Effekt für den Klimaschutz überschätzt: Wälder können Kohlenstoff immer kürzer speichern
Aufforsten gilt als effektiver Klimaschutz. Doch offenbar binden Bäume Kohlendioxid nicht so lange wie angenommen – auch weil sie eher sterben.
Bäume zu pflanzen – so heißt es – ist eine effektive Strategie gegen den Klimawandel. Denn wenn sie wachsen, binden sie Kohlendioxid aus der Atmosphäre und bauen es als organisches Material in ihre Biomasse ein. Dort gespeichert, kann es nicht als Treibhausgas in die Luft entweichen und dem Klima schaden.
Doch die Fähigkeit der Wälder, Kohlenstoff zu binden, könnte einer neuen Studie zufolge überschätzt sein. Weil die Baumsterblichkeit aufgrund des Klimawandels erhöht ist, können Bäume Kohlenstoff nicht mehr so lange speichern wie angenommen. Das schreiben Kailiang Yu von der Universität Utah und seine Kollegen im Fachmagazin „PNAS“.
Wälder spielen eine Schlüsselrolle im Kohlenstoffzyklus. Sie speichern jährlich etwa ein Viertel der von Menschen verursachten Kohlenstoffemissionen: Von dem Moment an, in dem ein Baum in der Photosynthese aus CO2 organische Stoffe bildet, bis zu dem Moment, in dem er zugrunde geht, ist Kohlenstoff in der Pflanze gebunden. Die Zeit dazwischen nennen Wissenschaftler Kohlenstoffumschlagszeit.
Bisher haben nur wenige Forscher versucht, die Veränderungen dieser Umschlagszeit großflächig zu analysieren. Ohne dieses Wissen jedoch lässt sich auch schwer vorhersagen, wie sich die Wirkung der Wälder als Kohlenstoffsenke entwickeln wird – und wie viel sie zum Klimaschutz beitragen können.
Effekt als Kohlenstoffsenke überschätzt
Yu und Kollegen untersuchten nun Langzeitdaten von 1955 bis 2018 aus fast 700 verschiedenen Waldgebieten. Dabei handelte es sich um ausgewachsene naturnahe Wälder in kalten, gemäßigten und tropischen Klimazonen in Europa, Nord- und Südamerika, die vom Menschen nahezu unberührt waren. Aus ihren Daten berechneten die Wissenschaftler, dass die Dauer, die der Kohlenstoff in den Bäumen verweilt, in den vergangenen Jahrzehnten abgenommen hat. Das heißt, die Wälder können CO2 nicht mehr so lange speichern wie früher.
Der Effekte trat bei allen drei untersuchten Klimazonen auf, am stärksten war er in der gemäßigten Zone und in den Tropen. Diese verkürzte Kohlenstoffumschlagszeit führt das Team um Yu auf eine erhöhte Sterblichkeit der Bäume zurück. Die Bäume sterben demnach eher, und wenn sie verrotten, wird der in ihnen gespeicherte Kohlenstoff als CO2 wieder frei.
Kürzerer Lebenszyklus für Bäume
Eine möglicher Grund ist der steigende Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre. Einige Studien sprechen dafür, dass diese CO2-Düngung die Bäume künftig immer schneller wachsen lässt. Sie sterben aber offenbar auch eher, kurz: Sie durchlaufen ihren Lebenszyklus schneller. Außerdem tragen Dürren und Hitzeperioden, die mit dem Klimawandel häufiger werden, dazu bei, dass Bäume künftig immer früher absterben werden, schreiben die Forscher.
Ihre Ergebnisse glichen die Wissenschaftler anschließend mit aktuellen Klimamodellen ab. Dabei kamen sie zu dem Schluss, dass die Baumsterblichkeit in den Modellen nicht ausreichend berücksichtigt wird. Das führe dazu, dass der Effekt der Wälder als Kohlenstoffsenke bisher überschätzt wurde.
„Wichtiger Feedback-Mechanismus“
„Dies ist ein wichtiger Befund, der bei der Entwicklung der nächsten Modellgeneration berücksichtigt werden muss“, sagt Martin Heimann, ehemaliger Direktor der Abteilung Biogeochemische Systeme am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena. „Allerdings befasst sich die Studie nur mit der lebenden Biomasse in den Bäumen“, so Heimann.
So enthielten tote Biomasse wie Laubblätter oder Totholz ebenfalls Kohlendioxid. Deren Verweilzeit könne mit der Methode aber nicht erfasst werden. Weiterhin würden auch noch viele andere, zum Teil schlecht verstandene Prozesse die CO2-Speicherfähigkeit der Landbiosphäre beeinflussen. So etwa die Nutzung durch die Menschen – auch das gelte es zu berücksichtigen.
Für „grundsätzlich solide“ hält Harald Bugmann vom Institut für Terrestrische Ökosysteme der ETH Zürich die Methoden der Forscher. Allerdings stammten zwei Drittel der Daten aus der Zeit nach 1990, was die Analyse von zeitlichen Trends sehr schwierig mache. Außerdem liege der Großteil der untersuchten Flächen auf dem amerikanischen Kontinent. „Globale Aussagen kann man aus den verwendeten Daten nicht ableiten.“
Trotzdem hält Bugmann die Arbeit für „eine wichtige Fallstudie“. Es sei wahrscheinlich, dass sich durch Klimaveränderungen und CO2-Düngung die Menge des in Wäldern gespeicherten Kohlenstoffs reduziere. „Das kann ein wichtiger Feedback-Mechanismus im Klimasystem werden.“
Bäume zu pflanzen ist kein Allheilmittel
Was das für die Aufforstungspläne weltweit bedeutet, bleibt abzuwarten. Anfang Juli hatte Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner angekündigt, Millionen Bäume zu pflanzen. „Der Wald ist die Lunge unserer Gesellschaft, ein entscheidender Klimaschützer“, sagte sie, vielleicht auch unter dem Eindruck einer Studie, die kurz zuvor veröffentlicht worden war. Darin hatten Wissenschaftler der ETH Zürich behauptet, der Klimawandel könne durch nichts so effektiv bekämpft werden wie durch Aufforstung.
Diese These kritisierten zuletzt Forscher im Fachblatt „Science“. Das Potenzial von Baumpflanzungen zur Eindämmung des Klimawandels sei in der Studie dramatisch überbewertet, hieß es in einer der Stellungnahmen. Die Autoren bezweifelten etwa, dass die neuen Wälder etwa zwei Drittel der CO2-Emissionen speichern könnten, die seit Beginn der Industriellen Revolution durch den Menschen in die Atmosphäre gelangt sind.
Die neuen Ergebnisse schlagen nun in eine ähnliche Kerbe. Zwar sind und bleiben Bäume als riesiger Kohlendioxidspeicher sehr wohl wichtig und erhaltenswert. Sie zu bewahren, wäre angesichts weltweit brennender Wälder und wichtiger denn je. Davon abgesehen – das kristallisiert sich immer klarer heraus – taugt Bäume pflanzen als Allheilmittel gegen den Klimawandel eher nicht. Stattdessen bleibt die wirkungsvollste Maßnahme wohl eine altbekannte: weniger Kohlendioxidausstoß auszustoßen. (mit smc)