TIMS-Studie: "Unsere Lehrer sind doch nicht blöd"
Die Leistungen deutscher Grundschüler stagnieren - bestenfalls. Woran liegt das? Wilfried Bos, Bildungsforscher und Leiter der nationalen TIMS-Studie, im Interview.
Herr Bos, Deutschlands Grundschulen stagnieren bei Mathe und den Naturwissenschaften, weil die Schülerschaft noch heterogener geworden ist. Ist das unter diesen Umständen unabänderlich?
Natürlich ist es für die Lehrkräfte eine große Herausforderung, Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in die Regelschule zu inkludieren und zusätzliche Schüler mit Migrationshintergrund in den Klassen zu haben. Aber unsere Lehrer sind doch nicht blöd. Sie werden doch schon in der zweiten Klasse merken, dass sie Schüler haben, die sie zusätzlich fördern müssen.
Von den 23 Prozent der Matheschwächsten werden aber 75 Prozent in der Schule nicht zusätzlich gefördert, obwohl nicht alle diese Schüler von ihren Eltern Hilfe erwarten dürfen. Ich frage mich selbst, warum das nicht passiert. Haben die Schulen dafür keine Ressourcen?
Was ist zu erwarten, wenn die Schulen jetzt auch noch über 300.000 geflüchtete Schüler integrieren müssen?
Wenn die Geflüchteten nicht so schnell wie möglich ein ordentliches Kompetenzniveau in der deutschen Sprache erreichen, wird es schwierig. Bei Grundschülern ist es aber noch leicht. Als ich vor 40 Jahren noch Sozialarbeiter war, habe ich das selbst erlebt: Die Kinder der Aussiedler waren in einem halben Jahr fit.
Auch bei den Leistungsstarken tut sich in Deutschland nichts. Bund und Länder haben soeben ein Modellprojekt für 300 Schulen angekündigt. Ist das der richtige Weg?
Es ist bestimmt ein richtiger Weg. Auch hier geht es um zusätzliche Förderung. Warum können die leistungsstärksten Grundschüler in Uni-Städten nicht für gelegentliche Kurse zusammengefasst und von Uni-Personal unterrichtet werden?
Welche Rolle spielt es, dass in den Grundschulen oft fachfremd unterrichtet wird?
Das spielt vielleicht in Berlin eine größere Rolle, aber in Deutschland unterrichten Mathematik nur knapp 20 Prozent fachfremd. In den Naturwissenschaften fällt der Anteil mit über 37 Prozent allerdings höher aus.
Der Schulerfolg in Deutschland hängt weiter sehr stark von der sozialen Herkunft ab. Warum tut sich hier nichts?
Das ist offenbar ein gesellschaftliches Problem. Möglicherweise gibt es kein echtes Interesse, hieran etwas zu ändern.
In Deutschland stagnieren die Mädchen in Mathematik. Gibt es etwa doch ein Mathe-Gen, das eine Entwicklung verhindert?
Nein, es gibt kein Mathe-Gen. In vielen Staaten haben die Mädchen weit höhere Ergebnisse erzielt als die Mädchen in Deutschland und auch weit höhere Ergebnisse als die Jungen in vielen Staaten.
Wilfried Bos, Professor für Bildungsforschung und Qualitätssicherung an der Universität Dortmund, leitet den deutschen Teil der TIMS-Studie.
Anja Kühne