Streit um den Mathematikunterricht: Verbands-Mathematiker werfen Kollegen "Verzerrung" vor
Jetzt reden die Mathematiker-Verbände: Die Bildungsstandards sollten nicht abgeschafft, sondern konkretisiert und verbindlicher umgesetzt werden.
Im Streit um die Qualität des Mathematikunterrichts melden sich jetzt auch die Fachverbände zu Wort. In der Diskussion, die Mitte März durch einen „Brandbrief“ von 130 Professoren und Mathematiklehrkräften angestoßen wurde, seien „einige Aspekte verkürzt oder verzerrt dargestellt“ worden. An den im Offenen Brief kritisierten, 2012 erlassenen Bildungsstandards für den Matheunterricht wollen die Verbandsvertreter festhalten.
Die Kultusminister der Länder sollten sie lediglich „konkreter formulieren und verbindlicher in Schulpraxis und Abitur umsetzen“, heißt es in einer Erklärung des Deutschen Mathematiker-Vereinigung, der Gesellschaft für Didaktik der Mathematik und des Verbands zur Förderung des MINT-Unterrichts (die gesamte Stellungnahme finden Sie hier).
Konkrete Vorschläge, wie mehr Mathe in die Schulen kommt
Die 130 Unterzeichner des Brandbriefes hatten die in den Bildungsstandards festgeschriebene Kompetenzorientierung für das „Ausdünnen“ des Unterrichtsstoffes und die elementaren Wissenslücken von Studienanfängern verantwortlich gemacht. Schon die gut 50 Mathematikprofessoren, die Ende März auf den Brief ihrer 130 Kollegen reagierten, hatten die Ursachenanalyse des Brandbriefs als falsch zurückgewiesen. Studienanfänger müssten über hinreichendes Basiswissen in Mathematik verfügen und dieses auch auf innermathematische Probleme sowie auf Probleme der realen Welt anwenden können. Das aber sei gerade das Ziel der im Brandbrief kritisierten Kompetenzorientierung.
Die Mathematiker- und MINT-Verbände schreiben wie die 130 Kollegen von dem „alarmierenden Befund“, dass Studienanfänger in einschlägigen Fächern oft das nötige „mathematische Begriffsverständnis und die mathematischen Fähigkeiten“ fehlten. Diese Mängel träten sowohl bei der Oberstufenmathematik als auch bei den in der Mittelstufe behandelten Themen auf, etwa bei Bruchrechnung oder in den Potenzgesetzen. "Ausgedünnt" sei auch die Behandlung von Funktionentypen, so dass im Ingenieurstudium nicht mehr darauf aufgebaut werden könne.
Mehr Allgemeinbildung, weniger Studienvorbereitung
Als Ursachen benennen die Verbandsvertreter unter anderem die Reduktion des Mathematikunterrichts und den breiteren Zugang zum Abitur. Unter der "Vermittlung einer breiteren Allgemeinbildung" leide offenbar die "Vorbereitung auf mathematikhaltige Studiengänge".
Daraus leiten die Mathematiker und Didaktiker nun eine Reihe konkreter Empfehlungen ab. Neben der Verbesserung der Bildungsstandards fordern sie etwa mehr Zeit für den Mathematikunterricht an Schulen und besondere Leistungskurse oder Zusatz- und Förderangebote für Oberschüler, die später ein MINT-Fach studieren wollen. Allgemein müsse der Wissenstransfer von der Sekundarstufe I – also des mathematischen Basiswissens – zum Abitur verbessert werden. Kein Abitur sollte ohne schriftliche Mathematikprüfung ablegt werden.
"Mathematik nicht mehr fachfremd unterrichten"
Die Empfehlungen zielen auch auf die Lehrkräfte: Sie sollten besser aus- und fortgebildet, Seiteneinsteiger intensiver unterstützt werden. Und Mathematik dürfe nicht mehr fachfremd unterrichtet werden.
In Teilen schließen die Verbandsvertreter durchaus an die Kritik der Brandbrief-Schreiber an. So fordern sie, „Textaufgaben im Abitur sollten ohne gekünstelten Kontext verständlich formuliert werden“.
Amory Burchard
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