Unzuverlässige Unwetter: Warum die Vorhersage von Gewittern so schwer ist
Die angekündigten Gewitter blieben in Berlin am Wochenende aus. Die Vorhersage von Unwettern bleibt ein schwieriges Geschäft. Dafür soll das "normale" Wetter bald kiezgenau vorhergesagt werden.
Es war ein ziemliches Hin und Her, das Garten-, Grill- und Fußballfreunde am Wochenende wahlweise in Vorfreude oder Furcht versetzte: Kommt der Regen, kommt er nicht, gibt es Gewitter oder nicht? Die Vorhersagen wechselten beinahe stündlich. Am Ende blieb Berlin verschont, kein Gewitter am Samstagabend, nicht mal Regen. Andere Regionen traf es dafür heftig. Eine Steilvorlage, um über das Wetter zu meckern, oder wenigstens über die schlechte Vorhersage.
„Gewitterprognosen gehören zu den schwierigsten Disziplinen der Meteorologie“, sagt Thomas Dümmel, Experte für Wettervorhersagen an der Freien Universität Berlin. „Das ist, als stellte man einen Topf mit Wasser auf den Herd und soll voraussagen, wann und wo die ersten Dampfblasen aufsteigen.“ Während die meisten Wetterphänomene wie Landregen, Frost oder Schneefall mittlerweile über mehrere Tage hinweg mit hoher Trefferquote vorhergesagt werden, ist die Unsicherheit bei Gewittern groß.
Gewitter werden erst kurz vor dem "Ausbruch" erkannt
Zwei Punkte machen die Vorhersage so schwer. Erstens das „Übersetzen“ der Ergebnisse der Modellrechnungen in verständliches Deutsch und zweitens die Modelle selbst. „Die Wetterdienste verwenden verschiedene Modelle, die lediglich eine Wahrscheinlichkeit dafür angeben, ob es in einer Region zu Gewittern kommt“, erläutert der Meteorologe. Beträgt sie beispielsweise 25 Prozent, so mag der eine entscheiden, eine Gewitterwarnung auszugeben, während der Konkurrent vielleicht noch abwartet. So erklären sich Unterschiede zwischen den Diensten, die auch am Wochenende festzustellen waren – zumindest teilweise.
Das größere Problem ist, dass Gewitter erst ein bis zwei Stunden vor ihrem „Ausbruch“ sicher mit einem Wetterradar erkannt werden. Sie entstehen, wenn die Sonne den Untergrund stark erhitzt, so dass viel Luft aufsteigt. In der Höhe kondensiert der Wasserdampf und bildet mächtige Wolken. Oftmals ist zusätzlich Kaltluft beteiligt, die sich unter eine Warmluftmasse schiebt. Das war am Wochenende der Fall. Aber ein Gewitter ist keine zwangsläufige Folge. Es kann sein, dass sich die Wolken verziehen oder dass es lediglich regnet. Nur wenn die Aufwärtbewegung stark genug ist, dass vielen Atomen und Molekülen Ladungen entrissen werden, kann ein Gewitter mit Blitzen entstehen. „Man könnte es auch so sagen: Die Atmosphäre entscheidet sich erst im letzten Moment, ob es gewittert oder nicht“, erläutert Dümmel.
Ein dichteres Modellnetz erfordert mehr Wetterstationen
Die „Saatkörner“ eines Gewitters, von Fachleuten als Gewitterzelle bezeichnet, sind so klein, dass sie mit den Computermodellen der Wetterdienste nicht abgebildet werden können. Denn diese haben meist Gitter mit Maschenweiten zwischen 20 und 40 Kilometern. Daher müssen die Meteorologen auf indirekte Hinweise setzen wie zum Beispiel eine entsprechende Feuchtigkeit, Temperatur und Schichtung der Luft. „Dafür gibt es empirische Daten, die angeben, wie wahrscheinlich bei bestimmten Bedingungen ein Gewitter ist“, sagt Dümmel.
Theoretisch ließen sich die Vorhersagen verbessern, wenn man Modelle mit kleineren Maschen verwendet. Doch der FU-Meteorologe warnt: Dann müsste es mehr Wetterstationen geben, um das hoch auflösende Modell mit genügend Ausgangsdaten zu versorgen. „Die Fortschritte, die jetzt noch möglich sind, werden immer schwieriger und teurer“, sagt er. „Viel Spielraum ist da nicht mehr.“
In der Stadt bis zu sechs Grad wärmer als im Umland
Das heißt nicht, dass alle Fragen beantwortet sind. So ist beispielsweise ungeklärt, welchen Einfluss große Städte mit all ihrem Asphalt und Beton auf die Gewitterhäufigkeit haben. „Es gibt Hinweise darauf, dass die Stadt einen verstärkenden Effekt hat“, sagt Dümmel. Auf der anderen Seite stünden Beobachtungen, dass einzelne Gewitterfronten aus dem Westen sich plötzlich teilen und Berlin im Norden und Süden umgehen. „Wir können das bisher nicht erklären.“
Das besondere Klima der Städte ist generell ein großes Forschungsthema. „Die bisherigen Wettermodelle reichen nicht aus, um Stadtwetter vernünftig vorherzusagen“, sagt Sahar Sodoudi von der FU Berlin und erinnert an die großen Maschen der Modelle. Sie seien viel zu grob, um etwa den kühlen Tiergarten und den – ob seiner vielen Stein- und Glasbauten – heißen Potsdamer Platz vernünftig abzubilden. Besonders groß sind die Unterschiede zwischen der Innenstadt und dem Umland, wo Abweichungen bis zu sechs Grad gemessen wurden. Bemerkenswert ist, dass die größte Differenz zwei bis drei Stunden nach Sonnenuntergang registriert wird – hervorgerufen durch die verzögerte Wärmeabgabe der vielen Gebäude. Doch selbst innerhalb Berlins gibt es große Unterschiede.
Kiezgenaues Wetter für Hamburg, Stuttgart und Berlin
Um die Vorhersage zu verbessern, arbeitet Sodoudi an einem neuen Verfahren. Dabei werden für die verschiedenen Materialien wie Beton, Ziegel, Asphalt, Bäume oder Gras die Eigenschaften wie Wärmespeicherung und Reflexionsvermögen analysiert und mit einem Wettermodell kombiniert. So sollen Vorhersagen mit bis zu zehn mal zehn Metern Genauigkeit möglich werden. Noch bis zum Mittwoch haben Forscherteams aus ganz Deutschland Zeit, entsprechende Projekte beim Bundesforschungsministerium einzureichen.
Am Beispiel von Stuttgart, Hamburg und Berlin sollen die kiezgenauen Wettermodelle getestet werden. Was unbedingt dazu gehört, ist ein Konzept zur Kommunikation von Wahrscheinlichkeiten. Bevor es wieder Gemecker gibt.
Vor wenigen Tagen hat der Deutsche Wetterdienst die kostenlose „Warn-Wetter-App“ vorgestellt. Damit kann man sich ortsgenau rechtzeitig vor Unwettern warnen lassen und noch allerhand weitere Informationen zum Wettergeschehen abrufen.
Ralf Nestler