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Prävention statt Verurteilung. HIV sollte nicht mehr als eine medizinische Diagnose sein, fordern Aktivisten.
© Romeo Ranoco, REUTERS

Gespalten im Kampf gegen HIV: Vorurteile helfen nur dem Virus

Die Vereinten Nationen haben ein großes Ziel. Sie wollen Aids bis 2030 besiegen. Aber die Hürden sind enorm hoch: Stigma, Geld, Kriminalisierung. Selbst in New York waren 22 Gruppen nicht bei der Tagung erwünscht.

Dort, wo South Carolina von Pferdezucht, Wohnmobilsiedlungen und verfallenden Schuppen geprägt ist, wo aus dem Radio stockkonservative Talkshows plärren und Vorurteile tiefe Wurzeln haben, versucht die 62-jährige Wilhelmina Dixon, das Nötigste zu erwirtschaften und gleichzeitig für ihre Familie da zu sein. Ihre Tochter, eine Drogenabhängige, ist an Aids gestorben. Ihre Enkelin Dayshal wurde mit HIV geboren, will offen damit umgehen und muss Beschimpfungen im Netz ertragen. Manchmal glaubt die junge Frau, dass ihr Schicksal bereits besiegelt ist. Noch eine schwarze Aidstote.

Die Frauen um Wilhelmina, die die Dokumentarfilmerin June Cross jahrelang begleitet hat, sind doppelt und dreifach marginalisiert. Da sind die Nachteile, die sich aus Armut, Hautfarbe und Geschlecht ergeben. Hinzu kommen die ländliche, strukturschwache Gegend, ein öffentliches Gesundheitssystem, das den Zugang für Kranke eher erschwert als erleichtert – und das Stigma.

Szenen wie in der Anfangsphase der Aidsepidemie - mitten in den USA

Szenen, die Ärzte aus New York oder San Francisco nur vom Beginn der Aidsepidemie kennen, sind hier alltäglich: Irgendwann kommen abgemagerte Menschen ins Krankenhaus. Ihr Immunsystem ist durch HIV so geschwächt, dass sie an einer sonst trivialen Infektion sterben. Unter schwarzen Frauen im ländlichen Süden der USA ist Aids Todesursache Nummer eins, vor Krebs und Herz-Kreislauf-Leiden, vor Gewaltverbrechen oder Verkehrsunfällen. Manche haben nie oder nur mit großen Unterbrechungen Medikamente bekommen, die das Virus kontrollieren können. Selbst kirchenbasierte Präventionsprogramme müssen immer wieder Kürzungen ihrer Förderung hinnehmen.

Etwa 1000 Kilometer weiter nördlich waren in dieser Woche vollmundige Versprechen zu hören. Die UN-Vollversammlung hat beschlossen, den weltweiten Kampf gegen Aids zu intensivieren. Man habe in den nächsten fünf Jahren die Möglichkeit, „den Verlauf der Epidemie dramatisch zu beeinflussen“, sagte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Es müsse für alle Angebote geben, „ohne Diskriminierung“. Egal ob es um Jugendliche gehe oder um Migranten, um Mädchen, Frauen oder Sexarbeiter, um Männer, die Sex mit Männern haben oder Transmenschen, um Drogensüchtige oder Gefangene. Bis zum Jahr 2020 solle die Zahl der Neuinfektionen und der Aidstoten auf jeweils unter 500 000 pro Jahr sinken. 30 statt 17 Millionen Menschen sollen Zugang zu einer Behandlung haben. Das „90-90-90“-Ziel besagt, dass 90 Prozent der Infizierten wissen sollen, dass sie HIV-positiv sind. 90 Prozent sollen therapiert werden. Und bei 90 Prozent der Behandelten soll das Virus so gut in Schach gehalten werden, dass es nicht im Blut nachweisbar ist. Bis 2030 könne man so die Epidemie beenden.

An den Rand gedrängt und kriminalisiert

Das kann die Staatengemeinschaft nur erreichen, wenn die Finanzierung gesichert ist und gefährdete Gruppen nicht noch weiter an den Rand gedrängt oder gar kriminalisiert werden. Schon beim Geld hakt es. Starke Geberländer wie Deutschland sollten die notwendigen Ressourcen bereitstellen, insbesondere bei der diesjährigen Wiederauffüllungskonferenz des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria, forderten „Ärzte ohne Grenzen“ und „Deutsche Aidshilfe“ einhellig.

Wie es um die Diskriminierung steht, zeigte das Veto von mehr als 50 Ländern – darunter Russland, Saudi Arabien und der Iran – im Vorfeld der Tagung. 22 LGBTI-Gruppen sowie Nichtregierungsorganisationen, die Drogensüchtige vertreten, wurden ausgeschlossen, kritisierte die Beobachtungsstelle UN-Watch. Für 17 weitere Gruppen erreichte der Tagungspräsident Mogens Lykketoft erst im letzten Moment eine Teilnahme-Erlaubnis.

Auch die Formulierungen der politischen Deklaration wurden verwässert. Kein Wort ist beispielsweise mehr von der Forderung zu lesen, dass sexuelle Orientierungen und Drogensucht nicht kriminalisiert werden dürfen. Trotzdem ist der Konsens fragil. Etliche Länder beschwerten sich nachträglich über einzelne Passagen der Deklaration. Russlands Gesundheitsministerin betonte, dass Regierungen ein Recht darauf hätten, ihre Strategien für die öffentliche Gesundheit selbst festzulegen.

"Bigotterie und Angst helfen nur dem Virus"

Nelson Mandelas Enkel, Ndaba, hielt dagegen: „Bigotterie und Angst helfen nur dem Virus, sich zu verbreiten.“ Wenn der politische Wille da ist, kann sich dagegen etwas bewegen. Das beweist das Beispiel Thailand. Als erster Staat in Asien hat Thailand die Übertragungsrate von HIV von der Mutter auf das Kind auf unter zwei Prozent reduziert. China konnte die Aidsepidemie unter Drogensüchtigen fast komplett stoppen, seit die Regierung ihre „Null-Toleranz-Politik“ aufgegeben hat und ihnen stattdessen systematisch hilft, sagte Michel Sidibe, der Direktor von UN-Aids.

Sich selbstzufrieden zurückzulehnen, ist keine Option. Niemand weiß, ob und wann Forscher eine Heilung oder einen Impfstoff finden. Bisher haben sie mehr als 100 Impfstoffkandidaten getestet – erfolglos. So bleiben die Herausforderungen gewaltig, auch über 2030 hinaus. Denn nach dem erhofften „Ende der Epidemie“ wird es weiterhin weltweit Millionen Infizierte geben. Sie brauchen lebenslang Medikamente. Nicht nur, weil sie sonst andere anstecken könnten. Ohne Therapie sterben sie ähnlich elend wie Dayshals Mutter.

Jana Schlütter

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