Covid-19 und Influenza: Warum der Vergleich von Coronavirus und Grippe hinkt
Influenza sei viel gefährlicher als Corona, hört man derzeit von vielen Seiten. Doch die Tatsachen sind ein bisschen komplexer.
Der Satz „Das kann man doch nicht vergleichen!“ ist ein beliebter Diskussionskiller. Tatsächlich kann man so ziemlich alles mit allem vergleichen. Äpfel mit Birnen zum Beispiel. Man wird dann, wenn man wirklich analytisch vorgeht, Gemeinsamkeiten und Unterschiede finden.
Genau das ist die Art und Weise, wie wir Menschen uns die Welt zugänglich machen. Wir bilden Kategorien, ordnen Dinge, Gedanken, Gefühle, Konzepte und Lebewesen zu eng und weniger eng gefassten Gruppen.
Äpfel und Birnen sind ungefähr gleich groß, sie gehören beide zum Kernobst, sie werden von den meisten Menschen gemocht. Aber sie sind nicht gleich, haben zum Beispiel unterschiedliche Formen, schmecken unterschiedlich, werden unterschiedlich schnell matschig. Sie haben auch ein unterschiedliches Potenzial, Durchfall auszulösen.
Was hat das alles mit dem Coronavirus zu tun? Es wird derzeit auch oft verglichen. Vor allem mit Influenza. Und das ist in Ordnung. Das Coronavirus mit der alljährlichen winterlichen Grippe zu vergleichen, ist wie Äpfel mit Birnen zu vergleichen.
Coronavirus: Infektion im Mund-Rachen-Raum
Beide gehören zu den Viren, sogar zu einer bestimmten Gruppe, den RNA-Viren. Beide können krank machen, beide befallen den Mund-Rachen-Raum und manchmal auch die Lunge. Beide sind ziemlich ansteckend. Die Krankheiten, die beide auslösen, können milde verlaufen oder ernsthaft, sie können auch tödlich sein.
Beide gefährden vor allem immungeschwächte Personen. Sehr oft sind das ältere Menschen – für deren nicht mehr ganz so agiles Abwehrsystem gibt es den Fachbegriff der Immunseneszenz. Selbst die Therapie ist ähnlich: Es gibt nur begrenzt gegen das jeweilige Virus selbst wirkenden Medikamente, deshalb werden die Symptome bekämpft und die möglicherweise beeinträchtigten Körperfunktionen unterstützt, in ernsten Fällen etwa per Beatmung.
[Olaf Scholz über Anti-Coronavirus-Maßnahmen der Regierung: „Es geht um Leben und Tod für uns alle“]
Grippeviren und Sars-Cov-2, wie das 2019 in Wuhan aufgetauchte Virus offiziell heißt, unterscheiden sich aber auch in vielem. Auch wenn sie von Viren-Systematikern dem gleichen „Bereich“ der RNA-Viren zugeordnet werden, gehören sie schon auf der nächsten Stufe zu völlig unterschiedlichen „Stämmen“.
Könnte man die Einordnungen hier mit denen der Zoologie gleichsetzen, dann würden sie sich so unterscheiden wie die Wirbeltiere von den Insekten.
Die Letalität von Covid-19 ist höher als bei der Grippe
Und eines wird immer klarer: Covid-19, die durch das neue Coronavirus namens Sars-Cov-2 ausgelöste Krankheit, verläuft wahrscheinlich doch deutlich häufiger tödlich als Grippe. Zwar gibt es noch keine verlässliche Statistik. Und in frühen Phasen von Infektionsausbrüchen erscheint die Todesrate oft deutlich höher, als sie letztlich wirklich ist, denn viele Fälle mit milderen Verläufen werden dann oft gar nicht erkannt.
Allerdings weist etwa nach Meinung von Bruce Aylward, der die internationale Mission in das Ausbruchsgebiet in der Provinz Hubei leitete, alles darauf hin, dass der Anteil der ernsten oder tödlichen Verläufe jedenfalls nicht vergleichbar niedrig im Promillebereich liegt wie bei Influenza.
[Lesen Sie hier Antworten auf 66 wichtige Fragen, die unsere Leser im Zusammenhang mit dem Coronavirus immer wieder stellen.]
Laut aktuellen Schätzungen könnte ein Prozent der mit Sars-CoV-2 Infizierten sterben, was eine zehnfach höhere Letalität im Vergleich zu Grippeviren bedeuten würde.
Dass es gegen Sars-CoV-2 keine Impfung gibt bisher, und auch nicht allzu bald geben wird, ist ein weiterer bedeutsamer Unterschied.
