Rückgang der Insekten: Was fleucht denn da?
Der Nabu startet ein Mitmach-Projekt, bei dem Insekten identifiziert und gezählt werden sollen. Hintergrund ist der beobachtete Rückgang dieser Tiere.
Die Ironie im Titel des Projektes, das der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) am morgigen 1. Juni startet, ist offensichtlich. Es heißt „Insektensommer“, und der Sommer ist längst da, die Insekten aber scheinen jeden Sommer weniger zu werden. Genau darum allerdings geht es den Initiatoren: „Wir wollen versuchen, Tendenzen aufzuzeigen: Wo werden bestimmte Insektengruppen weniger, wo vielleicht auch wieder mehr, wie sieht es verteilt über die Bundesländer aus?“ sagt Daniela Franzisi, Insektenkundlerin bei der Naturschutzorganisation.
Das Labor auf der Windschutzscheibe
Tatsächlich sind die belastbaren wissenschaftlichen Daten zum in jüngerer Zeit Schlagzeilen machenden „Insektensterben“ dürftig. Die besten stammen aus einem Hobbyforscher-Projekt, der so genannten „Krefelder Studie“. Dort stellen Freizeitinsektenkundler seit vielen Jahren in der Gegend um die Stadt am Niederrhein – und seit nicht ganz so vielen Jahren auch anderswo – Insektenfallen auf und zählen, was sich in ihnen fängt. Ergebnisse, veröffentlicht im vergangenen Jahr, zeigen an manchen Stellen Rückgänge von bis zu 80 Prozent. Das sorgte für Aufmerksamkeit und Besorgnis, wurde aber auch kritisiert, unter anderem, weil diese dramatischen Zahlen nur von einzelnen Sammelpunkten kamen.
Bezeichnend ist auch, dass das beste Instrument zur Dokumentation des Insektenrückgangs bislang die Millionen auf deutschen Straßen zugelassenen Autos waren. Der Befund ist bekannt als Windschutzscheibenphänomen: Während vor wenigen Jahren noch nach einer Stunde bereits unzählige zermatschte Insekten den verkehrssicheren Durchblick beeinträchtigten, bleiben die Scheiben in jüngerer Zeit viel länger sauber. Diese mobilen Insektenfallen decken ganz Deutschland ab, und den Gesamtbefund zweifelt kaum jemand an, der schon ein paar Jahre Auto fährt. Aber „weniger Matsch auf der Scheibe“ ist dann doch ein etwas zu allgemeines Ergebnis dieses unfreiwilligen Feldversuchs.
Mit der App in die Botanik zur Fauna
Nötig wären also wirklich bessere, genauere, flächendeckende Daten. Ob das Projekt (www.insektensommer.de), bei dem sich je eine Person eine Stunde lang im Umkreis von zehn Metern nach Sechsbeinern umsehen soll, hier wirklich Abhilfe schaffen kann, darüber haben selbst die Initiatoren wenig Illusionen. Beim Nabu ist man sich klar darüber, dass Personen, die einfach nur mitmachen wollen, aber wenig Ahnung von der Bestimmung von Insekten haben, hier nur einen begrenzten Beitrag leisten können: „Wir konzentrieren uns deshalb auf 16 Arten, die noch relativ häufig vorkommen und die auch relativ leicht zu identifizieren sind“, sagt Franzisi. Der Nabu stellt eine App für das Smartphone zur Verfügung, auf der die Tiere abgebildet sind.
Zudem kann man Fotos machen und sie von einer Erkennungssoftware, die immerhin schon 120 Arten abdeckt, scannen lassen. Im Idealfall spuckt diese dann eine relativ sichere Bestimmung aus. Und auch noch eine weitere Stufe hat das Projekt: Fotos können auch an die Hobbyforscher-Plattform „naturgucker.de“ geschickt werden, wo Leute mit etwas mehr Expertise das Tier vielleicht werden identifizieren können. Deren Ressourcen allerdings sind begrenzt.
Von gut bestimmbar bis "keine Chance"
„Das Projekt wird sicher keine wahnsinnig verlässlichen Daten liefern, und leider ist auch ’Naturgucker’ voller Fehler“, sagt Thomas Schmitt, Direktor des zur Senckenberg-Gesellschaft gehörenden Deutschen Entomologischen Instituts in Müncheberg. Das alles sei allerdings „egal, denn es geht hier vor allem darum, die Leute rauszubringen, sich umzusehen, sie für das Thema zu sensibilisieren und klarzumachen, dass ohne Insekten zum Beispiel auch Vögel verschwinden.“ Andere Bürgerwissenschaftsprojekte mit Insekten, etwa das durch das Hallenser Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung koordinierte „Tagfalter-Monitoring“ hätten gezeigt, dass auch „anfangs blutige Laien ausreichend Kompetenz entwickeln können“, sagt Schmitt. Auch manche Käfergruppen böten die Möglichkeit, ihre Mitglieder einigermaßen sicher zu bestimmen. Bei den meisten Insektenarten gebe es allerdings „keine Chance“ für Laien. Zu Ihnen gehörten etwa viele Nachtfalter, viele Käfer und fast alle Mücken und Fliegen. „Die kann man oft nur anhand ganz spezieller Strukturen etwa im Bereich der Genitalien auseinanderhalten.“
Projekt des Bundesamtes für Naturschutz
Professionellere, langfristige und detailliertere Bestandsaufnahmen fordern etwa Vertreter der Agrarwirtschaft, deren Praktiken als wichtiger Auslöser zurückgehender Insektenzahlen vermutet werden. Eine solche wird derzeit durch das Bundesamt für Naturschutz in Bonn vorbereitet. Ihr Start ist für 2019 geplant. An mehr als 1000 repräsentativ ausgewählten Probenstellen sollen Fallen aufgestellt und von echten Experten – die ihrerseits inzwischen sehr selten geworden sind – Tiere bestimmt und gezählt werden. Wie bei fast aller ernsthaften ökologischen Wissenschaft wird es Jahre brauchen, allein um Trends für einzelne Arten und Gruppen absehen zu können. Wenn es auch so lange oder noch länger dauert, bis die Tiere wirksamer als jetzt geschützt werden, könnte es für viele Spezies zu spät sein. Mehr als 7000 der 33 000 in Deutschland registrierten Insektenarten stehen schon jetzt auf der Roten Liste.