Appell einer Studentin: Vergesst nicht die Opfer, die Studierende bringen!
Wie es Studierenden in der Coronakrise wirklich geht, interessiert die Öffentlichkeit kaum noch. Was fehlt, ist Solidarität und Verständnis. Ein Gastkommentar.
Steigende Corona-Fallzahlen, steigende Frustration und wiederkehrende Anklagen an die junge Generation. Wir sind als Superspreader und angeblich egoistische, sowie respektlose Jugend bekannt, die weder Resilienz noch Solidarität kennen soll. Der Blick auf Anklagen in den Medien wird von kurzen Telefonaten mit Freunden unterbrochen, in denen der Satz: „Ich kann nicht mehr“ ein wiederkehrendes Muster der Verzweiflung ist.
Ein Satz, der unsere Probleme und Leiden plakativ zusammenfasst, die in der Öffentlichkeit mehr und mehr aus den Augen verloren wird.
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Unsere Generation opfert entwicklungspsychologische Meilensteine. Selbstfindungsphasen, Partnersuche und die unabdingbare Aufgabe, sich ein soziales Netzwerk in der Adoleszenz zu suchen – all das ist in die sozialen Netzwerke verlagert.
Früher war Handyverbot der neue Hausarrest
Jahrelang wurde uns erzählt, dass wir uns nicht in den Tiefen des Internets verlieren sollen. Laptop- und Handyentzug waren der neue Hausarrest, der elterliche Versuch, die Kinder ihre Freundschaften lieber in der Realität pflegen zu lassen. Nun aber ist es eine Selbstverständlichkeit, von uns abzuverlangen, im Studium und im Privatleben mindestens zehn Stunden am Tag allein vor dem Laptop zu verbringen.
Wir wollen nicht exzessiv feiern. Was uns fehlt, ist die Sicherheit, ein Leben aufzubauen, dass sich die nächsten 60 Jahre lohnt zu leben. Was uns fehlt, ist ein Hoffnungsschimmer, die momentanen Einschränkungen überhaupt mit Freunden von Angesicht zu Angesicht besprechen zu dürfen. Politische Einstellungen zu entwickeln und zu diskutieren. Die Möglichkeiten zu haben, Freundschaften und Partner für das Leben in der Realität zu finden.
Wir wollten hoffnungsvoll die Welt verändern
Seit Monaten sind die Universitäten geschlossen. Millionen Studierende sind finanziellen Notlagen und psychischem Stress ausgesetzt. Die Ungewissheit, ob man jemals wieder Bildung und Sozialleben innerhalb einer Universität erleben wird, bleibt. Junge Frauen und Männer, die hoffnungsvoll die Welt verändern wollten, sind nun mit wirtschaftlicher Rezession und Kurzarbeit konfrontiert.
[Lesen Sie auch den Kommentar von Nina Breher: Hört auf, die Jugend zum Corona-Sündenbock zu machen!]
Dabei dürfen wir uns auch noch anhören, dass einfach nur zu Hause zu sitzen ein leichter Job ist. Kontaktbeschränkungen sind in Wohngemeinschaften mit fünf Mitbewohnern, von denen jeder einen Partner hat, schlicht und ergreifend nicht einhaltbar, ohne dass die mentale Gesundheit erodiert.
Im Bekanntenkreis endet jeden Monat jemand anderes in der Psychiatrie, was momentan fast angenehm erscheint: Soziale Kontakte und ein geregelter Tagesablauf sind dort jedenfalls gesicherter als in meiner Berliner WG.
Eine Generation, die Lebenslust langfristig einbüßt
Es ist klar, dass Existenzen in allen Generationen bedroht werden. Meine Generation bildet hierbei keine Ausnahme. In den Medien und damit in der öffentlichen Wahrnehmung werden junge Erwachsene und deren Leiden allerdings vermehrt ausgeklammert.
Aber es braucht Verständnis für eine Generation, die Lebenslust langfristig einbüßt. Die danach eine Wirtschaft wiederaufbauen wird, die von der nächsten Pandemie oder den Folgen des Klimawandels jederzeit wieder in den Boden gestampft werden kann.
Es braucht Solidarität für eine Generation, die Lebensträume opfert, um andere zu beschützen. Es braucht mehr Hilfe für eine Generation, die Krisen noch nie erlebt hat und damit nun allein gelassen wird. Die psychischen und wirtschaftlichen Konsequenzen, die die “Generation Corona“ hinnehmen muss, sind derzeit noch nicht zu ermessen.
Pauline Wurdinger