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Just in der Großstadt. Ein Biber auf nächtlicher Tour in Orleans, Frankreich.
© Geslin Laurent

Verhaltensforschung: Warum viele Säugetiere zunehmend nachtaktiv werden

Es wird eng auf der Erde, Tiere vom Elefanten bis zur Beutelratte ändern deshalb ihr Verhalten. Das kann ihnen helfen, aber auch gefährlich werden.

In der Natur Menschen aus dem zu Weg gehen, fällt vielen Tieren immer schwerer. Ihnen fehlt häufig schlicht der Platz. Inzwischen sind drei Viertel der bewohnten Kontinente von Homo sapiens dominiert. Zudem ist er Feind und Jäger, der selbst vor einer vielfach größeren Beute als ihm selbst nicht zurückschreckt. Diesen Feind wollen Elefanten, Bär, Elche und Co. zwar meiden. Viele Möglichkeiten dafür bleiben ihnen aber nicht. Es sei denn, sie weichen nicht im Raum aus, sondern in der Zeit – stellen also ihren bisherigen Lebensrhythmus um.

Strangers in the Night

Meist bedeutet das, von Fressen über Partnersuche bis zur Versorgung des Nachwuchses vieles vom Hellen in Dämmerung und Nacht zu verlegen. Es sind Zeiträume, in denen Menschen seltener unterwegs und manche Gebiete fast menschenleer sind. Kaitlyn Gaynor von der University of California in Berkeley und andere US-amerikanische Biologen haben jetzt die bisher fundiertesten Belege dafür vorgelegt, dass es diesen lange vermuteten Trend tatsächlich gibt. Sie schreiben darüber im Magazin „Science“.

Die Forscher nutzten Ergebnisse vieler Kollegen, die in 76 Untersuchungen 62 Säugetier-Arten in Europa, Afrika, Asien, Australien und Nord- und Südamerika mit Hilfe von Sendern, Satellitenortung oder Kamerafallen untersucht hatten. Sie verglichen von Menschen stark beeinflusste Gebiete mit kaum von ihnen frequentierten Gegenden.

Der Unterschied war enorm: Sind Jäger, Jogger, Radfahrer, Wanderer, Familien mit Picknick-Körben, Bauern oder andere Menschen häufig unterwegs, registrierten die Forscher zwanzig Prozent mehr nächtliche Aktivitäten bei den Tieren als bei Artgenossen in eher unberührter Natur. Dabei ändern die Tiere ihr Verhalten meist nicht radikal, sondern verschieben es oft nur ein wenig. So kürzen etwa Spezies, die sonst am Tag und in der Nacht ungefähr gleich lang unterwegs sind, ihr Pensum im Hellen um ein oder zwei Stunden und hängen die Zeit nachts wieder an.

Dangers in the Night

Solche Änderungen sehen die Forscher bei sehr vielen Tierarten, vom fast vier Tonnen schweren Elefanten bis zur gut ein Kilogramm leichten Beutelratte. Dabei unterschieden die Tiere kaum zwischen verschiedenen Typen von Störung: Die eigentlich harmlosen Jogger wirkten sich ähnlich stark aus wie die viel gefährlicheren Jäger. Offensichtlich sehen die Tiere also in allen Menschen eine potentiell tödliche und zu meidende Gefahr.

Auch wenn die Menschen inzwischen einen großen Teil der Erde für sich beanspruchen, bleibt also noch Platz für Tiere, die einfach in die Dunkelheit ausweichen, ziehen die Forscher eine erste Bilanz des veränderten Verhaltens. Weil in der Natur alles mit allem zusammenhängt und sich gegenseitig beeinflusst, ziehen solche Veränderungen oft genug eine Reihe weiterer Anpassungen nach sich. Weichen zum Beispiel normalerweise am Tag aktive Raubtiere häufiger in die Nacht aus, könnte ihr Jagderfolg sinken, weil sie an die Dunkelheit weniger gut angepasst sind.

Gleichzeitig steigt das Risiko für normalerweise meist nächtlich lebende Tiere. Diese könnten daher eventuell am Tag aktiver werden, sind an die Helligkeit aber schlechter angepasst. Und verlegen bisher tagaktive Tiere Nahrungsaufnahme und anderes in die Nacht, um Menschen auszuweichen, fallen sie möglicherweise nächtlichen Räubern leichter zum Opfer, vermutet Ana Benítez-López von der Radboud-Universität im niederländischen Nijmegen ebenfalls in „Science“. Langfristig könnten solche Ausweichmanöver also einige Arten in Schwierigkeiten bringen und so Ökosysteme zusätzlich verändern.

Kaitlyn Gaynor und ihre Kollegen schlagen deshalb vor, in Schutzgebieten in Zukunft solchem zeitlichen Ausweichen entgegenzuwirken, etwa indem Menschen nur zu bestimmten Tageszeiten in das Reservat gelassen werden. In einer immer dichter von Menschen besiedelten Welt könnte das die Chancen für die frei lebenden Tiere und so auch den Naturschutz verbessern, vermuten die Forscher.

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