Wundermittel Bewegung: Vielen Krankheiten kann man einfach davonlaufen
Hoch von der Couch, es lohnt sich! Schon mäßige Bewegung wie etwa täglich eine halbe Stunde Walking senkt erheblich das Risiko für verschiedene Krankheiten, wie Krebs und Herzinfarkt.
Misstrauen ist angezeigt, wenn ein Mittel oder eine Methode angeblich mehrere ganz verschiedene Krankheiten verhüten, bessern oder gar heilen soll. Solche „Wundermittel“ helfen in der Regel nur dem Hersteller. Eine Ausnahme aber gibt es. In der Tat kann eine einzige Methode gegen so unterschiedliche Leiden wie Herz-Kreislauf-Krankheiten, Krebs, Rückenschmerz und Osteoporose, Depressionen und einiges mehr helfen. Außerdem hat das Verfahren, richtig angewandt, so gut wie keine Nebenwirkungen, es kostet nichts und Hersteller ist man selber. Sein Name ist: Bewegung. Deren Effekt ist messbar und steigt mit der Dosierung.
Dass körperliche Aktivität gut ist gegen Herz-Kreislauf-Krankheiten, ist seit langem bekannt. Relativ neu aber ist die Erkenntnis, dass Bewegungsmangel so viele verschiedene Leiden fördert. Ihnen kann man also buchstäblich davonlaufen.
Und ziemlich neu ist auch eine wissenschaftlich fundierte gute Nachricht: Wenn jemand keine Lust auf Sport hat, muss er oder sie sich nicht mit Marathon oder Triathlon kasteien. Wer zügig spazieren geht oder möglichst für alle Besorgungen, vielleicht sogar für den Weg zur Arbeit das Fahrrad anstelle des Autos nimmt, der hat auch davon schon beträchtlichen gesundheitlichen Nutzen. Der Stand der Forschung zum Thema „Körperliche Aktivität und Gesundheit“ ist nun im „Bundesgesundheitsblatt“ (Ausgabe 1/2012) zusammengefasst, in einem guten Dutzend wissenschaftlicher Beiträge.
Alles begann mit der berühmten Londoner Doppeldecker-Studie. Sie wurde schon 1953 im Fachblatt „Lancet“ publiziert. Es war aufgefallen, dass von den Busfahrern, die ständig hinterm Steuer saßen, doppelt so viele an Herz-Kreislauf-Krankheiten starben wie von den Kontrolleuren, die den ganzen Tag durch den Bus liefen. Es gab da allerdings einen systematischen Fehler: Bei der Einstellung hatte man die eher Schwergewichtigen für den Fahrersitz ausgewählt und die wendigen Leichten für die laufende Ticketkontrolle.
Später kamen aber viele methodisch saubere Studien mit insgesamt Hunderttausenden von Teilnehmern zum gleichen Schluss: Unter den körperlich Aktiven starben etwa ein Drittel weniger an Herz-Kreislauf-Krankheiten als unter den bequemen „Couch-Potatoes“. Die Konsequenz ziehen diverse offizielle Empfehlungen: Schon mäßige Bewegung wie etwa täglich eine halbe Stunde Walking senkt erheblich das Risiko, zum Beispiel einen Herzinfarkt zu erleiden. Selbst wenn man erst im vorgerückten Alter damit anfängt.
Von Nutzen ist Bewegung auch für die andere große Gruppe der heute dominierenden chronischen Leiden: die Krebskrankheiten. Das ist noch wenig bekannt, und der Nutzen ist auch noch nicht so gut belegt wie fürs Herz. Jetzt aber konnten Heidelberger Krebsforscher in zwei Artikeln des Themenheftes 60 Studien allein über Dickdarmkrebs und Bewegung und 70 Studien über Brustkrebs und Bewegung auswerten.
Das Ergebnis: Das Risiko der Erkrankung an diesen häufigen Krebsformen lässt sich durch körperliche Aktivität erheblich verringern: um 20 bis 30 Prozent für Dickdarmkrebs (das ist am besten gesichert), wahrscheinlich um 10 bis 20 Prozent für Brustkrebs vor der Menopause und um 20 bis 30 Prozent nach der Menopause. Vermutlich – hier sind die Studienergebnisse noch nicht ganz sicher – beugt Bewegung auch dem Krebs der Gebärmutter, der Prostata, der Lunge und der Bauchspeicheldrüse vor.
Bewegung fördert auch die psychische Gesundheit
Der Krankheitsverlauf wird durch ausreichende Bewegung ebenfalls günstig beeinflusst. Am besten belegt ist dies wieder bei Brust- und Dickdarmkrebs.
Wer sich bewegt, fördert auch seine Knochenfestigkeit. Und wer von Kindheit an Sport treibt und auch später aktiv bleibt, beugt der Osteoporose, dem Knochenschwund im Alter, vor, also auch dem Risiko von Knochenbrüchen. Auch dies ist durch zahlreiche Studien erwiesen. Sport gehört auch zur Behandlung der Osteoporose, von der Frauen nach den Wechseljahren betroffen sein können.
Dass der banale Kreuzschmerz sich nicht durch Schonung, sondern durch Bewegung bessert, ist wohl inzwischen fast Allgemeingut. Weniger bekannt ist, dass körperliche Aktivität auch die psychische Gesundheit fördert. Im Ambulanzzentrum des Hamburger Uni-Instituts für medizinische Psychologie gibt es eigens einen „Fachbereich Sport- und Bewegungsmedizin“. Die dort angesiedelte Arbeitsgruppe fasst den Forschungsstand zusammen: Körperliche Aktivität hat einen positiven Einfluss auf emotionale Störungen wie Ängste und Depressionen sowie auch auf kognitive Funktionen, also auf Fühlen und Denken.
Bewegung kann zum Beispiel die Stimmung aufhellen. „Körperliches Training kann bei Depressionen in einem ähnlichen Maß wirksam sein wie eine medikamentöse Therapie“, schreiben die Wissenschaftler. In einer amerikanischen Vergleichsstudie wirkte sie sogar stärker als ein Antidepressivum. Allerdings müssen die meist antriebsschwachen Depressiven erst einmal zur körperlichen Aktivität motiviert und die psychische Lähmung überwunden werden.
Auch die geistigen Fähigkeiten bleiben den körperlich Aktiven länger erhalten. Eine Analyse von 22 Studien mit über 33.000 Teilnehmern ergab, dass die Bewegungsfreudigen „ein um bis zu 39 Prozent geringeres Risiko hatten, kognitive Beeinträchtigungen zu entwickeln als körperlich Inaktive“. Körperliches Training wirkt jedoch nicht nur vorbeugend; auch bereits Demenzkranke profitieren davon, am meisten die schon stark Beeinträchtigten, wie die Auswertung von 30 Studien ergab. Der Effekt ist etwa so (mäßig) stark wie der von Medikamenten gegen Demenz und wie der eines kognitiven Trainings. Als Homo movens bleibt man also länger Homo sapiens.
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