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Wildschweinrotte an einem Flussufer.
© Gregor Fischer/dpa

Wildtiere in Berlin und Brandenburg: Von hasenfüßigen Landschweinen und biodynamischen Stadtschweinen

Brandenburger Wildschweine benehmen sich deutlich anders als ihre Großstadtgenossen. Auf Naturkost stehen aber beide.

Dass Berlin für allerlei Landbewohner geradezu magnetische Anziehungskraft hat, ist bekannt. Dass dazu auch immer mehr Wildschweine gehören, lässt sich anhand durchwühlter Vorgärten, Parks und Grünanlagen leicht nachvollziehen. Wie nah die Stadtschweine dem Menschen dabei mittlerweile kommen, hat nun die Biologin Milena Stillfried vom Berliner Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) untersucht. 13 Schweine aus Stadt und Land hat die Biologin mit Sendern ausgerüstet, die sie den in Fallen gefangenen Tieren vor dem Freilassen um den Hals gehängt hat. Nähert sich in Brandenburg ein Mensch einem im Dickicht versteckten Wildschwein, kommt er im Durchschnitt gerade einmal 90 Meter an das Tier heran, bevor es aufspringt und flieht. In Berlin dagegen liegt diese Fluchtdistanz bei nur 30 Metern.

Allerdings scheren sich einige Tiere recht wenig um diesen Durchschnittswert. Sie lassen Menschen noch viel näher an sich heran. Die inzwischen dauerhaft in der Stadt lebenden Schweine haben gelernt, dass ein Radfahrer ihnen zwar mitunter sehr nahe kommt, aber normalerweise auf der Straße bleibt. Im Gebüsch gleich neben der Fahrbahn, können sie sich also sicher fühlen. „Auch im hohen Gras eines verwilderten Gartens verstecken die Wildschweine sich gern", sagt Stillfried.

Auf der Lauer an der Wannsee-Badestelle

Im Sommer hatte sich die IZW-Forscherin mitsamt ihrer großen Empfangsantenne für die Signale der Wildschwein-Sender an einer Badestelle am Wannsee unter die Strandbesucher gemischt. Eines der Wildschweine hatte sich im Schilf nur ein paar Meter von den Badenden entfernt versteckt. Erst als sich die Badestelle am Abend leerte, kamen die Wildschweine aus dem Schilf und liefen in das nahe Wäldchen, um sich dort den Magen vollzuschlagen – mit biologischer Vollwertkost.

Auf dem Speiseplan des städtischen Borstenviehs steht nämlich meist Naturkost. Und das, obwohl die Allesfresser in den Mülltonnen auch jede Menge Pizza-, Hamburger- oder sonstige Essensreste finden könnten. Doch in den Mägen von 247 Wildschweinen, deren Inhalt Stillfried untersuchen konnte, fanden sich keine Hinweise auf einen Hang zum Junkfood. Zwar entdeckte die Biologin in einem der Mägen tatsächlich die Reste eines Salami-Sandwiches, drei weitere hatten ein paar Wurst- und Käsebrote probiert und fünfmal fanden sich Plastik-Teilchen, die den Verdacht nahelegen, dass die Wildschweine Mülleimer durchwühlt hatten.

Die weit überwiegende Mehrheit der Tiere dagegen hatte sich den Magen mit der üblichen Wildschwein-Kost gefüllt – etwa Eicheln und Bucheckern. Auf den ersten Blick scheint es also keine größeren Ernährungsunterschiede zwischen Stadt- und Landschweinen zu geben. Doch als Stillfried nachrechnete, fiel ihr auf, dass Stadtschweine mit ihrer Nahrung offenbar mehr Energie aufnehmen als ihre Artgenossen in der Mark Brandenburg.

Anziehend: In Berliner Mischwäldern wächst das bessere Futter

Das erklärt, was die Wildschweine nach Berlin lockt: Auf den kargen Sandböden Brandenburgs wachsen vor allem Kiefernwälder, in denen Wildschweine ihre Leibspeise aus Eicheln und Bucheckern kaum finden. Berlin dagegen ist eine recht grüne Stadt, auf zwanzig Prozent der Fläche stehen oft Mischwälder mit sehr vielen Eichen und Buchen. Die städtischen Wildschweine sind also gar nicht gezwungen, in Abfalleimern nach Essensresten zu wühlen, sondern finden in der Großstadt einen reich gedeckten Tisch. Im Boden der Mischwälder kommen noch beliebte Leckerbissen hinzu – die besonders proteinhaltigen Käferlarven (Engerlinge).

So wie viele zweibeinige Berliner bleiben auch die städtischen Wildschweinhorden ihrem Kiez treu. Das ergab zumindest die Analyse des Erbguts der Tiere. Stillfried konnte drei Wildschwein-Kieze in Berlin feststellen, deren vierbeinige Bewohner offensichtlich wenig Kontakt mit anderen Kiezen oder dem Brandenburger Umland haben. Einer dieser Kieze ist der Grunewald, im Tegeler Forst lebt eine weitere Wildschwein-Community und die dritte ist im Köpenicker Forst zu Hause.

Zu Hause auch auf ungenutzten Stadtgrundstücken der Deutschen Bahn

Daneben gibt es noch eine lebhafte Wildschwein-Szene in der Metropole, die mit den Brandenburger Artgenossen gelegentlich Genmaterial austauscht. Sie lebt auf verlassenen Grundstücken, etwa solchen, die von der Deutschen Bahn nicht genutzt werden. Zu diesen Schlafplätzen kommen die Tiere regelmäßig zurück – anders als auf dem Land, wo die Verstecke häufiger gewechselt werden.

Eines aber gilt für Stadt und Land gleichermaßen: Die Menschen bekommen die Vierbeiner meist nur rein zufällig zu Gesicht. Daher weiß auch niemand so genau, wie viele Wildschweine in Berlin leben. Jäger schießen im Stadtgebiet pro Jahr mehr als tausend. Da aber dennoch viele Tiere durch Grünstreifen, Vorgärten und Friedhöfe streifen, dürfte die Einwohnerzahl Berlins wohl mittlerweile um einige Tausend Wildschweine ergänzt werden.

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