Signifikant höhere Ansteckungsgefahr beim Coronavirus
Dazu kommt, dass das Coronavirus möglicherweise signifikant ansteckender ist als Grippeviren. Zumindest ist inzwischen bekannt, dass trotz nicht besonders ausgeprägter Krankheitssymptome die Virendichte im oberen Rachenraum von Infizierten deutlich höher liegen kann als bei Grippepatienten.
Und aus dem oberen Rachenraum ist der Weg kurz bis zur nächsten Person oder zur nächsten Oberfläche, die dann jemand anfassen kann – besonders, wenn niemand weiß, was in diesem oder jenem Rachen gerade geschieht und deshalb niemand vorsichtig ist.
Und weil das Virus für den Menschen neu ist, hat er keinerlei Immunität dagegen.
Hintergrund zum Coronavirus:
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Es gibt aber noch einen entscheidenden Unterschied zum Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen. Man weiß über das neue Coronavirus im Vergleich zu Grippeviren sehr wenig. Es ist, als hätten wir über Zeitalter Äpfel in unseren Gärten angebaut, mit ihnen gehandelt, sie gegessen.
Und plötzlich liegt auf dem Wochenmarkt diese neue, etwas seltsam aussehende Frucht in einer Holzkiste, deren Eigenschaften wir erst einmal ergründen müssen.
Gibt es beim Coronavirus Änderung durch Mutation?
Über das Virus, das die Krankheit Covid-19 auslöst, versuchen Wissenschaftler gerade so viel wie möglich herauszufinden. Sie wissen bislang - anders als bei Influenza - nicht nur nichts ansatzweise Genaues darüber, wie tödlich es wirklich ist, also welcher Prozentsatz der Infizierten in etwa letztlich stirbt. Sie wissen auch nicht viel zu seiner Neigung, per Mutation seine Eigenschaften zu ändern und damit gefährlicher oder weniger gefährlich zu werden. Sie wissen nicht, ob Frühling und Sommer sich ähnlich dämpfend auf die Ansteckungsrate auswirken werden wie bei Grippe.
Sie wissen nicht genau, wie es das Virus anstellt, sich in Massen im oberen Rachenbereich zu vermehren, ohne dass Menschen sich besonders krank fühlen. Und sie wissen nicht, warum zwar meist ältere und immungeschwächte Menschen von schweren Verläufen bedroht sind, aber eben auch nicht nur in Einzelfällen junge, eigentlich gesunde Menschen an der Krankheit sterben.
Es ist richtig: Grippe tötet jedes Jahr sehr viel mehr Menschen als bislang Opfer des Coronavirus geworden sind. Ob das so bleibt, weiß allerdings auch niemand.
Eines ist aber noch wichtiger: All jene, die sich jetzt beschweren, dass Warnungen vor der bislang tatsächlich hierzulande mehr Menschen tötenden Grippe vernachlässigt würden, lassen eines außer acht: Grippe und Coronavirus sind zwar tatsächlich ziemlich unterschiedlich, aber in einem gleichen sie sich doch sehr: in der Art und Weise, wie sie übertragen werden und wie man sich vor Übertragung schützen kann.
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Vorsichtsmaßnahmen gegen Covid-19 helfen auch gegen die Grippe
Wenn jetzt Menschen plötzlich anfangen, jene wirklich einfachen und tatsächlich eigentlich immer und in jeder Grippesaison lebensrettenden Schutzvorkehrungen für sich zu entdecken, dann wird sich das auch auf die Grippe-Ansteckungsrate auswirken. Auch auf die Grippe-Todesrate.
Diese Verhaltensregeln gehen von regelmäßigem gründlichen Händewaschen über Nies- und Husten-Etikette und konsequentes Zuhausebleiben bei Krankheitssymptomen bis zum Kontaktverbot für Oma und Opa zum kranken Enkel.
Wir werden zwar die Namen all jener, die aufgrund einer dadurch vermiedenen Infektion nicht gestorben sind, nie kennen. Die Namen derer, die mit dem Rauchen aufgehört haben und deshalb keinen Lungenkrebs bekommen haben, kennen wir aber auch nicht, genausowenig wie die der Kinder, die aufgrund ihrer Masernimpfung nicht an Masern gestorben sind.
Sollen wir deshalb mit dem Aufhören aufhören oder mit dem Impfen?
Corona informiert und vorsorgend, doch ohne Panik ernst zu nehmen wirkt auch gegen Grippe. Corona jetzt ernst zu nehmen bedeutet tatsächlich noch die Chance, dass in diesem Jahr in Deutschland sogar weniger Menschen an Atemwegsviren sterben als in einer typischen Grippesaison. Corona ernst zu nehmen und umsichtig zu handeln, rettet Leben.
[Hinweis: Dieser Artikel wurde am 1.3.2020 publiziert und gibt Wissensstand zu diesem Zeitpunkt wieder]
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