Mit Bäumen die Welt retten: Forscher bezweifeln Studie zur Aufforstung gegen den Klimawandel
Neu gepflanzte Wälder könnten einen Großteil der menschengemachten CO2-Emissionen aufnehmen, hieß es im Sommer. Diese Rechnung wird nun hart kritisiert.
Der Klimawandel kann durch nichts so effektiv bekämpft werden wie durch Aufforstung – dieses im Sommer veröffentlichte Studienergebnis stößt auf Kritik anderer Forscher. Das Potenzial von Baumpflanzungen zur Eindämmung des Klimawandels sei in der Studie dramatisch überbewertet, hieß es am Dienstag von der Leuphana Universität Lüneburg. Als Co-Autorin war die Leuphana-Forscherin Vicky Temperton an einer aktuellen Stellungnahme im Fachmagazin "Science" zu der Anfang Juli vorgestellten Analyse beteiligt.
Das Pflanzen von Bäumen an falschen Orten könne sogar Ökosysteme zerstören, die Intensität von Waldbränden erhöhen und die globale Erwärmung verschärfen, erläutern Forscher um Temperton und Joseph Veldman von der Texas A&M University in den USA. Auch Forscher zahlreicher anderer Universitäten und Institute wie etwa der LMU München, der Uni Bonn und des Max-Planck-Instituts für Meteorologie in Hamburg äußern sich in "Science" kritisch zu der Studie.
Potenzial fünffach überschätzt
Die Erde könne ein Drittel mehr Wälder vertragen, ohne dass Städte oder Agrarflächen beeinträchtigt würden, hatten Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich im Sommer in "Science" geschrieben. Bäume zu pflanzen habe das Potenzial, zwei Drittel der bislang von Menschen verursachten klimaschädlichen CO2-Emissionen aufnehmen.
Die neuen Wälder könnten demnach 205 Milliarden Tonnen Kohlenstoff speichern, wenn sie herangewachsen sind – etwa zwei Drittel der 300 Milliarden Tonnen Kohlenstoff, die seit der Industriellen Revolution durch den Menschen in die Atmosphäre gelangten.
Der Wert von 205 Milliarden Tonnen Kohlenstoff sei viel zu hoch angesetzt, heißt es nun in dem kritischen Beitrag der Forscher um Veldman. Schwerwiegende Mängel hätten zu einer fünffachen Überschätzung des Potenzials neu gepflanzter Bäume für die Eindämmung des Klimawandels geführt.
So werde in der Studie etwa davon ausgegangen, dass Böden in Ökosystemen ohne Bäume keinen Kohlenstoff enthalten – in vielen Lebensräumen wie Savannen und Torfmooren sei aber mehr Kohlenstoff im Boden gebunden als in der oberirdischen Vegetation. "Eine ökologische Sanierung könnte viel mehr zu natürlichen Klimalösungen beitragen, wenn wir uns nicht nur auf Wälder fokussieren, sondern uns auch um Grasland, Savannen, Buschland und Torfmoore kümmern", sagt Temperton.
Eine andere Kritik lautet, dass die Schweizer Wissenschaftler das Potenzial der Aufforstung überschätzen, weil Weideflächen sich in den nächsten Jahrzehnten auf der Welt weiter ausbreiten und dann nicht zum Bäumepflanzen zur Verfügung stehen würden. Die Schweizer Forscher hätten die Weideflächen jedoch als potenzielle Flächen zur Aufforstung gewertet.
Die Kritisierten bleiben bei ihrer Einschätzung
Die Züricher Wissenschaftler um Jean-Francois Bastin antworten ebenfalls in "Science" auf die Kritik. So schreiben sie etwa, es sei durchaus möglich, dass sie das Potenzial der Aufforstung mit ihrem Modell an einigen Orten über- oder unterschätzen. Ihre Analyse sei unter aktuellen Gegebenheiten zu verstehen. Gebe es mehr Weideflächen, reduziere sich natürlich auch die Fläche, die zur Verfügung stehe. Gleichzeitig verweisen sie jedoch auf Studien, nach denen es durchaus möglich sei, auch auf Weideflächen eine große Zahl Bäume zu pflanzen, ohne dass sich dadurch der Ertrag vermindern würde.
Insgesamt bleiben die Forscher auch nach der Kritik bei ihrer Einschätzung, dass sie das Potenzial der Baumpflanzung in ihrer Studie sogar noch unterschätzt haben. Das liege vor allem daran dass sie für Ackerflächen und Städte ein Potenzial zur Aufforstung von null angenommen haben. Sie schreiben: "Tatsächlich bieten sowohl Ackerland als auch Städte großartige Möglichkeiten, den aktuellen Baumbestand zu vergrößern und eine wichtige Rolle bei der Eindämmung des Klimawandels zu spielen." (fsch,dpa)