gegen sexualisierte Diskriminierung und Gewalt - Für Selbstbestimmung und ein respektvolles Miteinander' an der FU im November (mehr hier)."

Protokolle: Inga Barthels. – Die befragten Studentinnen wollten nicht öffentlich mit Nachnamen auftreten.

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